Unesco-Bildungsreport - Smartphones haben in der Schule nichts zu suchen

Die Digitalisierung gilt hierzulande als Allheilmittel für alle Bildungsprobleme und unhinterfragtes Ziel jeder Bildungspolitik. Zweifel von Pädagogen und Psychologen werden meist ignoriert. Nun warnt ein Report der Unesco vor einer einseitigen Digitalisierung des Unterrichts.

In den Spind damit: In Holland sind Smartphones im Klassenzimmer ab 1. Januar 2024 nicht mehr erlaubt / dpa
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Autoreninfo

Alexander Grau ist promovierter Philosoph und arbeitet als freier Kultur- und Wissenschaftsjournalist. Er veröffentlichte u.a. „Hypermoral. Die neue Lust an der Empörung“. Zuletzt erschien „Vom Wald. Eine Philosophie der Freiheit“ bei Claudius.

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Im Juli war es wieder mal soweit: Die Unesco, also die Organisation der Vereinten Nationen für Bildung, Wissenschaft und Kultur, legte ihren Jahresreport vor. Vielleicht lag es an der Sommerhitze, vielleicht an der Ferienzeit, vielleicht auch daran, dass man hierzulande mit anderen Dingen beschäftigt war: Der 2023 Global Education Monitoring Report stieß auf wenig Interesse.

Das ist bedauerlich. Denn der Unesco-Report hatte es durchaus in sich. Sein Thema in diesem Jahr: „Technology in education: A tool on whose terms?“ Nun ist der möglichst umfassende Einsatz von Technologie im Schulunterricht hierzulande eine Art Heilsgewissheit. Mit der Forderung, Schulen schneller und umfassender zu digitalisieren, kann sich in Deutschland noch jeder Provinzpolitiker oder sogenannte Bildungsexperte profilieren. Ob all die Tablets, Tabletklassen und Terminals sinnvoll sind, fragt kaum jemand. Digitalisierung first, Bedenken second – wie eine heutige Regierungspartei einst plakatieren ließ.

Nun ist klar, dass Kinder und Jugendliche, die in eine hochdigitalisierte Welt hineinwachsen, auf genau diese Digitalisierung vorbereitet werden müssen. Denn insbesondere Kinder und Jugendliche – aber auch viel zu viele Erwachsene – sind der Wucht der digitalen Angebote und Verlockung nicht gewachsen und haben weder die Kenntnisse noch das Gespür für die Gefahren, die mit ihr verbunden sind. Smartphone und Tablets haben für Kinder – und auch für Erwachsene – ein extremes Suchtpotential. Sie auch im Schulunterricht gedankenlos und bei jeder Notwendigkeit vor diese Geräte zu setzen, ist ungefähr so wie schulische Drogenprävention mit der Spritze.

Erforderlich wäre ein fundierter Informatikunterricht

Vorbereitung auf eine digitalisierte Welt im Schulunterricht muss sein, aber nicht in Fächern wie Englisch, Deutsch oder Mathe. Laut Unesco-Report gibt es keine hinreichenden Evidenzen dafür, dass fächerübergreifende Digitalisierung einen pädagogischen Mehrwert hat.

Erforderlich ist vielmehr ein entsprechender Informatikunterricht, der Kindern die Funktionsweise und den Aufbau von Computern erklärt, die Architektur von Netzwerken, die Grundlagen der Programmierung auf unterschiedlichen Ebenen, weshalb sie welche Datenpuren im Netz hinterlassen und dergleichen mehr.

 

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Ein besonderes Problem, das auch in Deutschland nur unzureichend gelöst ist, stellt das private Smartphone dar. Es lenkt vom Unterricht ab, stört nachhaltig den Lernerfolg, von Problemen wie Cybermobbing ganz abgesehen. Entsprechend spricht sich der Unesco-Report zu Recht dafür aus, Smartphones generell von Schulen zu verbannen.

In Deutschland tut man sich mit einem generellen Verbot von Smartphones jedoch schwer. Die einen sehen die digitale Kompetenz von Kindern in Gefahr, die anderen wittern einen Eingriff in die Freiheitsrechte. Beide Argumente sind aber scheinheilig. Die digitale Kompetenz von Kindern, die teilweise mehrere Stunden am Tag online sind, ist durch ein Handyverbot weiß Gott nicht tangiert. Und Freiheitsrechte sind an Schulen naturgemäß auch in anderen Bereichen eingeschränkt – insbesondere was die grenzenlose Kommunikation angeht.

Erst analoge Bildung macht digital kompetent

Klar sollte ohnehin sein: An Grundschulen hat das Smartphone sowieso nichts zu suchen. Man kann sogar weiter gehen und sagen: Ein eigenes Smartphone für unter Zehnjährige ist alles andere als hilfreich für die geistige, körperliche und soziale Entwicklung von Kindern und sollte auch privat tabu sein.

An weiterführenden Schulen hat es sich bewährt, dass Kinder und Jugendliche das Smartphone zwar dabeihaben dürfen, während der Schulzeit aber – und das umfasst ausdrücklich auch die Pausen – ausgeschaltet lassen müssen.

Schulen sollten ein Schutzraum sein, der Kindern konzentriertes Lernen ermöglicht. Dieses konzentrierte Lernen ist durch digitale Geräte eher in Gefahr, als dass sie es fördern. Was Kinder zunehmend vermissen lassen, sind sportliche Grundlagen, feinmotorische Fähigkeiten und die Kompetenz, ausdauernd zu lesen und zu arbeiten.

Wer sich souverän, sinnvoll und sicher in der Welt des Digitalen bewegen möchte, kann das nur auf Basis umfassender Kenntnisse der analogen Welt tun. Denn erst analoge Bildung macht digital kompetent. Doch genau hier tun sich zunehmend gewaltige Bildungsdefizite auf. Hier gegenzusteuern und nicht einfach dem Zeitgeist und den Einflüsterungen von Lobbyisten zu folgen, wäre ein Zeichen moderner Bildungspolitik.

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