Stellenabbau und Kurswechsel - Verzwergungsoffensive bei „Bild“

Seit Marion Horn neue „Bild“-Chefin ist, tut sich einiges beim Boulevardblatt. Das Talkformat „Viertel nach Acht“ steht wohl vor dem Aus, ein großer Personalabbau kurz bevor. Im Gegenzug gibt es künftig mehr Klimajournalismus.

Axel-Springer-Hochhaus mit Progress Pride Flagge (r.) / picture alliance
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Autoreninfo

Ben Krischke ist Leiter Digitales bei Cicero, Mit-Herausgeber des Buches „Die Wokeness-Illusion“ und Mit-Autor des Buches „Der Selbstbetrug“ (Verlag Herder). Er lebt in München. 

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Kürzlich im Neubau des Axel-Springer-Verlags in Berlin, wo unter anderem die Redaktion der Welt ihr Zuhause hat. Die Vorstandschaft des Konzerns hat zum Come-Together geladen. Eine Stunde lang erzählen einmal reihum diverse Verantwortliche verschiedenen Medienvertretern, wie toll sich der Verlag entwickelt. Es geht unter anderem um Künstliche Intelligenz und wie sie den Journalismus des Konzerns prägen wird. Dazu gleich mehr. 

Groß plaudern über dieses Treffen ist an dieser Stelle nicht möglich. Man traf sich lediglich zum Hintergrundgespräch, „unter drei“, wie das im Journalismus heißt. Doch so viel sei verraten: Anschließend gibt es Häppchen und Drinks auf der Dachterrasse. Und je später der Abend wird, desto kälter wird es auf dem Hochhausdach. Der Wind pfeift, die geladenen Gäste frösteln. 

Ausbaufähig bis eisig 

Man darf die niedrigen Abendtemperaturen an diesem Junitag gerne wahlweise als böses Omen oder als Metapher werten. Denn bei allem, was Springer durchaus besser macht als andere deutsche Verlage, ist die Stimmung in der Bild-Redaktion – das sagt freilich nicht der Vorstand, sondern Redakteure hinter vorgehaltener Hand – wohl eher ausbaufähig bis eisig. „Die Zeitung bricht gerade zusammen“, schrieb kürzlich ein Bild-Journalist in einer WhatsApp-Nachricht an den Autor dieser Zeilen. 

Schon die Inthronisierung der neuen Chefredakteurin Marion Horn lief denkbar unglücklich. Mehr dazu können Sie hier nachlesen. Anfang Juni der nächste Klopper: Das durchaus erfolgreiche Bild-Talkformat „Viertel nach Acht“ wird wohl eingestellt, trotz Millionen-Aufrufen bei YouTube. Aus wirtschaftlicher Sicht, sagt ein Mitarbeiter, wäre das allerdings „Schwachsinn“. Das Format habe zuletzt zwischen 70 und 80 Prozent des YouTube-Umsatzes generiert. Offiziell spricht Springer derzeit von einer „Sommerpause“, allerdings hat Nena Brockhaus, Moderatorin und Aushängeschild der Sendung, kürzlich ihren Abschied verkündet
 

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Aber auch abseits der Monetarisierungsfrage wäre das Ende des Talkformats eine redaktionell fragwürdige Entscheidung. Denn Bild ist es gelungen, bei aller berechtigten Kritik an der krawalligen Atmosphäre von „Viertel nach Acht“, eine Talk-Marke zu etablieren, die erstens durchaus Unterhaltungswert hat, während die etablierten TV-Talks in den Öffentlich-Rechtlichen allzu oft vorhersehbar bis gähnend langweilig sind. Und zweitens traut sich die Redaktion, auch Stimmen zu Wort kommen zu lassen, die die nicht-private Konkurrenz scheut wie der Teufel das Weihwasser. Also quasi (fast) alle potentiellen Gäste, die aus der linksgrünen Blase nur konsequent genug als „Querdenker“ oder „rechts“ diffamiert werden.

Nur einen dürfte ein Aus von „Viertel nach Acht“ vielleicht noch halbwegs freuen: Ex-Bild-Chef Julian Reichelt. Dessen Medien-Start-up ist gerade dabei, mit „Stimmt“ und Moderator Sebastian Vorbach ein ähnliches Format auf YouTube zu etablieren, das einige Schnittmengen bei der Zielgruppe haben dürfte.

Zahlreiche Mitarbeiter sollen gehen

Am Montag dann die nächste Hiobsbotschaft für die Springer-Mitarbeiter. Was in einer internen Mail an die Belegschaft, die Cicero vorliegt, zunächst noch halbwegs harmlos klingt – „DIGITAL ONLY liefert enorme Chancen für BILD. Daher passen wir ab Juli 2023 die Aufgaben, Prozesse und Rollen an – in der Redaktion und der Gesamtorganisation“ –, entpuppt sich wenige Zeilen später als Verzwergungsoffensive, von der zahlreiche Mitarbeiter betroffen sein werden. Man wolle, heißt es euphemistisch, Workflows und Hierachien „straffen“.

Konkret heißt das: Zahlreiche Mitarbeiter sollen im Rahmen eines Freiwilligenprogramms gehen; wie viele genau, wurde am Montag nicht offiziell bekannt. 100 Mitarbeiter oder mehr könnten es sein. Man wolle sich zudem von Produkten, Projekten und Prozessen „trennen“, die „wirtschaftlich nie wieder erfolgreich werden können“. Kleinere Standorte sollen geschlossen, die gedruckte Zeitung bald komplett von Künstlicher Intelligenz gelayoutet werden. 

„Wie wir den Klimawandel in den Griff bekommen“

Doch bei den strukturellen Einschnitten allein wird es unter Horn nicht bleiben, auch der politische Kurs dürfte sich nach allen Anzeichen, die bereits zu beobachten sind, drastisch ändern. Bild bekommt unter neuer Führung nun ein Ressort namens „Wissen und Forschung“, in dem Autoren und Experten erklären sollen, so heißt es wörtlich in genannter Mail, wie „E-Antriebe funktionieren“ und „wie wir den Klimawandel in den Griff bekommen“.

Außerdem soll Horn am Montag, berichtet ein Insider, gesagt haben, sie wolle aus Bild auch einen „digitalen Frauentitel“ machen. Mal ganz abgesehen davon, dass der Springer-Konzern kürzlich die sogenannte Progress Pride Flagge vor dem Eingang zum Verlagshochhaus gehisst hat; also die Pride-Flagge, Wokeness-Version, inklusive extra Farben für Trans- und Interpersonen sowie „People of Colour“ und mehr.

Man sieht die große Home Story schon vor sich: Bild-Chefin Marion Horn besucht Annalena Baerbock mit dem Lastenrad, um bei Chai und Gebäck über die Vorzüge feministischer Außenpolitik zu plaudern. Anschließend Pilzesuchen. Für den Abend hat die Bild-Chefredaktion bereits ein Treffen organisiert, bei dem die Berliner Belegschaft Fragen zu Umstrukturierung, Stellenabbau und künftigem Blattkurs stellen können. Es dürfte ein langer, ein kühler Abend werden. Und damit sind nicht die Außentemperaturen gemeint.

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