Vollversammlung der katholischen Bischöfe in Dresden  - Leiden am Selbtsverzwergungs-Syndrom

Die Katholische Kirche muss endlich aus dem Krisenmodus herausfinden und Schluss machen mit der eigenen Selbstverzwergung. Nach der Vollversammlung der Bischöfe in Dresden und vor der Schlusssitzung des „Synodalen Weges“ dominieren Selbstbeschäftigung und innere Streitereien. Dabei verliert die Kirche vieles, auch politische Relevanz. 

Der Limburger Bischof Georg Bätzing leitet die Vollversammlung der Bischofskonferenz. /dpa
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Autoreninfo

Volker Resing leitet das Ressort Berliner Republik bei Cicero. Er ist Spezialist für Kirchenfragen und für die Unionsparteien. Von ihm erschien im Herder-Verlag „Die Kanzlermaschine – Wie die CDU funktioniert“.

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Die Katholische Kirche in Deutschland ist in einer schweren Selbstfindungskrise. Bei der Vollversammlung der Bischöfe wurden in den Beratungen massive Zerwürfnisse deutlich. Dabei standen sich Reformer und Konservative gegenüber, aber auch aus der Mitte heraus wurde erstmals Kritik am Agieren des Vorsitzenden Georg Bätzing deutlich. Im Mittelpunkt standen Beratungen zum Reformprozess „Synodaler Weg“, der mit einer Sitzung kommende Woche zuende gehen soll. Ob es dabei erneut zu einem Eklat kommen wird, wollte heute keiner ausschließen.

Zerissenheit und Konflikt mit Rom

Hintergrund der zugespitzten innerkirchlichen Lage ist, dass sich die Konservativen durch römische Interventionen gestärkt sehen. Zuletzt hatte der päpstliche Nuntius, Erzbischof Nikola Eterovic, in einem Grußwort Anfang der Woche in Dresden erneut die römische Ablehnung eines neu zu gründenden „Synodalen Rats“ bekräftigt. Bätzing, der an den Reformen festhält, sprach von Missverständnissen, die noch ausgeräumt werden müssten. Der Konflikt mit Rom und die innere Zerrissenheit dominierten also das Dresdner Treffen. Ein Ende der kirchlichen Krisendekade ist nicht in Sicht, eine geeinte und kraftvolle Aufbruchstimmung ist weit und breit nicht zu sehen. 

Die Katholische Kirche in Deutschland ist mit 21 Millionen Mitgliedern eine der größten, wenn nicht die größte Organisation in Deutschland. Das erste deutsche Bistum wurde um das Jahr 250 gegründet, das jüngste 1996, sie ist also auch die mit Abstand älteste und erfahrenste Institution im Land. Sie hat große Persönlichkeiten hervorgebracht, sie war identitätsstiftend für viele, sie hat Kultur, Land und Staat bis hin zu unserem Grundgesetz geprägt. Und das noch immer: Sie ist der größte Arbeitgeber, ohne sie würden der Sozialstaat, die Bildungsrepublik, Jugendarbeit, die Flüchtlingshilfe, internationale Katastrophenhilfe, Hospizarbeit, die Kita-Landschaft und vieles andere kollabieren. Doch nun: ein Nichts?

Das Ritual der Selbstkasteiung

Diese Katholische Kirche in Deutschland ist schwer erkrankt. Es ist eine Art Selbstverzwergungs-Syndrom, auch ausgelöst durch Krankheiten wie Long-Säkularisierung und Long-Missbrauchsskandal. Man kommt aus dem Krisenmodus nicht heraus – und wie bei einer Zwangsstörung werden die Krisenmomente schließlich selbst erzeugt und autoaggressiv perpetuiert, weil man sich die Gesundung wegen der übermächtigen eigenen Schuldkomplexe nicht mehr zubilligt. Die öffentliche Wahrnehmung der Kirche ist schon dramatisch schlecht, sie wird nur noch negativ übertroffen durch manches Ritual der Selbstkasteiung.

In dieser Woche haben sich alle deutschen katholischen Bischöfe in Dresden getroffen und gemeinsam aktuelle Fragen beraten, kommende Woche tagt der sogenannte Synodale Weg in Frankfurt. Selbstbeschäftigung pur: Es droht eine Art katholischer Showdown. Das Geschehen scheint bisweilen zu einer großen Performance einer krankhaften Selbstverletzungswut zu verkommen. Dabei sind nicht immer Intentionen und Motive schlecht, auch nicht alle inhaltlichen Debatten über Verkrustungen und Erneuerung. Aber die Art und Weise, wie manche Bischöfe und kirchliche Funktionäre agieren, scheint manchmal so, als ob sie mit einem Fernglas herumlaufen, das sie verkehrt herum halten. Sie erkennen das Naheliegende nicht, und selbst das Ferne wird noch mal als unerreichbar verzerrt.

Es ist Außenstehenden kaum erklärbar, aber tatsächlich streitet sich die älteste und größte Institution Deutschlands in diesen Tagen bis tief in die Nächte intensiv darüber, ob sie  „Synodale Räte“ einrichten soll und darf oder nicht. Mit ihnen soll mehr Mitsprache von Laien organisiert werden. Die Katholische Kirche ist zentralistisch und bischöflich verfasst. Das heißt, letztlich entscheiden immer die Bischöfe, und die Oberaufsicht liegt in Rom.

Der Dresdner Kompromiss

Nun hat der Papst durch unterschiedliche Kanäle mitteilen lassen, dass er die neuen Gremien nicht will. Doch was machen die Bischöfe daraus? Sie verfallen wahlweise in Depression oder Apathie, manche wiederum, umgekehrt verdreht, in Euphorie. Der Dresdner Kompromiss lautet nun, der „Synodale Rat“ soll beraten und nicht entscheiden. Und ein „Synodaler Ausschuss“ wird nun zunächst gebildet, um den „Synodalen Rat“ vorzubereiten, für ihn wird dann noch ein neuer Name gesucht. Das ganze grenzt an absurdes Theater. Und in Wahrheit ist das Thema ein Scheinriese. Es ist völlig unwichtig.

 

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Die Bischöfe schaffen es offenbar kaum, aus der selbstverschuldeten Misere herauszukommen. Es gibt in Deutschland in unterschiedlichsten Gremien so viele Mitsprachemöglichkeiten fürs Kirchenvolk wie kaum anderswo in der katholischen Welt. Leute für diese Gremien außerhalb der eigenen Mitarbeiterschaft zu finden, ist schon heute äußerst schwierig. Dennoch: bloß nicht die eigene Stärke feiern, lieber noch mehr Öl ins Frustfeuer gießen! Es werden Probleme erzeugt, die es gar nicht gab, um dann Lösungen zu präsentieren, die den tatsächlichen Problemen nicht beikommen. Und es werden Feindbilder erzeugt, mit denen man sich sozusagen selbst ins Knie schießt.  

Provinzialismus der deutschen Bischöfe

Es ist die Stärke der Katholischen Kirche, dass sie nicht national tickt, sondern weltweit verbunden ist. Das weiß die Evangelische Kirche sehr wohl, die an Atomisierung leidet. Übrigens leidet die Evangelische Kirche auch an Gremien-Paralyse in ihrer bisweilen aggressivsten Form. Doch in diese Selbstlähmung sehnt sich die Katholische Kirche offenbar manchmal auch hinein. Der Vorsitzende der Bischofskonferenz suhlt sich fast, so hat es manchmal den Eindruck, in seiner römischen Antipathie, weil man ihm dort nicht vorbehaltlos folgen will. Die deutschen Bischöfe haben es weitgehend verlernt, auf der internationalen Bühne zu agieren, was auch an Sprachbarrieren liegt. Sie kommen bisweilen aus ihrem Provinzialismus nicht heraus, zelebrieren geradezu diese Konfliktlage mit dem Papst, ohne zu merken, dass das der eigenen Kirche außerhalb der engeren Insider-Blase nur schadet. 

Die Missbrauchskrise ist die Mutter aller Krisen in der Katholischen Kirche. Wie keine andere Institution hat sich die Kirche der Aufarbeitung dieser Problematik gestellt. In den USA, in Frankreich, in Österreich, in Irland, in Rom, manches Denkmal ist dabei zu Recht geschleift worden, manche Selbstgewissheit wurde zerstört, manche Abgründe wurden offenbar. Noch lange ist nicht alles gut, aber schon lange ist vieles besser. Polen hinkt mit der Aufarbeitung hinterher. Irland und Österreich sind nach einem tiefen Tal auf dem Weg in eine neue Zukunft.

Missbrauch ist kein kirchliches Sonderthema

Und Deutschland? Die Katholische Kirche in Deutschland hat sich so gründlich wie keine andere Institution hierzulande der Thematik gestellt. Dabei hat sie Fehler gemacht – und einiges aber auch richtig. Derzeit veröffentlicht ein Bistum nach dem anderen seine Studie, was dafür sorgt, dass Missbrauch im Bewusstsein der Öffentlichkeit inzwischen mit der Katholischen Kirche geradezu identifiziert wird. Das ist völlig unangebracht, auch wenn das keiner hören will. Missbrauch ist kein katholisches Phänomen, aber es gibt Missbrauch mit katholischer Grundierung, so lautet die Formel. Wichtig wäre es aber, wenn die Bischöfe aus der Schleife der Binnensicht hinausfänden. Missbrauch ist ein gesellschaftliches Tabu und kein kirchliches Sonderthema. 

Was machen die Bischöfe daraus: Sie haben in dieser Woche ein neues Konstrukt zur Missbrauchsaufarbeitung vorgestellt. Es ist kaum zu glauben: Noch mehr Gremien! Nach über zehn Jahren stellen die katholischen Bischöfe doch tatsächlich noch mal eine neue institutionelle Mechanik vor, mit der nun Missbrauch noch besser aufgearbeitet werden soll. Damit kommt man sogar in die Tagesschau. Ein Expertenrat soll neben dem Betroffenenbeirat gebildet werden. Mit dem Staat zusammen wolle man nun die Sache anschauen. Nur die Politik sagt: Wir können gerade gar nicht. Und die Bischöfe: ratlos. Es ist wirklich paradox und kaum mehr jemandem zu erklären, was hier passiert. Außer im relativ kleinen innerkirchlichen Subkosmos aus Betroffenenerklärprofis, Aufarbeitungsprofis und Kirchenkritikerprofis glaubt keiner mehr, dass die Kirche hier immer noch „Nachholbedarf“ hätte. Und manche plappern es nur medial nach. 

Fixierung auf kirchliche Missstände

Am Freitag wird die Missbrauchsstudie des Bistums Mainz vorgestellt. Mutmaßlich wird dann eine weitere große Persönlichkeit der katholischen Welt an den Pranger gestellt. Auch Kardinal Karl Lehmann, der langjährige Vorsitzende der Bischofskonferenz, wird vielleicht der Vertuschung und Verharmlosung überführt werden. Wieder mehr vom Gleichen. Die Missbrauchsstudien offenbaren Fehlverhalten und strukturelle Defizite, aber das böse Wort von der „Täterorganisation“ ist irreführend und falsch, denn die Kirche ist Teil einer Gesellschaft, die in vielen Bereichen wegschaut und weggeschaut hat, wenn Kindern und Heranwachsenden Gewalt angetan wurde und wird. Indem die Bischöfe und Funktionäre bei der Aufarbeitung schonungslos vorangehen, tun sie der Gesellschaft etwas Gutes. Indem sie die allgemeine Fixierung auf kirchliche Missstände zulassen, verfehlen Sie ihre Führungsaufgabe für diese wichtige religiöse und gesellschaftliche Institution Kirche.  

Das auffälligste Ergebnis der katholischen Selbstverzwergung ist die politische Marginalisierung. Die Katholische Kirche, einst mächtiger Akteur in politischen Debatten, fällt mehr und mehr aus. Zumindest bei den Themen, die ihr früher einmal wichtig waren. In diesen Tagen hat Familienministerin Lisa Paus (Grüne) eine Kommission vorgestellt, die über eine Reform des Abtreibungsrechts beraten soll. Die Ampel-Regierung strebt – mehr oder weniger explizit formuliert – eine Streichung des Paragrafen 218 an. Die Kirchen sind in der Kommission nicht vertreten.

Es braucht einen Neuanfang

Die Bischofskonferenz hat darüber beraten, in seiner Abschlusserklärung hat der Vorsitzende Bätzing den Schutz des ungeborenen Lebens angemahnt. Die Katholische Kirche ist mit zahlreichen ehrenamtlichen Frauen in unterschiedlicher Art und Weise in der Beratung von Schwangeren engagiert. Der Kompromiss, der derzeit in Deutschland gilt, ist maßgeblich auch auf das Wirken Bischof Lehmanns zurückzuführen. Und jetzt?

Eine mit sich selbst beschäftige Kirche, die sich in Lagern zerstreitet und in Lager zerfällt, wird ihrer gesellschaftlichen Verantwortung und ihrer Kernaufgabe nicht gerecht. Sie macht sich deutlich kleiner als sie ist. Es braucht ein Ende der Selbstbeschäftigung und Selbstverzwergung und einen kraftvollen Neuanfang. Auch um dem Austritt vieler Mitglieder entgegenzuwirken.

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