Umgang mit der AfD - Der Teufel an der Wand

Das Jahr 2024 ist nicht 1933, Höcke ist nicht Hitler und Deutschland steht nicht kurz vor dem Vierten Reich. Mit Verbotsfantasien und Übertreibungen „verteidigt“ man die Demokratie ganz sicher nicht. Im Umgang mit der AfD wäre mehr Sachlichkeit angebracht – und mehr Gelassenheit nötig.

Antifa-Banner in Aaachen / dpa
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Autoreninfo

Ben Krischke ist Leiter Digitales bei Cicero, Mit-Herausgeber des Buches „Die Wokeness-Illusion“ und Mit-Autor des Buches „Der Selbstbetrug“ (Verlag Herder). Er lebt in München. 

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„Nie wieder ist jetzt“ und „AfD-Wählen ist 1933“ lauten beliebte Slogans des antifaschistischen Deutschlands im Jahr 2024. Hunderttausende demonstrieren gegen die AfD: in Berlin, in Hamburg, in Köln, in München. Sogar in „Dunkeldeutschland“ (Der Spiegel) werden Schilder gebastelt und wird sich auf die Socken gemacht: in Pirna, in Zittau, in Radeberg. Und überhaupt überall im Land, um ein Zeichen zu setzen gegen die Alternative für Deutschland – und irgendwie seinen Beitrag zu leisten, um die Demokratie zu „retten“ oder mindestens zu „verteidigen“.

Die allermeisten dieser Demonstranten sind leider zuhause geblieben, als im Zuge der Corona-Politik die Grundrechte, die Basis unserer Demokratie, außer Kraft gesetzt wurden. Die allermeisten Demonstranten sind auch zuhause geblieben, als die Terrorbanden der Hamas in Israel den größten Genozid an Juden seit dem Holocaust verübt haben. Israel- und damit Judenhass hat seitdem wieder Konjunktur. Grund zur Sorge scheint das für die Demokratieretter dieser Welt nicht zu sein. 

Aber seit bekannt wurde, dass auch Mitglieder der AfD an einem „geheimen Treffen“ mit dem Identitären Martin Sellner teilgenommen haben – das eigentlich ein privates Treffen war und nur insofern geheim, als dass dazu keine Meldung über einen Presseverteiler verschickt wurde –, werden Schilder gebastelt und wird sich auf die Socken gemacht. Zu Hunderttausenden. Die „Zivilgesellschaft“, zu der primär gezählt wird, was im linksgrünen Spektrum beheimatet ist, geht in den Widerstand. Dabei sind auch jene, die in ihrem postkolonialistischen Wahn von einem Palästina „from the river to the sea“ träumen. Oder für die die CSU und die Freien Wähler nicht mehr zur „demokratischen Mitte“ dazugehören. 

„AfDler töten!“

Dass die AfD irgendwo in politische Verantwortung kommt, das soll mit diesem Tohuwabohu unbedingt verhindert werden. Darin ist man sich einig. Wie das genau gelingen soll, darüber wird noch diskutiert. Die Antifa Aachen machte vorvergangenes Wochenende einen handfesten Vorschlag: „AfDler töten!“. Etwas gesitteter will es Münchens Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD) halten, der jetzt ein „München-Bündnis für Toleranz“ schmieden will. Ähnliches hat der Bundespräsident ebenfalls angekündigt. Ob da auch die Extinction-Rebellion-Radikale Lisa P. mitmachen wird, die zu den Demo-Organisatoren in München gehörte, Israel „Völkermord“ vorwirft und Markus Söder einen „Rassisten“ nennt, bleibt abzuwarten.

Söder wiederum blickte wie weitere politische Akteure dieser Tage mit größtem Interesse gen Karlsruhe. Dort hat „Die Heimat“ (früher NPD) eine veritable Klatsche kassiert, weil das Bundesverfassungsgericht aus guten Gründen entschieden hat, sie von der staatlichen Parteienfinanzierung auszuschließen. Die Partei selbst, so ist zu lesen, wertet die Entscheidung als ein vom „BRD-Regime gegen eine volkstreue Partei statuiertes Exempel“ und als „weitere Kampfansage der Deutschland-Abschaffer“. 

Saskia Esken, Vorsitzende der SPD, sieht in der Karlsruher Entscheidung wiederum ein „Signal“. Genossin Nancy Faeser pflichtet bei: „Von der heutigen Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts geht ein klares Signal aus: Unser demokratischer Staat finanziert keine Verfassungsfeinde.“ Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) findet, der Richterspruch zeige, dass es auch „unterhalb der Schwelle des Parteiverbots Mittel und Wege“ gebe, „sich gegen die Verfassungsfeinde zu stellen“. Und Markus Söder bezeichnete das Urteil als „Vorlage für oder gegen die AfD“. 

Andere wünschen sich mittlerweile gar, einem deutschen Staatsbürger, Björn Höcke nämlich, die Grundrechte zu entziehen – was schon eine ziemliche Granatenidee ist von Leuten, die gleichzeitig die Demokratie retten wollen. Außerdem will man verhindern, dass der österreichische Identitäre Martin Sellner nach Deutschland einreist, obwohl innerhalb der EU eigentlich Freizügigkeit gilt und man, so heißt es in anderen Zusammenhängen, die Grenzen gar nicht wirklich schützen könne. Cicero-Autor Volker Boehme-Neßler bringt es richtig auf den Punkt, wenn er das antifaschistische Deutschland des Jahres 2024 zwischen Hysterie und Depression wähnt

Gefahr der Unregierbarkeit

Es gibt, das sei eingestanden, sehr gute Gründe, mit Sorge auf das derzeitige Umfragehoch der AfD zu blicken. Nicht nur, weil wir es hier mit einer Partei zu tun haben, in der jemand wie Alice Weidel noch als vergleichsweise gemäßigt gilt und deren Landesverbände vom Verfassungsschutz beobachtet und mitunter als „gesichert rechtsextremistisch“ eingestuft werden. Sondern auch aus pragmatischen Gründen, weil sich die Parteienlandschaft nicht nur, aber eben auch wegen der AfD immer weiter fragmentiert. Manch Bundesland droht, im Prinzip bald unregierbar zu werden. 

Gleichzeitig ist Letzteres, nüchtern betrachtet, aber auch schon die größte Gefahr, die von den anstehenden Landtagswahlen im Osten ausgeht. Der Rest ist vor allem Wahlkampfgetöse – weil selbstredend keine etablierte Partei ein Interesse an einer erstarkenden AfD hat und die Partei deshalb als maximal gefährlich darstellen möchte – und mit jeder Menge Übertreibung verbunden; von wegen, was uns alles blühen könnte im Herbst. Brandmauer! Brandmauer! Brandmauer! 

Das Jahr 2024 ist aber nicht das Jahr 1933, Björn Höcke ist nicht Hitler – und selbst wenn er dessen Reinkarnation wäre, würde ein Erfolg seiner Truppe in Thüringen das gesamte Bundesland dennoch nicht zur national befreiten Zone werden lassen. Deutschland steht auch trotz AfD-Umfragehoch nicht kurz vor dem Vierten Reich – und wer gegen die AfD demonstriert, steht auch nicht in der Tradition der Weißen Rose. Jana aus Kassel lässt grüßen, bloß jetzt halt von der anderen Seite: Anna-Maria aus Prenzlberg. Denn je länger, so soll es der Journalist Johannes Gross einmal formuliert haben, das Dritte Reich tot ist, umso stärker wird der Widerstand gegen Hitler und die Seinen. 

Von der Wannseekonferenz zur Wannseekonferenz 2.0

Es gibt Vergleiche, die rechtfertigt derweil auch ein AfD-Umfragehoch nicht. Ein Treffen, bei dem eine private Runde einem Vortrag über „Remigration“ lauscht, zur Wannseekonferenz 2.0. hochzuschreiben, ist nicht nur wahnsinnig übertrieben, sondern auch von einem ungeheuerlichen Maße an Holocaust-Relativierung geprägt. Die Wannseekonferenz, also die „echte“ von 1942, war eine Zusammenkunft hochrangiger Vertreter der NS-Regierung, um den begonnenen Holocaust an den Juden im Detail zu organisieren. Dagegen war das Treffen von 2023, das im Januar 2024 durch Recherchen von Correctiv publik und prompt als Theaterstück aufgeführt wurde, nur ein belangloses Beisammensein unter Freunden und Freunden von Freunden. 
 

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Dieses Treffen war übrigens kein „AfD-Treffen“, obwohl das breit behauptet wird. Es waren Mitglieder der AfD dabei, das ist korrekt. Dass daraus jetzt landauf, landab konstruiert wird, die AfD wolle Menschen „deportieren“ – ein Begriff, der in Brandenburg gar nicht gefallen ist, sondern hinterher hinzugedichtet wurde –, ist im besten Falle gedehnte Wahrheit, im schlechtesten Falle schlicht Fake News, verbreitet vom Spiegel bis zur Bundesregierung, deren Chef Olaf Scholz parallel angekündigt hatte, Deutschland müsse endlich im großen Stil abschieben. Da hat aber keiner von „Deportationen“ gesprochen. 

Überhaupt der Spiegel: Das Hamburger Nachrichtenmagazin titelt unter dem Eindruck der Demos „gegen rechts“ jetzt von den „Wehrhaften“, deren Demonstrationen die AfD stoppen könnten – und übernimmt damit eins zu eins ein Regierungsnarrativ. Mal wieder. Gut, dass Rudolf Augstein das nicht mehr erleben muss, wenn Sie mich fragen. Journalistisch bedenklich ist es nämlich schon, dass es im Kampf der Gerechten nicht mehr ohne das Hochjazzen von Ereignissen geht, die irgendwie mit der AfD zusammenhängen. Man verwehrt sich jedweder Panikmache von rechts, betreibt aber selbst eine solche.  

Angebot und Nachfrage

Jedenfalls funktioniert ein Mehrparteienstaat, und ein ebensolcher ist die Bundesrepublik, nicht viel anders als die freie Marktwirtschaft: Angebot und Nachfrage. Seit dem Gründungsparteitag der AfD im Jahr 2010 liegt die Kernstrategie der etablierten Politik darin, dem Konsumenten, also dem Wähler, einzuschärfen, dass die AfD nicht nur schlechte Produkte vertreibt (Wahlprogramm, politische Äußerungen, keine adäquaten Ideen für die Zukunft des Landes), sondern auch ein Unternehmen ist, dem man nicht vertrauen kann. Als Beleg zieht man dafür auch gerne Äußerungen aus dem AfD-Umfeld heran, die irgendwer getroffen hat, den keiner kennt. 

Anfangs hat das halbwegs funktioniert, schließlich wusste man den Großteil der Medien bereits hinter sich, und das größte Problem war noch die Euro-Krise. Eines, über das die allermeisten Menschen zwar in Zeitungen, in Funk und Fernsehen unterrichtet wurden, das für die allermeisten Menschen aber gleichzeitig nur ein theoretisches Problem war. Also eines, das sie im Alltag kaum bis gar nicht zu spüren bekamen. 

Doch seitdem ist viel Wasser die Isar hinuntergeflossen. Erstens hat sich die AfD seit ihrer Gründung merklich radikalisiert. So stark, dass man heute nur träumen kann von einer Lucke-AfD oder einer Petry-AfD. Zweitens sind viele Probleme und Herausforderungen, denen sich die Menschen heute gegenübersehen, ganz konkrete geworden – und teilweise auch noch politisch hausgemacht. Danke, Merkel! Danke, Ampel! 

Aber die AfD!

Die Mieten sind explodiert, Strom und Wasser sind teurer geworden, noch im hintersten Zipfel der Bundesrepublik werden Containerdörfer für Flüchtlinge errichtet, in Essen marschieren neuerdings selbstbewusst Islamisten auf, Erdogan lässt eine Partei in Deutschland gründen, Unternehmen wandern ab oder machen dicht und Arbeitsplätze gehen verloren. Das will man aber nicht hören. Davon will man nichts wissen. Denn die größte Gefahr kommt ja von rechts.   

Junge Familien suchen derweil eine halbe Ewigkeit nach Kita-Plätzen, die Schulen sind marode, und an den Universitäten hat sich ein Zeitgeist breitgemacht, der die Freiheit von Forschung und Lehre gefährdet. Und während permanent gewarnt wird, Putin könnte, sollte er in der Ukraine erfolgreich sein, noch weiter vorrücken nach Europa, wäre die deutsche Luftwaffe nicht einmal in der Lage, Cottbus zu verteidigen, und die Truppe bekommt Sturmgewehre geliefert, die nichts taugen. Aber die AfD!!!

All diese Probleme und mehr – diese Liste ließe sich noch umfangreicher gestalten – bekommt die etablierte Politik trotz aufgeblähtem Staatsapparat (30.000 Beamte freuen sich über Ihr Steuergeld) und „Zeitenwende“-Rhetorik leider nicht in den Griff. Im Gegenteil ist der vorherrschende Eindruck, dass die Ampel das Land nur verschlimmbessert. Daher braucht man sich nicht zu wundern, dass die Menschen längst Ausschau halten nach politischen Alternativen, und manche von ihnen meinen, bei der AfD fündig geworden zu sein.

Friedenstruppen nach Ungarn! 

Gleichzeitig erzählen jene, die die Probleme nicht in den Griff kriegen, obwohl das ihr Job ist, jede Menge Unsinn. Zum Beispiel, dass es mehr als zwei Geschlechter gebe, man eine Industrienation allein mit Erneuerbaren am Laufen halten könne, dass „Cancel Culture“ eine rechte Erfindung sei, ebenso wie die deutschen Pull-Faktoren bei der Sozialsystemzuwanderung – und dass Correctiv ein unabhängiges Recherchenetzwerk sei. 

Seit der Gründung im Jahr 2014 hat Correctiv tatsächlich 2,5 Millionen Euro Steuergeld bekommen. Allein aus dem Bundeshaushalt erhielt das „unabhängige“ Journalismusportal mehr als 1,2 Millionen Euro, wie Nius berichtet. Kleines Gedankenspiel: Man stelle sich vor, ein ungarisches Recherchenetzwerk, das von der Regierung Orban finanziert wird, würde eine private Veranstaltung bespitzeln, an der auch Mitglieder einer Oppositionspartei teilnehmen. Da wäre in der EU aber die Hölle los. Friedenstruppen nach Ungarn! 

Nein, man muss diese Veranstaltung in diesem Hotel in Brandenburg nicht kleinreden, um nüchtern festzustellen, dass diese Recherche unter Umständen realisiert wurde, die nicht so recht zu einer liberalen Demokratie passen wollen. Da sind wir dann wieder beim Zweck, der eben nicht die Mittel heiligt. Wer die Demokratie verteidigen will, muss sich schon auch an demokratische Spielregeln halten, die geschriebenen wie die ungeschriebenen. Sonst wird der Demokratiebegriff zum leeren Klang, zur reinen Projektionsfläche. 

Womöglich sehen viele Hauptstadtjournalisten das alles nicht so eng mit der Nähe zwischen Bundesregierung, Verfassungsschutz, NGOs, Medien im Allgemeinen und Correctiv im Besonderen. Schließlich ist man Nähe gewöhnt, weil Nähe zum Geschäft gehört in der Berliner Republik. Man trifft sich in denselben Kreisen an denselben Orten, um über dieselben Themen zu sprechen, und freut sich in gleichem Maße darüber, wenn alle gemeinsam gegen die Oppositionspartei AfD opponieren. Das löst dann ein warmes Gefühl in der Magengegend aus, wie ein guter Marillenschnaps aus Tirol. So wohlig kann Widerstand sein. 

Leichte DDR-Vibes

Einen wie mich, obwohl selbst Journalist, überkommt da in meinem Münchner Exil und damit aus der Ferne ein eher ungutes Gefühl bei so viel Nähe und Überschneidungen; leichte DDR-Vibes, würde ich sagen. Ich wundere mich nämlich darüber, was heute so alles als normal gilt; was alles gar nicht mehr kritisch hinterfragt wird. Und ebenso – oder noch mehr vielleicht – dürften sich jene politikinteressierten Menschen da draußen wundern, die nicht Teil der Politik- und Medienwelt sind und schon länger nichts mehr anzufangen wissen mit Union, SPD, Grünen und FDP. Jene, die das Gefühl haben, dass sich da eine Blockpartei gebildet hat im Bundestag, unterstützt von Leuten, deren Job es eigentlich wäre, die Regierungsarbeit kritisch zu begleiten. 

Ob dem so ist, darüber ließe sich gesondert diskutieren. Dass dieses Gefühl aber vorhanden ist, insbesondere im Osten, wo man sich auskennt mit Blockparteien und Systemmedien, dürfte unstrittig sein. Ebenso, dass sich das Gefühl breitgemacht hat in Teilen der Bevölkerung, dass sich die etablierte Politik für alles mögliche interessiert, für Fahrradwege in Peru zum Beispiel, aber nicht mehr für die eigenen Leute. Dieses Gefühl wird aber nicht kleiner werden, je mehr sich gegen die AfD gesammelt wird. 

Nein, im Zweifelsfall wird dieses Gefühl nur größer. Aus Unverständnis wird Frust, aus Frust wird Wut, aus Wut noch eine weitere Stimme für die AfD. Insbesondere dann, wenn im Umgang mit der AfD zu Mitteln gegriffen wird, die mindestens ein Geschmäckle haben. Mehr Gelassenheit wäre daher klug – und mehr Sachlichkeit vonseiten der etablierten Politik und der Medien, wenn es um die AfD geht, auch treffsicherer. Es reicht nämlich nicht, den Teufel an die Wand zu malen. Man muss schon auch liefern und den Menschen ein akzeptables politisches Angebot machen, wenn man sie nicht dauerhaft verprellen will. Wenn man keinen echten Widerstand riskieren möchte. Wehret den Anfängen! 
 

Guido Steinberg im Gespräch mit Alexander Marguier
Cicero Podcast Politik: „Die Bundesrepublik hat überhaupt kein politisches Gewicht“
  

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