Das Journal - Wozu in die Gobi schweifen ...

Ein blinder Passagier: Reinhold Messner rast um die ganze Welt und bemerkt nichts außer Reinhold Messner

Als ich das Buch auspackte und den Titel «Gorbi» las, dachte ich: Jetzt ist die alte Peres­­troika-Krawallschachtel Gorbatschow völlig durchgedreht. Aber wieso lief dann Reinhold Messner durchs Umschlagbild? Weil das Buch, das ich in Händen hielt, in Wirklichkeit «Gobi» heißt und von Reinhold Messner ist. Nach der Lektüre weiß ich: Das Beste an diesem Buch ist sein Untertitel «Die Wüste in mir». Doch, das stimmt, da hat Reinhold Messner nicht übertrieben. Für alle, die es nicht wussten oder wissen wollten, hat er es letztgültig dokumentiert: In diesem Mann ist nichts als ein monströs ödes Ich-Ich-Ich.

«Die Idee, die Wüste Gobi zu durchqueren, kam mir erstmals nach dem Alleingang am Mount Everest. Höher konnte ich nicht mehr steigen. Also dachte ich an die Weite», schreibt Messner, ganz so, als ob das logisch wäre. Wenn man denn denken könn­te, könnte man an etwas anderes denken als an bundesjugendspieletaugliche Ziele wie höher oder weiter, aber Messner muss es so haben: «Mit einem Rucksack losziehen und immer weitergehen wollte ich. In der Leere dem Nichts entfliehen.» Oder im Nichts der Leere? In der aufgebrezelten esoterischen Diktion, mit der Messner seine Bergsteiger­flachheiten zu kaschieren sucht, ist ohnehin alles wurscht.


Sind zwei kranke Füße

Von Reisenden, die in der Mongolei unterwegs waren, habe ich die bezauberndsten Dinge über Menschen und Landschaft gehört; von Reinhold Messner erfährt man nur, dass Reinhold Messner dort war und das bedeutsam findet. Außer sich selbst nimmt die Südtiroler Gesichtsmatratze mit Yeti-Faktor 1000 so gut wie gar nichts wahr. Immerzu ist er mit sich selbst beschäftigt, und die Worte «Ich», «mir», «meine» tauchen in einer Häufigkeit auf, die jeden Rekord bricht. In den olympischen Disziplinen Angeben und Aufplustern schlägt Messner Konkurrenten wie Grass oder Biermann um Längen.

Wo immer man hinliest in diesem Buch, es ist stets derselbe miefende Wanderstiefel: «Nach wenigen Gehminuten ist mir, als sei ich schon einen ganzen Tag lang un­terwegs. Aber, denke ich, ich habe Zeit. Also gehe ich langsam und regelmäßig, nehme nie Abkürzungen. Wenn ich jetzt die Hänge steil gerade hinaufginge, ich bräche zusammen. Mit peinlicher Genauigkeit folge ich der idealen Route.»

«Warum habe ich nicht zwei gute Füße, denke ich», schreibt Messner – «denke ich» ist sehr gut gesagt. Messner forscht und räsoniert weiter: «Der eine, ohne Zehen, erträgt mehr als der andere mit dem zertrümmerten Fersenbein. Trotzdem, der junge Arzt, der die Reste mit einem Stück Hüftknochen wieder zu einem brauchbaren Fuß zusam­mengeflickt hat, ist ein Genie. Ohne seine Hilfe hätte ich überhaupt nie mehr richtig laufen können.» Ob der geniale junge Arzt auch den Aspekt berücksichtigte, dass Messner mit jedem Schritt, den er tut, anschließend die Öffentlichkeit vollorgelt? Und wäre das dann nicht Beihilfe zur Belästigung?

Messner betrachtet seinen mergeligen Korpus und teilt seiner Leserschaft die Ergebnisse gleichermaßen umständlich wie brühwarm mit: «Auch habe ich einen son­derbaren Geschmack und süßlichen Schleim im Mund.» Ah ja. An anderer Stelle fragt er sich: «Ob ich noch klar im Kopf bin?» – beantwortet die Frage aber selbst vorschnell mit «ja», um sich zum Beweise des Gegenteils wieder seinen von Charles Darwin und Luis Trenker vorgestanzten, beschränkten Selbstbetrachtungen hinzugeben. Die wei­terzugeben er allerdings aggressiv entschlossen ist. Seinem pubertierenden Sohn schreibt er die Lehren von Jungvolk, FDJ und Duce hinter die Ohren: «Du musst viel laufen und morgens kalt duschen. Damit du abgehärtet bist.» Abgehärtet wogegen?

Wozu in die Gobi schweifen / wenn das Doofe liegt so nah: Reinhold Messner hätte auch eine Million Mal einen Sandkasten oder einen Parkplatz umrunden können. Er ist der klassische blinde Passagier: Reinhold Messner latscht um die ganze Welt und bemerkt nichts außer Reinhold Messner. Dass er damit Bücher anfüllt, kann man ihm nicht ankreiden – sondern nur Lektoren und Verlegern, die vielleicht rechnen, aber nicht lesen können.

 

Reinhold Messner
Gobi. Die Wüste in mir
S. Fischer, Frankfurt a. M. 2005. 265 S., mit zahlreichen Fotos des Autors, 19,90 €

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