Fotografie - Nur Sound und Wahnsinn

Wer war Jimi Hendrix? Überlegungen zu einem Mythos anlässlich einer Neu-Edition legendärer Fotografien

«Jimi war ein junger, gut aussehender, dünner schwarzer Typ, und ich mochte ihn sehr, vom ersten Tag an», erzählt John Hillman, einer der mächtigsten Männer des Rock-und Pop-Business in den sechziger Jahren, Keith Shadwick, einem der vielen Jimi-Hendrix-Biografen. Hillman hatte 1964 eine Agentur gegründet, deren Geschäftsgrundlage darin bestand, Talente für die Pop-Industrie zu rekrutieren. Einer seiner Mitarbeiter war Chas Chandler, ehemaliger Bassist der Band «The Animals». Im Sommer des Jahres 1966 «entdeckte» Chandler in einem Coffeehouse im New Yorker Greenwich Village einen Gitarristen aus Seattle, genauer: «den größten Gitarristen aller Zeiten».

Hillman, Chandler und der Manager Michael Jeffery, den man allgemein für den eigentlichen Erfinder und Ausbeuter des Phänomens «Jimi Hendrix» hält, brachten den «dünnen schwarzen Typen» 1966 nach England, dorthin, wo nicht zu Unrecht das Zentrum der internationalen Rockmusik-Szene vermutet wurde. Hendrix, im November 1942 als Johnny Allen Hendrix geboren, aber kurz danach von den Eltern in James Marshall Hendrix umbenannt, hatte zu diesem Zeitpunkt bereits eine längere Laufbahn als Begleitmusiker unterschiedlicher Pop-Acts wie Ike & Tina Turner oder «Joey Dee’s Starliters» hinter sich. In London gründete Hendrix mit dem Schlagzeuger Mitch Mitchell und dem Bassisten Noel Redding die Band «The Jimi Hendrix Experience». Hier kam es 1967 zu den beiden berühmten Foto-Sessions mit dem Rock- Fotografen Gered Mankowitz, die das öffentliche Image des revolutionären Musikers auf Dauer prägen sollten und deren Bilder jetzt in einer luxuriösen Neuausgabe vorliegen.


Im Innern des Künstlers

Die einmalige Erfolgsgeschichte eines Ausnahmekünstlers sollte auch deshalb so legendenbildend wirken, weil sie bereits drei Jahre später endete, als Hendrix, infolge eines Cocktails aus Psychopharmaka und Alkohol, im September 1970 an seinem Erbrochenen erstickte. Dieses kurze Leben und der Mythos, der sich aus ihm herleitet, sind bis heute Gegenstand fieberhafter und profitträchtiger Dokumentationen, Forschungen, Interpretationen. Nicht nur die Plattenfirmen, die nach Hendrix’ Tod eine unüberschaubare Zahl von oft enttäuschenden «unveröffentlichten» Aufnahmen auf den Markt warfen, hielten sich an diesem Mythos schadlos. Auch unzählige Biografen und Zeitzeugen schrieben ihn fort. Gibt man in der Buchsektion von Amazon den Namen «Jimi Hendrix» ein, warten knapp 3000 Einträge auf Durchsicht. Manche Autoren und Autorinnen versuchten, sich buchstäblich in den mythischen Text dieses Stars hineinzuschreiben. Monica Dannemann, die angeblich drei Nächte mit Hendrix verbracht haben will – unter anderem die, in der er starb –, gab ihrem Buch den vielleicht sprechendsten Titel: «Inside Jimi Hendrix».

Innenansichten einer Persönlichkeit werden immer dann besonders bereitwillig feilgeboten, wenn über deren Seelenleben wenig bekannt ist. So populär die Ikone Hendrix auch sein mag, so wenig Einblicke in ein etwaiges «Inneres» ließ sie zu – bei allen offensichtlichen Symptomen von Paranoia und manischer Depression. Vielleicht sind deswegen auch einige der treffendsten Texte über Hendrix pure Spekulation.

Lester Bangs, wohl der bedeutendste Rockmusik-Kritiker aller Zeiten, führte 1976 ein Exklusiv-Interview mit dem Toten, in dem dieser zugibt: «Eine Sache, die ich gelernt habe, als ich mich umbrachte, war, dass ein verdammt großer Anteil der ganzen Geschichte nur Sound und Wahnsinn gewesen sind – angezettelt und aufgepeitscht, um die Tatsache zu verschleiern, dass wir dabei waren, unsere Gefühle zu verlieren, oder doch zumindest unsere Fähigkeit, sie zu zeigen. Das meiste von ‹Electric Ladyland› und dem zweiten Album klingt jetzt richtiggehend kalt in meinen Ohren.»

Eine extrem heiße Erscheinung

Kälte ist nun wahrlich das Letzte, was man mit der Musik und der Person von Jimi Hendrix in Verbindung bringen würde. Gilt Hendrix doch als der expressive Gitarrenheld schlechthin, als Ikone von Überschreitung und ästhetischem Grenzgängertum, als Herold einer befreiten Sexualität und eines romantischen Nomadisierens zwischen den Kulturen und Ethnien. Seine durch Film- und Fernsehbilder, Poster und T-Shirts massenhaft verbreiteten Bühnen-Posen, der immer wieder zitierte Cunnilingus mit der Gitarre, die rituellen Zerstörungen seiner Fender Stratocaster und die provokante Integration des Instruments in eine obszöne Körpersprache machten ihn zu einer extrem «heißen» Erscheinung, zum Gegenteil eines coolen Poseurs.

Und trotzdem war Hendrix alles andere als der reine Instinktmensch, der sich bewusstlos den Kreisläufen der Pop-Kultur und der Elektrizität überließ. Er war im Gegenteil ein virtuoser Manipulator von Symbolen. Die Ergebnisse der beiden Foto-Sessions von 1967 zeigen den Gitarristen nicht zuletzt als professionelles Fotomodell, das gezielt an der Konstruktion seines Image arbeitet. Mankowitz inszenierte mit Hendrix, Mitchell und Redding eine Insel der Lässigkeit und des bekifften Charmes, ein interkulturelles Trio, das durch die Traditionen und Gegenwarten von Rock- Boheme, Paisley-Psychedelia und Bewusstseinserweiterung zusammengehalten wurde.

Hendrix’ und Reddings eigenwillige Afros sind ebenso wichtige Elemente dieses Erscheinungsbilds wie die im Rock-Milieu der Zeit verbreiteten Seidentücher und Uniformjacken. Sie sollten sich unmittelbar auf die Mode der einheimischen Jugend auswirken. Die Hendrix-Frisur, «zottelig und mächtig wie sie war, wurde von vielen kulturellen Beobachtern als eine der wirklich bedeutendsten visuellen Revolten in London angesehen», schreibt der afroamerikanische Dichter David Henderson.


Zum Freak-out nicht immer bereit

So souverän Hendrix einerseits mit dem eigenen Bild und dem spannungsreichen Verhältnis zwischen Musik und Bühnen-Performance umzugehen wusste, so sehr fürchtete er, dass die visuelle Seite seines Auftritts, sein Körper und seine Show, die musikalische Seite überlagern könnten. In einem – zu Lebzeiten geführten – Interview sagte er, am meisten habe ihn gestört, dass die Leute «zu viele visuelle Sachen» von ihm wollten. «Ich habe es nie allzu sehr darauf angelegt, ein visuelles Ding zu sein. Wenn ich es gerade einmal nicht war, dachten die Leute, ich wäre traurig. Aber zum Freak-out bin ich nur dann in der Lage, wenn mir wirklich danach ist.»

Die Probleme mit der eigenen Sichtbarkeit betreffen aber nicht nur das Missverhältnis zwischen musikalischer und visueller Sensation. Fast scheint es, als wünschte sich Hendrix eben jene Unsichtbarkeit herbei, in die eine rassistische Gesellschaft ihre nicht-weißen Mitglieder einschließt, die aber inmitten der modisch gewordenen Inszenierung des Anderen auch ein Schutzraum sein kann.

Autoren wie Steve Waksman, Paul Gilroy oder jüngst der «Village-Voice»- Kritiker Greg Tate in seinem furios-poetischen Hendrix-Buch «Midnight Lightning: Jimi Hendrix and the Black Experience » haben auf die problematische Rolle von Hendrix als schwarzem Star mit einem vorwiegend weißen Publikum hingewiesen. Hendrix’ eigenartige Entfremdung von der schwarzen Community, von der afro-amerikanischen Populärkultur im Allgemeinen steht im Kontrast zu seiner visuellen Erscheinung als Künstler. Greg Tate legt seinem Buch die Racial Agenda zugrunde, Hendrix nicht nur als Vertreter einer afrikanischen Diaspora im «Black Atlantic» zu sehen, sondern ihn für die schwarze Musikkultur Amerikas zu reklamieren – und zwar sowohl angesichts von Hendrix’ eigenen Ansichten zu schwarzer Identität und Identitätspolitik als auch angesichts des enormen Einflusses, den Hendrix auf die schwarze Fusion-Musik der siebziger Jahre und auf Künstler wie Prince ausgeübt hat.

1967, als Hendrix sich am Anfang seiner komplizierten Karrierebefand, entwickelte Gered Mankowitz in glamourösen Schwarzweiß-Portraits die öffentliche Physiognomie des afro-amerikanischen Musikers, der sich aus der kritischen Sicht vieler Schwarzer in einem von Weißen dominierten und rassistisch geprägten Rockgeschäft als gleichermaßen exotische wie assimilierte Figur durchzusetzen wusste. Mankowitz kolorierte einige seiner Portraits, um die Farbigkeit der Hüte oder Jacken zu unterstreichen. Doch sorgte seine Verwendung von Schwarzweißmaterial immer wieder dafür, dass Hendrix’ Hautfarbe sich nur unmerklich von der seiner Mitmusiker unterscheidet.

Man muss hier keine Absicht unterstellen. Aber auf merkwürdige Weise entspricht dieser fotografischen Entdifferenzierung der Umstand, dass Hendrix lange Zeit die Zugehörigkeit zur afroamerikanischen Populärkultur verweigert wurde. Man könnte sogar sagen, dass diese eindrucksvollen Fotografien, die zum Zeitpunkt ihrer Produktion als Argument für Hendrix’ Entfremdung von der Black Community betrachtet worden sein mögen, eben jene Blindheit abbilden, der sie ihre Entstehung verdanken.

 

Tom Holert ist Kulturwissenschaftler und freier Publizist und lebt in Berlin. Zuletzt erschien «Entsichert. Krieg als Massenkultur im 21. Jahrhundert».

 

Gered Mankowitz
Jimi Hendrix. The Complete Masons Yard Photo Sessions
Schwarzkopf & Schwarzkopf, Berlin 2004. 100 S., 49,90 €

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