Mögliche Wagenknecht-Partei - Da braut sich was zusammen

Die Anzeichen verdichten sich, dass es bald zu einer Parteigründung durch Sahra Wagenknecht kommen könnte. Das sagt der Flurfunk der Berliner Republik, darauf weisen auch aktuelle Äußerungen ihrer politischen Unterstützer hin. Die Spannung steigt.

Sahra Wagenknecht / picture alliance
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Autoreninfo

Ben Krischke ist Leiter Digitales bei Cicero, Mit-Herausgeber des Buches „Die Wokeness-Illusion“ und Mit-Autor des Buches „Der Selbstbetrug“ (Verlag Herder). Er lebt in München. 

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Politische Kommunikation ist ein Drahtseilakt, der nur gelingt, wenn sich die Absender einige grundsätzliche Gedanken machen. Welche Formulierungen sollen genutzt werden? Wer ist geeignet, um zu kommunizieren? Wann soll kommuniziert werden? Und mit welchen konkreten Zielen? Das gilt für politische Projekte ebenso wie für Gesetzesvorhaben. Und es gilt auch und insbesondere für Parteineugründungen, die sich nicht von heute auf morgen umsetzen lassen, sondern nur entlang einer klaren Strategie, die in mehreren Phasen verläuft. 

Ein solches Vorhaben ist heikel, weil an eine Vielzahl von Hürden, Herausforderungen und Risiken geknüpft. Diese reichen von den formalen Anforderungen über die Etablierung einer Organisationsstruktur und die Gewinnung von Mitgliedern bis hin zur öffentlichen Positionierung. Und mit der in Deutschland viel zitierten Willkommenskultur kann eine neu gegründete Partei schon mal gar nicht rechnen.

Einerseits sind da die Medien, die in der Summe jeder neuen Partei mit einer Skepsis begegnen, die man sich manchmal bei der Betrachtung der etablierten Politik wünschen würde. Andererseits sind da die etablierten Parteien, die freilich wenig Interesse daran haben, mit neuer politischer Konkurrenz um ihre Pfründe, ihre Posten, um Macht und Einfluss zu streiten. Entsprechend harsch fallen dann die Narrative aus, mit denen versucht wird, die neue missliebige Konkurrenz in der Öffentlichkeit möglichst schlecht dastehen zu lassen. Die Grünen kennen das, die AfD kennt das auch, schon aus jener Zeit, als sie noch eine eurokritische Professorenpartei war. 

Nicht nett, aber klug allemal

Vieles deutet mittlerweile darauf hin, dass parteiinterne Unterstützer von Sahra Wagenknecht derzeit öffentlich den Boden für eine anstehende Parteigründung durch die streitbare Linke bereiten. Bevor man sich abspaltet von der eigenen Partei Die Linke mit dem ungeliebten Kurs und dem ungeliebten Parteivorstand – der kürzlich in Eigenregie und deshalb hochumstritten die Aktivistin Carola Rackete als Kandidatin für das EU-Parlament aufgestellt hat –, soll diese erst noch von innen heraus destabilisiert werden. Das ist mein Eindruck. Das ist nicht nett. Klug aber ist es allemal. Wenn etwas wackelt, mag sich mancher Wagenknecht-Genosse denken, warum nicht dagegen stoßen, damit es noch schneller fällt?

Die jüngste Ankündigung von Amira Mohamed Ali, ihren Posten als Co-Fraktionsvorsitzende der Linken im Bundestag zu räumen, inklusive Generalabrechnung mit ihrer (Noch-)Partei, passt da gut ins Bild. Und auch der Linken-Politiker Klaus Ernst schlägt sich im Interview mit meinem Kollegen Alexandre Kintzinger auf Wagenknechts Seite. Das hat einiges an Gewicht, weil Ernst Mitgründer der WASG war, also jener Partei, die im Jahr 2007 mit der PDS zur Die Linke fusionierte. Im Interview sagt er: „Wenn sich Sahra Wagenknecht dazu entscheidet, eine solche Partei ins Leben zu rufen – sie sagt ja, sie will das bis Ende des Jahres machen –, wäre es für mich durchaus eine realistische Option, dabei mitzumachen.“

Den Fokus verloren

In drei Punkten gebe ich Ernst recht. Erstens: Die Linke hat sich in den vergangenen Jahren zusehends vom Linkssein verabschiedet und dem ökoradikalen Wokesein zugewendet. Zweitens hat sie deshalb den politischen Fokus verloren. Ernst spricht vom Verlust des „Gründungskonsens“ der Partei, „dass wir eine Partei sein wollen, die sich um die Interessen der abhängig Beschäftigten, um die Rentnerinnen und Rentner, um die Schülerinnen und Schüler; sich also um die kleinen Leute kümmert“. Was drittens dazu führt, dass auch Die Linke mittlerweile eine ziemlich elitäre Truppe ist, die sich vor allem aus Bessergestellten rekrutiert, welche Arbeiter primär vom Hörensagen kennen – und davon, dass die ihre Bio-Gurke im Supermarkt über den Scanner ziehen oder ihre Umzugskisten in die schicke Bude im Prenzlauer Berg tragen. 

 

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Dass Politiker der Linken nicht vermögend sein dürfen oder unbedingt aus der Arbeiterklasse kommen müssen, ist selbstverständlich Unsinn. Problematisch wird es jedoch, und das ist bei der Linken zu beobachten, wenn die Kluft zwischen einer Partei, die sich links nennt, und jenen Menschen, für die linke Politik eigentlich gedacht wäre, immer größer wird. In den Positionen, in der Sprache, im Habitus. Was, um es etwas plakativer zu formulieren, hat eine junge Frau, nennen wir sie Maia Müller, die sich als Friseurin keine Wohnung in der Stadt mehr leisten kann, denn bitte mit einer Aktivistin wie Carola Rackete gemeinsam? 

Bei der SPD ist das schon länger so, das mit der Kluft zwischen Partei und einstigen Stammwählern, zu der auch meine Familie gehörte, weshalb es ja überhaupt erst zur Gründung der Die Linke gekommen ist. Bei der Die Linke ist es heute ebenfalls so, weshalb es, sagen wir, aus evolutionspolitischer Sicht nur natürlich wäre, dass die nächste Abspaltung naht, weil sie nahen muss. Denn eine Linke ohne linke Ideale, ohne Klassenfrage, ohne Fokus auf den einfachen Mann und die einfache Frau, braucht kaum ein Mensch – und ein Arbeiter am allerwenigsten. 

EU-Wahl als Testballon

Hinzu kommt die Zwickmühle, in der die deutsche Linke – nicht nur die Partei dieses Namens – mittlerweile mit Blick auf den Ukraine-Krieg steckt. Eigentlich ist Teil linker Friedenspolitik, keine Waffen in Krisengebiete zu liefern. Es lässt sich zwar argumentieren, dass wegen der Solidarität mit der Ukraine – wer Aggressor, wer Angegriffener ist, ist in diesem Fall überdeutlich – Waffenlieferungen eine unschöne, aber nötige Option seien. Nur: Was ist linke Friedenspolitik am Ende wirklich wert, wenn man in der Frage der Waffenlieferungen in der Praxis nicht standhaft bleibt? Für Wagenknecht ist die Sache klar: Sie trommelt für ein sofortiges Ende der Waffenlieferungen und mehr Diplomatie mit Russland. 

Aber auch das Thema Migration spaltet die Linke, wenn Befürworter offener Grenzen auf jene treffen, die kritisieren, dass unregulierte Einwanderung in erster Linie die Arbeiterklasse und sozial Schwache trifft, die es vor allem sind, die sich dann plötzlich in Verteilungskämpfen um Wohnraum oder Lebensmittel der Tafel wiederfinden. Zu wenig Beachtung findet hier noch die Perspektive jener Migranten, die schon länger im Land leben, sich ihren Wohlstand erarbeitet haben, und jetzt zusehen müssen, wie andere Einwanderer direkt staatliche Vollpension erhalten – während das Sicherheitsgefühl auch in ihren Vierteln abnimmt. Obendrauf kommen noch Energiekrise, Inflation und schleichende Deindustrialisierung. Wenn Strom und Lebensmittel teurer werden, während Arbeitsplätze verschwinden, verschärft das die sozialen und gesellschaftlichen Spannungen, aber eher nicht im Prenzlauer Berg.  

Da braut sich was zusammen

Die Anzeichen jedenfalls verdichten sich, dass es in Folge all dieser Streitpunkte bald zur Gründung einer „Liste Wagenknecht“ (Arbeitstitel) kommen könnte. Das deutet Ernst im Interview in einem Nebensatz zumindest an („sie sagt ja, sie will das bis Ende des Jahres machen“) – obwohl dieser Satz auch so interpretiert werden kann, dass bis Ende des Jahres erstmal nur die Entscheidung stehen soll, ob es zu einer Gründung kommt. Das sagt aber auch der Flurfunk in der Berliner Republik und dafür sprechen auch die jüngsten Ereignisse. Warum, lässt sich fragen, sollten Linken-Politiker wie Ernst oder Mohamed Ali öffentlich derart mit der eigenen Partei abrechnen, wenn die Koffer nicht schon gepackt im Gang stehen? Anders formuliert: Da braut sich was zusammen.

Ein Testballon könnten die Europawahlen 2024 sein. Denn bei diesen können auch Parteien mit einem geringen Prozentsatz der Stimmen Sitze im Europäischen Parlament gewinnen. Eine 5-Prozent-Hürde gibt es nicht, nur ein Verhältniswahlrecht. Außerdem ist das Interesse an den Europawahlen, verglichen mit Bundestags- oder Landtagswahlen, in Deutschland eher gering. Das wäre dann ein bisschen so, wie ein Künstler sein neues Programm erstmal vor weniger Publikum vorstellt, bevor er sich voll ins Rampenlicht wagt; „Learning by doing“ – und nochmal nachjustieren, wo der eigene Auftritt noch Schwächen zeigt oder irgendwer aus dem eigenen Team zu spät den Pegel hoch- respektive runterdreht.

Der Fokus einer „Liste Wagenknecht“ wäre ohnehin auf der Bundespolitik. Im EU-Parlament würde man also ein bisschen Praxiserfahrung sammeln – und hätte anschließend noch ein gutes Jahr Zeit bis zur nächsten Bundestagswahl im Herbst 2025. Genug Zeit, um neue Mitglieder zu rekrutieren und sich Gedanken zu machen, welches Spitzenpersonal am Ende in den Kampf um Wählerstimmen auf Bundesebene zieht. Genug Zeit, um mit dem Zaunpfahl gen Bürger zu winken: Ihr seid unzufrieden mit der etablierten Politik? Dann wählt doch uns! 

Die Spannung steigt

Stimmt schon: Offiziell hat Wagenknecht noch keine Parteigründung angekündigt; auf eine solche angesprochen, wie hier im Interview mit Cicero, ist die streitbare Linke bisher eher ausgewichen, hat vor allem erklärt, was an einer Parteigründung schwierig sei. Außerdem ist das Scheitern ihrer linken Sammelbewegung „Aufstehen“ noch präsent im kollektiven politischen Bewusstsein; auch bei Wagenknecht selbst, die im Rückblick einräumt, dass das Projekt falsch angegangen wurde; dass es schwierig sei, eine Bewegung von unten von oben zu gründen. Aber eine Bewegung ist eben etwas anderes als eine Partei. 

Ja, die Anzeichen haben sich zuletzt eben derart verdichtet, dass Wagenknecht wohl gar nicht mehr anders kann, als beim Projekt Wagenknecht die nächste Stufe zu zünden. Schon ihrer eigenen beruflichen Zukunft wegen und weil es genug Menschen gibt im Land, die auf eine solche Partei warten. Verbündete wie Mohamed Ali oder Ernst bereiten dafür möglicherweise bereits den Boden, im Hintergrund wird wohl ohnehin schon gesprochen, eingeordnet, angedacht. Und weitere Unterstützer werden folgen. Ganz sicher. Es könnte – unabhängig davon, wie man zu Wagenknecht steht oder den möglichen Inhalten einer solchen Partei – das interessanteste politische Projekt seit der AfD werden. Die Spannung steigt. 

 

Bernd Stegemann im Gespräch mit Ben Krischke
Cicero Podcast Gesellschaft: „Woker Lustgewinn durch Grausamkeit“

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