Nahostkonflikt bei Miosga - „Das ist eine Eskalation in Zeitlupe“

Nach dem Angriff des Iran auf Israel diskutiert Caren Miosga mit ihren Gästen über die Frage, wie es nun weitergeht im Nahen Osten. Stehen die Zeichen auf Eskalation? Die Lage ist kompliziert.

Nahost-Runde bei Caren Miosga / Screenshot
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Autoreninfo

Ben Krischke ist Leiter Digitales bei Cicero, Mit-Herausgeber des Buches „Die Wokeness-Illusion“ und Mit-Autor des Buches „Der Selbstbetrug“ (Verlag Herder). Er lebt in München. 

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In der Nacht auf Sonntag hat der Iran seinen erklärten „Erzfeind“ Israel erstmals direkt angegriffen. Trotz 300 ballistischer Raketen und Drohnen, die der Iran dafür einsetzte, ist die Sache für Israel eher glimpflich ausgegangen. Fast alle Flugkörper wurde von der israelischen Luftverteidigung mit Hilfe der USA und anderer Verbündeten abgeschossen. Skurril wirken vor diesem Hintergrund mindestens zwei Facetten. Erstens feierten Regime-Unterstützer im Iran den Angriff dennoch, als habe er Israel hart getroffen, und auch die iranische Regierung plusterte sich im Anschluss auf. Zweitens bemühte sich der Iran anschließend dennoch darum, den Angriff klein zu reden – wohl aus Angst vor einer handfesten Reaktion Israels, von der das Mullah-Regime weiß: Macht Israel ernst, hat es ein gewaltiges Problem. 

„Zermürbungstaktik und auf keinen Fall die große Eskalation“

Caren Miosga nahm dies zum Anlass, ihr Sendungskonzept umzustellen. Bisher war stets ein Spitzenpolitiker zu Gast, mit dem Miosga dann die Hälfte der Sendung zu zweit diskutierte, um anschließend mit weiteren Gesprächspartnern eine Runde zu formen. Diesmal kam es direkt zur Gesprächsrunde, und zwar mit Bijan Djir-Sarai, Generalsekretär der FDP, der deutsch-iranischen Journalistin Natalie Amiri und dem Islamwissenschaftler und Nahost-Experten Guido Steinberg von der Stiftung Wissenschaft und Politik, der in unregelmäßigen Abständen auch für Cicero schreibt

Für Amiri war dieser Angriff ein „Tabubruch“. „Die Strategie lautet: Zermürbungstaktik und auf keinen Fall die große Eskalation“, analysierte die Journalistin. Für den Iran, fasst Amiri zusammen, sei dies ein Vergeltungsschlag gewesen. Am 1. April waren bei einem mutmaßlich israelischen Luftangriff auf das iranische Botschaftsgelände in der syrischen Hauptstadt Damaskus zwei Brigadegeneräle und fünf weitere Mitglieder der mächtigen Revolutionsgarden (IRGC) getötet worden. Irans Staatsspitze hatte daraufhin wiederholt Vergeltung angekündigt.   

Nahost-Experte Steinberg sieht das ähnlich. Er sieht den Angriff vom Sonntag primär als Zeichen der iranischen Regierung an die eigenen Hardliner, vor allem an die Revolutionsgarden, „die seit einigen Monaten mitbekommen, wie ihre Kollegen im Irak und in Syrien getötet werden“. Das sei „die Botschaft nach innen“ gewesen. Die Botschaft nach außen sei, so Steinberg, dass man keinen großen Krieg mit Israel wolle. Denn: „Wenn die Iraner wirklich hätten Schäden anrichten wollen, hätten sie die Hisbollah im Libanon losschicken können.“ 

„Sie haben ein Interesse daran, die Region zu zermürben“

Welche Folgen wird der Angriff vom Wochenende für die Region haben? Könnte es zu dem vielbeschworenen „Flächenbrand“ kommen? FDP-Mann Djir-Sarai sprach von einem „ungewöhnlichen Schritt“, auch von einem „Test“, wie stark die israelische Abwehr sei. „Ich persönlich glaube nicht, dass der Iran in dieser Form weitermachen wird. Aber ich halte es schon für realistisch, dass die Vertreter des Irans in der Region diesen Krieg – in anderer Form, aber stellvertretend – fortführen.“
 

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Für Amiri ist klar: „Sie haben ein Interesse daran, die Region zu zermürben.“ Auch daran, Israel in einen „Mehrfrontenkrieg hineinzuziehen“. Allerdings, gab Amiri zu bedenken, stünden im Iran längst nicht alle Menschen hinter einem solchen Angriff. Im Gegenteil. Schließlich war es in jüngerer Zeit vermehrt zu Protesten der Regime-Gegner im Land gekommen. Diese wenden sich nicht nur gegen die Übergriffigkeit des Regimes gegen die eigene Bevölkerung, sondern auch gegen finanzielle Unterstützung befreundeter Extremisten und Militärs in der Region. „Die Zustimmung innerhalb der Bevölkerung ist nicht mehr vorhanden, nur noch die der Schergen“, so Amiri. 

„Die Iran-Strategie der letzten Jahre war außerordentlich naiv“

Einigkeit herrschte auch bei der Frage, ob der Westen und insbesondere Deutschland in den vergangenen Jahren einen strategisch klugen Umgang mit dem Iran an den Tag legten. Die Antwort: nein. „Die Iran-Strategie der letzten Jahre war außerordentlich naiv“, so Djir-Sarai. Steinberg sieht zwar das Atomabkommen mit dem Iran als „Fortschritt“, gleichzeitig sei es ein „schwerer Fehler“ gewesen ab dem Jahr 2015 nicht zu reagieren, als der Iran seine Expansion in der Region mit der Hilfe von terroristischen Gruppierungen vorantrieb. Eine Reaktion der Europäer sei ausgeblieben, so Steinberg, „und dann kam auch noch Donald Trump dazu“. 

„Das ist eine Eskalation in Zeitlupe, was wir hier beobachten“, so Amiri. Konsequenzen hätte das Regime nie erfahren trotz etwa des Terrors gegen die eigene Bevölkerung. „Der iranische Botschafter wird nicht ausgewiesen und iranische Banken haben hier (in Deutschland) immer noch guten Handelsverkehr. Extreme Summen fließen bei jeder Eskalation aus dem Iran über deutsche Banken.“ Der Iran habe sich von Jahr zu Jahr radikalisiert und dennoch reiche der Arm des Regimes heute auch bis in die Bundesrepublik. „Schergen des Regimes halten sich auch in Deutschland auf“, kritisierte Amiri. 

„Raketen, Rüstung und Atomprogramm“

Wie wird Israel nun reagieren? Das ist eine der großen Fragen, die seit Samstagnacht im Raum stehen. Schließlich ist Israel bereits in einen Krieg verstrickt, in jenen gegen die Hamas. „Zumindest muss man sagen, dass die Israelis nicht reagieren müssen. Es ist nichts passiert, was die Regierung Netanjahu zwingen würde, nun die Iraner direkt anzugreifen“, so Steinberg. Man müsse auch bedenken, dass Israels Steitkräfte in den vergangenen Jahren weit mehr als tausend Luftangriffe auf iranische und mit dem Iran verbündete Ziele geflogen haben. Was sich jedoch verändert haben könnte, sei das „strategische Kalkül“ Israels. Denn die Angriffe hätten die Themen „Raketen, Rüstung und Atomprogramm“ wieder hervorgebracht im strategischen Denken Israels. 

Die Angriffe veränderten zudem das Kalkül hinsichtlich der Hisbollah im Libanon, glaubt Steinberg. Bisher greife die Hisbollah nur die Grenzregion an und schaue genau darauf, welchen Schaden sie dabei anrichten, um die Israelis nicht zu stark zu provozieren. Noch ein wichtiger Punkt komme laut Steinberg aber hinzu: „Wir haben gesehen, dass die Rolle der Amerikaner ungeheuer wichtig war“, so Steinberg, da diese die ersten Drohnen abgefangen hätten. „Was ist denn, wenn die Amerikaner mal nicht mehr so stark vertreten sind?“ Vor diesem Hintergrund könnten sich die Stimmen in der israelischen Regierung mehren, einen Präventivschlag gegen die Hisbollah im Libanon durchzuführen.

„Wenn eine Supermacht keine Supermacht mehr ist“

Diskutiert wurde daher auch über die USA. Dort wird im November der nächste Präsident gewählt. Und die Unterstützung der Amerikaner für Israel bröckelt, da es infolge der massiven Reaktionen Israels auf den Hamas-Terror vom 7. Oktober des vergangenen Jahres großen Druck auf Joe Biden aus den eigenen Reihen gibt. Allein die Wahrnehmung vieler Länder im Nahen Osten, dass sich die Amerikaner womöglich aus der Region zurückziehen wollen, verändere die Situation, so Steinberg. „Ich glaube, dass wir jetzt beobachten können, was passiert, wenn eine Supermacht keine Supermacht mehr ist“, sagte er mit Blick auf die USA. Womöglich, so Steinberg, erleben wir gerade den Anfang vom Ende der Epoche der amerikanischen Hegemonie im Nahen Osten. „Ganz viele Regionalstaaten, ob sie nun verbündet sind mit den USA oder nicht, tun dort heute, was sie wollen.“ 

Vor diesem Hintergrund forderte Djir-Sarai gegen Ende der Sendung noch, dass sich Europa künftig stärker in der Region wird engagieren müssen. Gleichwohl gab er mit Blick auf etwa den Terror der Hamas in der Region zu bedenken: „So lange ein Staat wie die Islamische Republik in der Lage ist, Terrororganisationen dieser Art zu finanzieren, zu unterstützen, werden wir den Terrorismus nicht bekämpfen können. (...) Die entscheidende Frage ist, wie gehen wir künftig mit Teheran um?“ Nach Steinberg führe hier kein Weg an einer „ganz entschlossenen Eindämmungspolitik“ vorbei. Es müsse ein entsprechendes Bündnis geschaffen werden, so Steinberg, die dem Iran entschlossen entgegentrete. Mit den USA, mit den europäischen Ländern, mit Israel – und weiteren Ländern der Region. 
 

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