Seit 60 Jahren gibt es Nutella - Der Siegeszug der Zucker-Fettbombe

Unser Genusskolumnist konnte mit Nutella noch nie viel anfangen. Doch er nimmt zur Kenntnis, dass diese pappsüße und wohl kaum gesundheitsfördernde Paste seit Generationen fest in der deutschen Esskultur verankert ist. Und gratuliert daher zum 60. Geburtstag.

56 Prozent Zucker und 20 Prozent Palmfett: ein echter Kardio-Killer / dpa
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Autoreninfo

Rainer Balcerowiak ist Journalist und Autor und wohnt in Berlin. Im Februar 2017 erschien von ihm „Die Heuchelei von der Reform: Wie die Politik Meinungen macht, desinformiert und falsche Hoffnungen weckt (edition berolina). Er betreibt den Blog „Genuss ist Notwehr“.

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Und wieder geht es in dieser Kolumne darum, einen runden Geburtstag zu feiern. Im Mai 2023 galt es, den 65. Jahrestag der Markteinführung des Dosenklassikers Ravioli gebührend zu würdigen, und vor einigen Tagen jährte sich der erste Auftritt einer braunen Paste mit dem Namen Nutella zum 60. Mal.

Es war eine Revolution, vor allem am Frühstückstisch. Besonders für Kinder war es der Stoff, aus dem die süßen Träume sind, aber auch viele Erwachsene goutierten und goutieren Nutella nach wie vor. Für viele Ernährungswissenschaftler und auch Kinderärzte ist es eher ein Stoff, der direkt aus der Hölle kommt. Denn die „Nuss-Nougat-Creme“ besteht zu 56 Prozent aus Zucker und zu über 20 Prozent aus Palmfett. Wer sich also allzu regelmäßig Nutella-Brote schmiert oder als Kind schmieren lässt, hat sehr gute Chancen, an Adipositas und später an anderen beliebten Volkskrankheiten zu leiden. Der Kardiologe und Internist Stefan Waller bezeichnete den Frühstücks-Hit gar als „echten Kardio-Killer“.

Von der harten Paste zum Brotaufstrich

Angefangen hatte das alles ziemlich unspektakulär. Der Konditormeister Pietro Ferrero kam in der nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs von Hunger und Armut geplagten italienischen Kleinstadt Alba auf die Idee, Haselnüsse, Zucker und wenig Kakao zusammenzumischen und als nahrhafte Süßspeise für Arme zu verkaufen. Die anfänglich recht zähe Paste wurde zu einem Laib geformt, in Scheiben geschnitten und auf Brot gelegt. Benannt wurde sie nach einer damals berühmten lokalen Karnevalsfigur, dem „Giandujot“.

Die Resonanz auf das Produkt war groß. Ferrero tüftelte weiter an der Konsistenz, die Paste sollte streichfähig werden. Ab 1951 wurde sie in Gläsern abgefüllt und unter dem Namen „Supercrema“ vermarktet, in ganz Italien und auch einigen Exportmärkten. Anfang der 1960er Jahre erließ die italienischen Regierung aber ein Gesetz, mit dem das Präfix „Super“ in Markennamen verboten wurde. Nach Ablauf der entsprechenden Übergangsfrist, wurde die vom Sohn Ferreros weiter verfeinerte Paste dann schließlich erstmals am 20. April 1964 unter dem Namen Nutella angeboten. Wenig später entstand auch die neue Glasform, die vor allem in Deutschland nicht unwesentlich zum Kultcharakter betrug.

Künstler und Sportler als Werbeträger

Es gab kein Halten mehr. Nutella startete seinen fulminanten Siegeszug in allen Erdteilen, und aus der einstmals kleinen Familienkonditorei Ferrero entwickelte sich einer der größten Süßwarenkonzerne der Welt. Zum Produktportefeuille gehören, teilweise durch Übernahmen, inzwischen viele bekannte Artikel wie Ferrero Rocher, Ferrero Küsschen, Kinderschokolade, Mon Chéri, Duplo und Hanuta. Aber Nutella ist und bleibt das Flaggschiff des Konzerns. Jedes Jahr werden über 300.000 Tonnen produziert. Und in keinem Land der Welt wird pro Kopf so viel Nutella wie in Deutschland verzehrt – rund ein Kilo pro Jahr. Bereits seit Mitte der 1960er Jahre wird die Paste auch in Stadtallendorf (Mittelhessen) produziert, rund 90 Millionen Gläser pro Jahr.

 

Zuletzt in „Genuss ist Notwehr“ erschienen:

 

Ferrero tat auch alles Erdenkliche, um den Nutella-Hype durch große PR-Events immer wieder zu befeuern, und das nicht nur in Deutschland. So organisierte der Konzern 1996 das große „Génération nutella“- Festival am Louvre in Paris, mit Werken von Künstlern, die angeblich mit Nutella aufgewachsen sind, darunter der Tänzer und Choreograf Philippe Decouflé und der Modeschöpfer Paco Rabanne. Am 29. Mai 2005 versammelten sich 27.854 Menschen in Gelsenkirchen zum europaweit größten Nutella-Frühstück, was einen Eintrag im „Guinness-Buch der Rekorde“ einbrachte.

Seit 2007 gibt es auch einen „World Nutella Day“, der seitdem stets am 5 Februar zelebriert wird. Für Werbespots wurden jahrelang bekannte Sportler engagiert, wie etwa die Fußball-Nationalspieler Manuel Neuer und Mats Hummels. Obwohl die vermutlich gewaltigen Ärger in ihren Klubs bekommen würden, wenn sie tatsächlich regelmäßig Nutella verzehrten. Als Sponsor unterstützt Nutella auch die Fußballschule des Bundesligisten Eintracht Frankfurt

Nutella lässt sich kaum verbieten

Wie dem auch sei: Nutella ist da, und Nutella wird wohl bleiben. Durchaus berechtigte eindringliche bis alarmistische Warnungen vor der Zucker-Fettbombe verpuffen offensichtlich weitgehend ungehört, und besorgte Eltern dürften einen schweren bis aussichtslosen Stand haben, wenn sie ihre Kinder vor dem Konsum von Nutella umfassend „beschützen“ wollen. Denn dann müssten sie die Kleinen entweder dauerhaft einsperren oder rund um die Uhr von einem Nutella-Guard begleiten lassen. Denn jeder soziale Kontakt in der Kita, der Schule oder dem Sportverein birgt die Gefahr einer „Nutella-Verführung“. Mit dem Kiffen bei Jugendlichen ist das übrigens ähnlich, aber das nur nebenbei.

An mir ist der ganze Nutella-Hype merkwürdigerweise fast komplett vorbeigegangen. Wobei meine Eltern weit davon entfernt waren, mir das irgendwie zu verbieten. Ich erinnere mich, das manchmal (aber eher selten) auch ein Glas Nutella im Kühlschrank stand, meine Schwester mochte das zeitweilig wohl ganz gerne. Aber mir hat das schlicht und ergreifend nicht geschmeckt – und tut es auch heute nicht. Glück gehabt. Aber an der Erkenntnis, dass Nutella – ich würde sagen, leider – ein sehr stabiler Pfeiler der deutschen Esskultur ist, kommt man nicht vorbei. In diesem Sinne: Glückwunsch zum 60. Geburtstag.

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