Zum 80. Geburtstag von Jimi Hendrix - Im Rock’n’Roll-Feuer verbrannt

Vor 80 Jahren wurde Jimi Hendrix geboren. Er revolutionierte die Spielweise und den Sound der E-Gitarre, gab der Rockmusik einen unglaublichen Innovationsschub, der bis heute nachwirkt. Doch die große Karriere endete nach wenigen Jahren im Drogenrausch.

Auf der Suche nach neuen Klängen: Die Studiosessions mit Miles Davis waren schon gebucht, als Jimi Hendrix starb / dpa
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Autoreninfo

Rainer Balcerowiak ist Journalist und Autor und wohnt in Berlin. Im Februar 2017 erschien von ihm „Die Heuchelei von der Reform: Wie die Politik Meinungen macht, desinformiert und falsche Hoffnungen weckt (edition berolina). Er betreibt den Blog „Genuss ist Notwehr“.

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Was wäre gewesen, wenn …? Eine in der Regel müßige Frage, doch im Falle von Jimi Hendrix, der vor 80 Jahren, am 27. November 1942, als John Allen Hendrix in Seattle im US-Bundesstaat Washington geboren wurde, ist diese Frage durchaus berechtigt. Denn als Hendrix am 18. September 1970 im Alter von nur 27 Jahren unter nicht ganz geklärten Umständen in Folge exzessiven Alkohol- und Tablettenmissbrauchs in London an seinem Erbrochenen erstickte, war allen Bewunderern, Freunden und Kollegen dieses genialen Musikers klar, dass Hendrix seinen rastlosen Weg durch immer neue musikalische Sphären noch lange nicht beendet hatte.

Als „Schulversager“ und Autodieb zur U.S. Army

In die Wiege gelegt wurde ihm diese Karriere sicherlich nicht. Aufgewachsen in ärmlichen, zerrütteten Familienverhältnissen, musste Hendrix die von ihm besuchte Garfield High School 1959 wegen schlechter Noten ohne Abschluss verlassen. Seine ersten musikalischen Gehversuche mit unbedeutenden Provinzbands hatte er da bereits hinter sich, doch eine materielle Lebensperspektive war damit nicht verbunden. Nachdem er 1961 bei einem Autodiebstahl erwischt wurde, stellten ihn die Richter vor die Wahl, entweder zwei Jahre ins Gefängnis zu gehen oder sich freiwillig bei der U.S. Army zu verpflichten – was Hendrix vorzog. Dieses Intermezzo bei der Army dürfte wohl die einzige nach konventionellen Vorstellungen „geregelte“ Phase seines Lebens gewesen sein. Sie endete entsprechend chaotisch. Der langjährig als Soldat verpflichtete Musiker täuschte homosexuelle Neigungen vor, um 1962 nach nur wenig mehr als einem Jahr entlassen zu werden.

Das war mit Sicherheit eine der weisesten Entscheidungen des US-Militärs. Der von rapidem sozialen Abstieg bedrohte Hendrix nahm die einzige Chance wahr, die er hatte: Musik machen. Bald wurden auch Größen der Branche auf den eigenwilligen Gitarristen aufmerksam. Mit Jobs als Begleitmusiker von Stars wie Little Richard, B.B. King, Wilson Pickett und den Supremes legte er den Grundstock für eine der bemerkenswertesten Musikerkarrieren der an Superstars wahrlich nicht armen 60er-Jahre. Schnell wurde er zum Geheimtipp der New Yorker Szene und gründete mit „Jimi James and the Blue Flames“ seine erste „richtige“ Band.

Auf der Suche nach immer neuen Klängen

Sein eigentlicher Durchbruch kam wenig später, nachdem ihn der inzwischen zum Musikmanager avancierte Ex-Animals-Bassist Chas Chandler 1966 nach London gelotst hatte. Spätestens nach dem Erscheinen seiner ersten Single „Hey Joe“ wurde Jimi Hendrix in Windeseile zum Maß aller rockgitarristischen Dinge und setzte später mit Auftritten wie in Woodstock, wo er die amerikanische Nationalhymne in Anspielung auf den Vietnamkrieg regelrecht zerfetzte, Marksteine für eine ganze Kulturepoche. Seine Welt waren Klänge, immer neue Klänge.

Mit bis dahin undenkbarer Konsequenz sprengte der Autodidakt, der keine Note lesen konnte und Aufzeichnungen von Melodien und Harmonien seiner Stücke mittels Farben bewerkstelligte, die Grenzen zwischen den Genres und zwischen Musik und Geräusch. Hendrix kopierte niemanden und kann auch von niemandem kopiert werden. Dass ihn diese Auslegung des Blues, der hörbar die einzige originäre Quelle seines Schaffens war, irgendwann zu ähnlich radikalen Kollegen der Jazzabteilung führen würde, erschien unausweichlich. Die Studiotermine für eine gemeinsame Session mit Miles Davis waren schon gebucht, als Hendrix starb. Doch der kurze, exzentrische und von Drogen und Partys gesäumte Ritt durch die Glitzerwelt des Rock’n’Roll und das Wesen der Musik endete abrupt und tragisch.


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Miles Davis schrieb in seiner Autobiographie über Hendrix: „Jimi war ein großer, natürlicher Musiker. Er schnappte Dinge auf, von wem auch immer, und er tat das sehr schnell. Einmal gehört – schon hatte er es drauf.“ Einmal wollte er Hendrix etwas über verminderte Akkorde erklären. „Da sah ich die Fragezeichen in seinem Gesicht und sagte: ‚Ok, vergiss es!‘ Ich spiele es ihm dann auf dem Klavier vor oder auf der Trompete, und er versteht es sofort. Oder ich lege eine Platte von mir auf oder von Coltrane und erkläre, was wir da machen. Und er beginnt, das auf seinen Alben zu verarbeiten. Wunderbar. Er beeinflusst mich, und ich beeinflusse ihn. Große Musik entsteht immer so.“

Mein erstes großes Rockkonzert: Jimi Hendrix

Auch für mich, den mehr oder weniger behütet aufgewachsenen Berliner Steppke, war Hendrix eine Offenbarung, seine Musik die Tür zu neuen Welten. Nach langen Debatten mit den Eltern durfte ich tatsächlich als 13-Jähriger sein erstes Berliner Konzert am 23. Januar 1969 im Sportpalast besuchen. Dies ist natürlich lange her. Aber glücklicherweise habe ich bereits 1999 (da war es noch nicht ganz so lange her) meine alten Erinnerungen für den Sammelband „The Boys are Back in Town – Mein erstes Rockkonzert“ aufgefrischt. „Das hatte einiges taktisches Geschick erfordert. Die Hetztiraden der Springer-Presse gegen Hippies, Gammler und ihrer zu allerlei Randaliererei und Drogenkonsum verführenden Musik hatten ihre Wirkung auch auf meine Eltern nicht verfehlt. Letztlich gelang es, die Genehmigung im Austausch gegen die Zustimmung zu einem mir eher verhassten Verwandtenbesuch zu erhalten.

Mir, dem eigentlich mit dem Fluch der späten Geburt geschlagenen Siebtklässler, sollte es vergönnt sein, bereits im frühpubertären Stadium den Olymp des Rock’n’Roll zu betreten, von den Früchten der Verheißung zu kosten, den Weg der Erkenntnis zu beschreiten! Schwebend und beschwingt verbrachte ich den Januar und starrte mehrmals täglich auf ein kleines Stück dünner Pappe wie der polnische Katholik auf seine schwarze Madonna. Denn auf diesem Wonne versprechenden Rechteck stand in ruhiger, serifenfreier, schwarzer Druckschrift: The Jimi Hendrix Experience. 23. Januar 1969, 20 Uhr. Berlin, Sportpalast.

Ein Blues als Erweckungserlebnis

Und dann kam er. Natürlich genregemäß mit Lammfellweste, Cowboystiefeln, Stirnband sowie einer weißen Fender-Stratocaster, jener zeitlosen Kultgitarre mit dem glasklaren Sound. Erste sägende, wabernde Töne dröhnten aus der imposanten Wand mehrerer gekoppelter Marshall-Türme. Auch Drummer Mitch Mitchel und Bassist Noel Redding hatten Position bezogen. Nun gab es kein Erbarmen mehr. „Let me stand into your fire“ eröffnete das Set, und ich flog das erste Mal in meinem Leben aus meinem Körper raus (ohne Drogen!). Es folgte „Hey Joe“, was mich beschämt zu Boden gucken ließ, da ich es seinerzeit immer noch nicht spielen konnte. „Spanish Castle Magic“ und „Foxy Lady“ bildeten dann das kleine Vorprogramm für den ersten großen Höhepunkt des Abends.

Der „Red House Blues“ öffnete mir die Augen, und zwar für alles und für immer. Nicht nur, dass in diesen bewegenden zwanzig Minuten mein Weg von einer „House of the rising sun“- klampfenden dreizehnjährigen Dumpfbacke zum ernstzunehmenden Blues- und Rockgitarristen begann: Ich begann ernsthaft zu begreifen, was Blues ist. Ein infernalisch verzerrtes „Purple Haze“ beendete das Set zunächst, und nach angemessener Trampel- und Brüllpause wurden 6000 inzwischen völlig weggespacete Jünger des Meisters mit einem äußerst sentimentalen „The wind cries Mary“ in die kalte Berliner Nacht entlassen. Und die nächsten Wochen verbrachte ich dann weniger mit Hausaufgaben, sondern mit dem – letztlich erfolgreichen – Versuch, „Hey Joe“ und „The Wind cries Mary“ einigermaßen nachzuspielen.“

Weiter, immer weiter – bis zum bitteren Ende

Und Hendrix ging immer weiter. Sein aufwendig mit zahlreichen Gastmusikern produziertes Doppelalbum „Electric Ladyland“, das Ende 1969 erschien, setzte erneut vollkommen neue Maßstäbe. Anschließend löste er seine Band auf und gründete mit seinem alten Armeekumpel Billy Cox (Bass) und dem in allen Jazz- und Rockgefilden agierenden Schlagzeuger Buddy Miles ein neues Trio, die „Band of Gypsies“. Das klang nun wieder ganz anders, besonders die beiden Hauptstücke „Who knows“ und „Machine Gun“, bei denen alles auf das Wesentliche reduziert wurde und jeder Ton eine Bedeutung hatte. Ohne Buddy Miles, dafür wieder mit seinem alten Drummer Mitch Mitchell, ging Hendrix im Spätsommer 1970 erneut auf Europatournee und trat am 4.September erneut in Berlin auf, diesmal in der Deutschlandhalle. Ja, das war auch gut, aber irgendwie auch verstörend, denn Hendrix wirkte merkwürdig entrückt, und die Chemie in der Band stimmte auch nicht.

Natürlich konnte niemand ahnen, dass dies sein vorletztes Konzert sein würde. Zwei Tage später spielte er noch beim „Love&Peace-Festival“ auf der Insel Fehmarn, ein Auftritt, der von befreundeten Besuchern (ich war leider nicht dabei) als „fast unwirklich schön und erschreckend morbide“ beschrieben wurde. Dann ging es zurück nach London, wo er sich ausruhen und neue Projekte vorbereiten wollte. Doch zwölf Tage später endete die Reise des Jimi Hendrix. Wie etliche andere Größen seiner Zeit, u.a. Janis Joplin und Jim Morrison, verbrannte er bereits in jungen Jahren im Rock’n’Roll-Feuer. Seine Musik bleibt lebendig und ist noch heute Inspirations- und Freudenquelle für Heerscharen von Gitarristen und Musikfreunden auf dem ganzen Erdball. Ein großes Vermächtnis, wie es nur wenige hinterlassen. In diesem Sinne wird Jimi Hendrix niemals sterben.  

 

Die wichtigsten LPs von Jimi  Hendrix (alle als CD erhältlich):

Are You Experienced (1967)
Axis: Bold As Love (1967)
Electric Ladyland (1968)
Band Of Gypsys (1970)
Rainbow Bridge (1971)

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