Päpstliches Klima-Papier „Laudate Deum“ - Die Kirche will ihre Nützlichkeit beweisen

Im Beisein der Klimaaktivistin Luisa Neubauer wird im Vatikan das neue Umweltschreiben des Papstes vorgestellt. Darin klingt Franziskus wie ein Prediger der Klima-Apokalypse. Aber der Klimawandel ist keine Glaubensfrage und braucht daher auch keine Glaubensantworten.

Papst Franziskus bei der Messe zur Eröffnung der Bischofssynode / dpa
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Benjamin Leven, promovierter Theologe und Journalist, ist Vatikan-Experte und war Redakteur der Zeitschrift Herder Korrespondenz in Berlin und Rom.

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Das Konzept des Weltuntergangs ist tief in der christlichen Kultur verankert. Die apokalyptischen Bilder der Bibel, wie sie im Buch Daniel und in der Johannesoffenbarung geschildert werden, haben in der Geschichte regelmäßig Endzeiterwartungen geweckt. Dürren, Überschwemmungen, Hungersnöte und Seuchen galten als Vorboten der letzten Dinge. Immer wieder riefen im Mittelalter umherziehende Propheten die Menschen auf, sich durch Buße und Askese auf das Kommen einer neuen, besseren Welt vorzubereiten. Manche von ihnen erklärten sich selbst zum Messias und ließen sich von ihren Anhängern als gottgleiche Wesen verehren.

Zweifellos ist die Art und Weise, wie man im Westen mit der globalen Klimaerwärmung umgeht, von solchen Vorstellungen geprägt. Vielleicht schließen sich die christlichen Kirchen deswegen so bereitwillig der Bewegung an. Beim ökumenischen Gottesdienst zum Tag der deutschen Einheit in Hamburg sprach der Klimaforscher Mojib Latif. Tags darauf veröffentlichte Papst Franziskus in Rom ein neues Klima-Papier. Zur Vorstellung des Schreibens haben die Verantwortlichen die deutsche Klimaaktivistin Luisa Neubauer in den Vatikan eingeladen.

In der Apostolischen Exhortation „Laudate Deum“, eine Art Fortsetzung seiner Umweltenzyklika „Laudato Si“ von 2015, bringt Franziskus einmal mehr seine „tiefe Besorgnis“ angesichts des Klimawandels zum Ausdruck. Ihm sei klargeworden, „dass wir nicht genügend reagieren, während die Welt, die uns umgibt, zerbröckelt und vielleicht vor einem tiefen Einschnitt steht“. Hier klingt der Papst wie der Apostel Paulus, der im 1. Korintherbrief schreibt: „Die Zeit ist kurz“ und: „Die Gestalt dieser Welt vergeht“. Franziskus als Prediger der Klima-Apokalypse.

Fordert Franziskus eine Weltrevolution für den Klimawandel?

Die Kritiker, die schon länger von einer „Klimareligion“ sprechen, werden sich bestätigt fühlen. Und doch ist ihre Schlussfolgerung falsch: Dass manche Warnungen vor den Folgen des Klimawandels in der Tradition christlicher Apokalyptik stehen und Teile der Klimabewegung einer Endzeitsekte ähneln, heißt ja nicht, dass es keine reale Bedrohung gäbe.

Doch mit seinem Schreiben erweist der Papst dem Anliegen des Klimaschutzes keinen Dienst. Denn sowohl die Problembeschreibung als auch die Lösungsansätze in „Laudate Deum“ sind fragwürdig. Der Papst kritisiert das „technokratische Paradigma“ und die Idee des „grenzenlosen Wachstums“. Stattdessen empfiehlt er, sich an der „Interaktion zwischen Mensch und Umwelt“ zu orientieren, wie sie in „indigenen Kulturen“ praktiziert werde. Die „großen Wirtschaftsmächte“ interessierten sich nicht für die Klimakrise, meint der Pontifex, sondern nur für „den höchstmöglichen Profit zu den geringstmöglichen Kosten“. Die bestehenden internationalen Strukturen seinen zu schwach; es brauche neue Formen der „Weltorganisation“ sowie einen „Multilateralismus ‚von unten‘“ um „Druck auf die Machtverhältnisse“ auszuüben.

Man wüsste wirklich gerne, was konkret mit all diesen Andeutungen gemeint sein könnte. Ist der Papst unter die Wachstumskritiker gegangen? Ruft er zum Technologieverzicht auf? Fordert er gar eine Weltrevolution für den Klimawandel? Und sind die 1,4 Milliarden Katholiken auf der Welt verpflichtet, sich diese Sichtweise ihres religiösen Oberhauptes zu eigen zu machen?

 

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Das sind sie gottseidank nicht. Das Zweite Vatikanische Konzil, eine große, bis heute maßgebliche Kirchenversammlung, hat in den Sechzigerjahren dazu Wichtiges festgehalten. Die katholischen Laien, so heißt es in „Gaudium et spes“, einem der wichtigsten Texte des Konzils, dürften von den Geistlichen „Licht und geistliche Kraft“ erwarten, sollten aber nicht meinen, „ihre Seelsorger seien immer in dem Grade kompetent, dass sie in jeder, zuweilen auch schweren Frage, die gerade auftaucht, eine konkrete Lösung schon fertig haben könnten oder die Sendung dazu hätten“. Vielmehr sei es die Aufgabe der Laien selbst, im „Licht der christlichen Weisheit“ Antworten auf Zeitfragen zu finden. Und das Konzil stellt klar, dass es dabei nicht immer nur eine richtige Antwort gibt: „Oftmals wird gerade eine christliche Schau der Dinge ihnen eine bestimmte Lösung in einer konkreten Situation nahelegen. Aber andere Christen werden vielleicht, wie es häufiger, und zwar legitim, der Fall ist, bei gleicher Gewissenhaftigkeit in der gleichen Frage zu einem anderen Urteil kommen.“

Der Papst ist kein Prophet und kein Orakel

Auf das Klimathema angewandt heißt das: Es ist in Ordnung, wenn Katholiken zum Umgang mit dem Klimawandel unterschiedliche Meinungen haben. Die Kirche belehrt sie darüber, dass die Natur Gottes Schöpfung ist und dass es die Aufgabe und Verantwortung des Menschen ist, sie zu bewahren. Über die richtigen Ansätze beim Klimaschutz aber brauchen sich die Katholiken von ihren Hirten nicht belehren zu lassen.

Dass der Papst für Katholiken „unfehlbar“ ist, heißt nicht, dass er auf alle Fragen die beste Antwort wüsste. Der Papst ist kein Prophet und kein Orakel. Er hat keinen besseren Draht in den Himmel und verfügt nicht über höhere Einsichten. Er ist der oberste Hüter der Glaubensüberlieferung und fungiert bei Glaubensstreitigkeiten als eine Art Letztinstanz, vergleichbar einem Verfassungsgericht in der weltlichen Rechtsordnung.

Aber die Klimaerwärmung ist keine Glaubensfrage. Deswegen braucht sie auch keine Glaubensantworten. Wie dem Problem zu begegnen ist, muss ganz profan wissenschaftlich diskutiert, gesellschaftlich ausgehandelt und politisch entschieden werden.

Natürlich freut es die Klimabewegung, wenn sich ein Religionsführer zum Sprecher ihres Anliegens macht, zumal der Papst sogar Verständnis für die „Aktionen von sogenannten ‚radikalisierten‘ Gruppen“ zeigt. Diese würden „eine Lücke in der Gesellschaft als Ganzer“ füllen, „die einen gesunden ‚Druck‘ ausüben müsste“, so der Papst.

In Wirklichkeit ist die Parteinahme des Pontifex ein Krisensymptom

Doch in Wirklichkeit ist die Parteinahme des Pontifex ein Krisensymptom. Je mehr die Gesellschaft sich säkularisiert, je mehr die Menschen ohne Religion und Kirche auszukommen meinen, desto mehr versuchen Kirchenvertreter, die Nützlichkeit der Religion unter Beweis zu stellen. Sie äußern sich zu allen möglichen Fragen, ohne dabei etwas spezifisch Christliches zu sagen. Schon zur Zeit Friedrichs des Großen riefen protestantische Prediger in Preußen die Bauern zum Kartoffelanbau auf.

So wird das Klimaschreiben zur Steilvorlage für die schärfsten innerkirchlichen Kritiker des Papstes. Die „säkulare Öffentlichkeit“, die „nicht an die Tatsache der geschichtlichen Offenbarung Gottes in Christus“ glaube, benutze „den Papst – ob er es merkt oder naiv mitmacht, ist ihnen egal – als eine Autorität (…), um die in ihren Augen rückständigen und unaufgeklärten katholischen Massen für die Neue Weltordnung 2030 zu gewinnen“, ätzte der konservative deutsche Kurienkardinal Gerhard Ludwig Müller am Tag vor der Veröffentlichung des Schreibens. Man mag Müller für einen Verschwörungstheoretiker halten, weil er das Stichwort von der „Neuen Weltordnung“ benutzt. Doch auch Franziskus neigt zu derartigen Simplifizierungen, etwa wenn er in „Laudate Deum“ raunt: „Der ethische Verfall der tatsächlichen Macht wird durch Marketing und falsche Informationen verschleiert, die nützliche Mechanismen in den Händen derer sind, die über größere Mittel verfügen, um durch diese die öffentliche Meinung zu beeinflussen.“

Eigentlich verfügt der Heilige Stuhl über hochkarätig besetzte Beratungsorgane, wie die Päpstliche Akademie der Sozialwissenschaften und die Päpstliche Akademie für die Wissenschaften, die zahlreiche Nobelpreisträger zu ihren Mitgliedern zählt. Aber deren Kompetenz muss man auch abrufen. Sonst sollten die Männer im Vatikan, deren Qualifikationen vor allem in den Bereichen Philosophie und Theologie liegen, die Beurteilung globaler politischer Fragen – ganz im Sinne des Zweiten Vatikanischen Konzils – zukünftig fachkundigen Laien überlassen.

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