Literaturen im April - Afrika, Ambivalenz, Auslöschung

Howard French öffnet den Blick für den afrikanischen Kontinent, Judith Hermann redet übers Schweigen, Andreas Maier nähert sich einem Trümmerfeld, und Siri Hustvedt wandelt im Mehrdeutigen.

Literaturen im April / dpa
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Die Entstehung der modernen Welt

Howard French schiebt in seinem grandiosen Buch das Elendsbild eines unmündigen Kontinents zur Seite und öffnet den Blick auf ein Afrika der großen Reiche und Hochkulturen.

Wenn man in deutschen Lektoraten und den Vertriebsabteilungen der Verlage nur die Finger von Originaltiteln lassen würde! Denn sicherlich geht es in dem jetzt auf Deutsch erschienenen grandiosen Buch des amerikanischen Publizisten und Historikers Howard French um Afrika; es geht auch um die Rolle, die dieser Kontinent und seine Kulturen bei der Entstehung der modernen Welt spielten, und selbstredend um den entscheidenden Anteil, den die Millionen in die Sklaverei gezwungenen Afrikaner am Wohlstand der westlichen Welt hatten. Aber in seinem Kern will dieses Buch den Nachweis erbringen, dass die Idee des Schwarzen Atlantiks eben keine postkoloniale Schimäre ist, sondern ein bis in unsere Gegenwart hineinreichendes Schlüsselkapitel für die Entstehung unserer modernen, globalisierten Welt. 

Wir wissen beschämend wenig davon. Und das will der Autor energisch ändern, der sich als Nachfahre einer Familie von Baumwollpflückern, von Share­croppern aus dem Mississippi-­Delta, dem Herzland des Delta Blues und des Cotton Belts, auf die Suche nach seinen amerikanischen, aber gleichermaßen nach seinen afrikanischen Wurzeln begeben hat. „Born in Blackness“, wie der Titel im amerikanischen Original heißt, ist keine weitere Folge schwarzer Identitätssuche, keine vordergründige Anklage der bis heute fortdauernden Diskriminierung, auch kein Beitrag zur Bürgerrechtsdebatte oder zu dem Ringen um eine diverse Gesellschaft. Dieses beeindruckende Buch, dem eine jahrzehntelange Recherche und Spurensuche auf drei Kontinenten vorausging, ist der hoch ambitionierte Versuch, ein dramatisch unterschätztes Kapitel transatlantischer Beziehungen zu rekonstruieren, das wir bis heute nicht angemessen einzuordnen wissen. 

Eine Chronologie

Es geht dabei um nichts Geringeres als die Anfänge des modernen Westens; nicht als Himmelsrichtung verstanden, sondern als zivilisatorisches Projekt. Sie liegen in Afrika oder genauer gesagt in dem über Jahrhunderte unerschöpflichen Strom restlos verwertbarer schwarzer Körper, die als Sklaven auf den Zuckerrohr- und später den Baumwollplantagen die Anschubfinanzierung erbrachten für den Weg des Westens in die kapitalistische Moderne. „Africa, Africans, and the Making of the Modern World“ heißt daher auch der unprätentiöse Untertitel dieses Geschichtsbuchs, das aus der persönlichen Erfahrung erwachsen ist, aber eben weit darüber hinausreicht. 

Man kann die Lektüre deshalb mit der Lebensgeschichte des Autors beginnen, die nur ein winziges, aber wichtiges Kapitel am Ende des Buches ausmacht. Man wird dort die Familienidylle in Brownland, einem kleinen Ort in Virginia, kennenlernen und die Kindheitserinnerungen an die eigenen Vorfahren, deren Linie sich bis in die Tage Thomas Jeffersons zurückverfolgen lässt. Man sollte dann allerdings nebenher Muddy Waters hören und Zora Neale Hurstons zu Herzen gehenden Roman „Barracoon“ in Griffweite legen, jene Geschichte des letzten auf einem Sklavenschiff verschleppten Afrikaners Oluale Kossola, der sich Cudjoe Lewis nannte.

Man kann Frenchs Buch aber auch chronologisch beginnen, mit den ersten Versuchen der portugiesischen Seefahrer, auf dem afrikanischen Kontinent Fuß zu fassen; mit den alten Königreichen dort, deren Macht- und Prachtentfaltung so überhaupt nicht ins übliche Bild der Völker ohne Geschichte passt; mit dem legendären Kaiser Abu Bakr II. aus dem sudanischen Reich Mali etwa, der an der Wende zum 14. Jahrhundert „besessen“ von der Idee war, die westlichen Grenzen des Atlantischen Ozeans mit dem Schiff zu erreichen, „mehr als anderthalb Jahrhunderte, bevor sich Kolumbus von Andalusien aus in die Neue Welt aufmachte“.

Eine transkontinentale Geschichte

Natürlich ist die Quellenlage dafür dürftig, und man wird French an der einen oder anderen Stelle seines Buches vorwerfen können, den belegbaren Überlieferungen seine Grundüberzeugungen auferlegen zu wollen. Aber das ändert trotzdem nichts an der Bedeutung jenes südatlantischen Wirtschafts- und Kommunikationsraums, dessen Funktion lange Zeit zugunsten anderer geostrategischer Blickrichtungen ausgeblendet wurde. French schiebt den Vorhang des 19. Jahrhunderts beiseite und damit die Elendsbilder eines unmündigen und ausgeplünderten Kontinents. Und zum Vorschein kommt ein Afrika der großen Reiche und Hochkulturen, das dem frühneuzeitlichen Europa wenigstens vergleichbar war, wenn nicht im Einzelfall sogar überlegen.

Es sind gleich mehrere vertraute Perspektiven, die French umzulenken versucht: das Bild Afrikas als eines geschichtslosen, passiven Kontinents, in dem schwarze Menschen nicht viel mehr als den Rohstoff darstellten für den Fortschritt einer glorreichen weißen Moderne. Aber auch das Selbstverständnis der weltweiten europäischen Expansion, die sich eben nicht der alleinigen Durchsetzungsfähigkeit der imperialen westlichen Welt verdankt, sondern den Kapitalströmen aus dem Süden.

French versucht dabei nicht, die „weiße“ Geschichte der USA „schwarz“ zu überschreiben. Er lenkt den Blick auf die vernachlässigten Ränder des globalen Südens. Die Sklavenrouten in die Karibik und der unermessliche Reichtum, der auf den Zuckerplantagen der karibischen Inseln und später den Baumwollfeldern im Cotton Belt erwirtschaftet wurde, bilden das eigentliche Kraftzentrum einer frühmodernen kapitalistischen Welt. Als die Holländer den schwarzen Atlantikhandel entdeckten, sprachen sie nicht ohne Grund vom „Groot Desseyn“. 

Wenn man so will, dann hat French eine transkontinentale Geschichte Afrikas geschrieben; hat dem globalen Süden einen Teil seiner historischen Erinnerung wiedergegeben, bevor dieser sich postkolonial von Neuem erfand. Und ganz nebenbei lässt er ein anderes Verständnis jener kolonialen Raubkunst entstehen, für die das Erbe des Benin exem­plarisch ist. Wir sollten diese Bronzen, die zum Teil gar keine Bronzen sind, nicht zu autochthonen Zeugnissen der afrikanischen Seele verklären. Sie waren Teil eines schon vor Jahrhunderten zirkulierenden Sklavenhandels und Warenverkehrs und einer verflochtenen frühkapitalis­tischen Welt. Johann Michael Möller

Howard W. French: Afrika und die Entstehung der modernen Welt. Eine Globalgeschichte. Klett-Cotta, Stuttgart 2023. 512 Seiten, 35 €

 

„Schreiben heißt auslöschen“

Judith Hermann erzählt leichthändig und subtil vom Erzählen und Verschweigen.

Die Fassade schmucklos, die Einrichtung spärlich. Schatten huschen durch die Zimmer, ohne sich zu berühren. Tabakrauch hängt in den Gardinen. Eine gedämpfte Bluesgitarre ist zu hören. Ein Gespenst hält das Sommerhaus zusammen, man sieht es nicht, man ahnt es nur. So wie dieses Haus sind fast alle Geschichten in den sechs Büchern von Judith Hermann. 

Die sprachasketische Kuration ihres Lebensgefühls hat der 1970 geborenen Autorin zwischen gefeiertem Erzähldebüt („Sommerhaus, später“, 1998) und einhellig gelobtem Roman („Daheim“, 2021) teilweise harsche Kritik eingebracht. Die Windstille der Handlung. Ein Figurenpersonal, das sich nur für die Fusseln im eigenen Bauchnabel interessiert. Die Autorin erzähle voller Wehmut von Belanglosigkeiten, weil sie im Grunde nichts zu erzählen habe, so hieß es. Die letztjährige Frankfurter Poetikvorlesung von Judith Hermann lässt sich auch als poetisch-poetologische Replik auf solcherlei Anwürfe verstehen: kein schnöder Werkstattbericht, keine graue Literaturtheorie fürs Germanistikseminar, sondern ein Erzählen vom Erzählen. 

In der Buchausgabe „Wir hätten uns alles gesagt“ ist daraus ein selbstreflexiver Künstlerroman in drei Teilen geworden. Ein Erzählerinnen-Ich gibt Auskunft als Autorinnen-Ich. Die Judith Hermann, der wir hier begegnen, erinnert sich an das Schweigen und Erzählen in ihrer Psychotherapie und vergleicht es mit dem Geschichtenschreiben. Sie erinnert sich an die Liebe zu Ada, gegen die sie sich entschieden habe, so wie man sich gegen einen Satz entscheidet („Schreiben heißt auslöschen“). An die Aufbahrung eines toten Freundes, von der sie erst erzählen könne, wenn sie am Glutkern der Geschichte vorbei erzählen kann. An eine Holzpuppe aus ihrer Kindheit, die alle ihre Frauenfiguren inspiriert haben könnte. Und überhaupt erinnert sie sich an ihr Aufwachsen in belastenden Familienverhältnissen, das Schreiben sei an diese Zeit geknüpft. „Eindrücke, Empfindungen, Gedanken, Ahnungen aus einem Damals.“ 

Wie viel ist real?

Die Erinnerungen sind verbunden durch wiederkehrende Motive: ein Haus am Meer, Träume, ein Kasperletheater, Gefühlskonstanten wie Einsamkeit, Depression und Sehnsucht. Stets entwickelt die Autorin-Erzählerin ihre Gedanken über das Schreiben aus dem erinnernden Erzählen selbst, leichthändig und subtil. 

Wie viel in Judith Hermanns neuem Buch tatsächlich autobiografisch, wie viel autofiktiv ist, lässt sich nicht ermessen. Vielleicht sind ihre bewegenden Lebensanekdoten nichts als Erzählungen. Eine Täuschung, die vom Eigentlichen ablenkt. Ein Zaubertrick, der nicht verraten wird. Wer ein Geheimnis hütet, nutzt die Lösch- öfter als die Eingabetaste. Bis das Gespenst im Hauskeller unsichtbar wird. Bis in der organischen Verbindung von Erlebtem, Erdachtem und Erträumtem nichts mehr richtig ist, aber alles wahr.

Am Ende stehen wir nicht enttäuscht, doch wohl getäuscht. Und alle Fragen offen: War es so, war es anders, war es gar nicht? Was hat die Autorin, nein, was hat die Erzählerin diesmal verschwiegen? „Wir könnten doch aufmachen“, meint ihr Freund Jon im letzten Teil. Es hätte bedeutet, das Schreiben abzuschließen. Ein Glück, dass sie schwieg. Jérôme Jaminet

Judith Hermann: Wir hätten uns alles gesagt. S. Fischer, Frankfurt 2023. 192 Seiten, 23 €

 

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Heimat, deine Abgründe

Dem Schriftsteller Andreas Maier geht man immer wieder gerne auf den Leim.

Dass in Andreas Maiers Roman­zyklus „Ortsumgehung“ alles nicht so „einfach kompliziert“ ist, wie es zunächst den Anschein hatte, sondern mindestens doppelt zusammengefaltet, wird mit jedem Band deutlicher. Dieses Großprojekt, gestartet 2010, stellt Neoheimat- und Entwicklungsroman gleichermaßen auf die Probe. Seine ersten Teile hatten die Wetterau als Herkunftsgegend des 1967 geborenen Autors mit viel Liebe zum Detail aufgebaut. Ins Gedächtnis gerufen wurde eine in vielem typische Boomerkindheit und -jugend in der westdeutschen Provinz bis hin zu den Studienjahren in Frankfurt. 

Scheinbar ungeordnet erinnert, wurde das Unspektakuläre zum Stoff eines Erzählens auf der Suche nach der verschwundenen Heimat und der verlorenen Zeit, dessen großer Reiz im Verschwimmen der Grenzen zwischen (Selbst-)Ironie und Bekenntnis liegt. 

Doch im siebten Band, „Die Familie“, zündete Maier unter der ohnedies nicht wirklich heilen Welt, in der Ich-Erzähler wie Leserschaft sich mit grimmigem Behagen häuslich eingerichtet hatten, einen Sprengsatz: Das verdrängte Wissen, dass die eigenen Altvorderen sich in der Nazizeit an jüdischem Eigentum bereichert hatten, verwandelte alles bis dahin Aufgebaute in einen moralischen Schutthaufen. 

Gelungener Erinnerungsdiskurs

Im jetzt erscheinenden neunten Roman „Die Heimat“ nähert Maier sich dem Trümmerfeld, indem er die Kindheits- und Jugenderinnerungen einer Neubesichtigung unterzieht. Orientierungspunkt ist auch hier die Frage nach dem, was fehlt. Wieder geht es um das Verschüttgegangene, wieder markieren grausam-komische Szenen etwa aus dem Religionsunterricht bei der Martyriums-Expertin Schwester Adelheid die Fallhöhe zu den angerissenen großen Fragen und letzten Dingen. Vor allem aber spürt Maier die Leerstellen auf, die kollektives Verschweigen hinterlässt. 

So findet sich in den 1990ern zwar viel Fachliteratur zur Stadtgeschichte in der Friedberger Buchhandlung, aber in all diesen Büchern „kamen keinerlei Juden vor“. Woran die mediale Konjunktur des Themas, von der „Holocaust“-Serie bis zu den ungezählten Hitler-Dokus, nichts änderte. Die Shoah schien in einem Paralleluniversum verübt worden zu sein, denn „so wie in meiner Familie niemals drüber geredet wurde, so wurde überhaupt in Friedberg niemals geredet“. 

Maier verbindet den verspäteten, oft misslingenden Erinnerungsdiskurs mit dem Fall der Mauer samt Jugendliebe zur Ost-Cousine, versetzt seinen Ich-Erzähler zurück in das jüngere Ich seiner Erinnerung, lässt ihn das Haus seiner Kindheit in Bad Nauheim zum „privaten Familienmuseum“ herrichten. Die Erleuchtung in Sachen Heimat, quasi einen proustschen Madeleine-Moment, erlebt sein Alter Ego im Herrenklo des zu seiner Überraschung noch immer existenten „Forsthauses Winterstein“. 

Das wirkt, vielleicht abgesehen von dieser arg gewollten Pissrinnen-Epiphanie, etwas gewürfelt – und deshalb umso lebensnäher. Ob das nun autobiografisch ist oder autofiktional oder erfunden und übertrieben, ist zum Glück unerheblich. Ein „Wahrheitsfanatiker“ (Maier über Thomas Bernhard) ist dieser Autor nämlich nicht, vielmehr ein Realienjongleur und Illusionskünstler, dem man nur zu gern auf den Leim geht. Julia Schröder

Andreas Maier: Die Heimat. Suhrkamp, Berlin 2023. 245 Seiten, 22 €

 

Grenzgängerin der Disziplinen

Siri Hustvedt erweist sich erneut als große Intellektuelle.

Vier Linien in einer runden Steinplatte, die sich in einem Punkt in der Mitte berühren. Dort, wo die Grenzen von Arizona, Colorado, New Mexico und Utah zusammentreffen. Wer sich, wie Siri Hustvedt es als Kind getan hat, auf den Kreis legt, befindet sich gleichzeitig in vier amerikanischen Bundesstaaten. Für Hustvedt ist diese Erinnerung an einen Ausflug zum Four Corners Monument Ausgangspunkt, um über Grenzen und Trennungen nachzudenken, natürliche und willkürliche. Ein Thema, das sich durch gleich mehrere Aufsätze ihres beflügelnden neuen Essay-Bandes „Mütter, Väter und Täter“ zieht. 

Hustvedt vergleicht die Vorstellungen und Ängste, die wir mit Grenzen verbinden, Landesgrenzen wie Körpergrenzen. Und beschreibt die gefährliche Sehnsucht nach Reinheit und die Furcht vor dem Eindringen von etwas Fremdem, vor unkontrollierbaren Vermischungen, seien es Flüchtlinge, die ins Land kommen, Körpersäfte oder Krankheiten. Doch ist nicht der Körper selbst schon ein Mischwesen, wie Hustvedt schreibt, bewohnt von unzähligen Mikroben? 

Hustvedt selbst ist eine Grenzgängerin, die jede trennscharfe Scheidung der Disziplinen ignoriert. Ihr Interesse gilt neben der Literatur und der Kunst genauso der Philosophie, der Psychoanalyse, den Neurowissenschaften und der Molekulargenetik, die alle auf ganz eigene Weise danach fragen, wer wir sind. Indem Hustvedt diese Perspektiven zusammenführt, gelingt ihr ein ganz neuer Blick auf das, was uns ausmacht. Einmal mehr erweist sich Hustvedt nicht nur als elegante Schriftstellerin und Essayistin, sondern auch als große Intellektuelle.

Auf den Spuren der Graubereiche

Ihr Essay-Band ist ein sehr persönliches Buch geworden. Ihre norwegische Familie ist Ausgangspunkt ihrer Reflexionen und Exkursionen. Das sind weit mehr als biografische Erkundungen, Hustvedt sucht, was fehlt in den gemeinsamen Erzählungen. Um zu verstehen, „dass das Ungesagte ebenso laut spricht wie das Gesagte“. Die Auslassungen betreffen die Frauen in der Familie. 

Immer wieder ist es das Thema Weiblichkeit, auf das ihre Essays zuführen. Wenn sie in einem Text bewegend zärtlich von ihrer Mutter Abschied nimmt, die die ersten 30 Jahre ihres Lebens in Norwegen verbracht hat, davon fünf Jahre unter Nazibesatzung.

Oder wenn sie den Ursprüngen von Misogynie nachgeht oder der verhängnisvollen Vorstellung vom Mann als Vertreter von Geist und Kultur, der Frau von Körper und Natur. Der Abwertung weiblicher Intellektualität, der Unsichtbarkeit von Frauen oder der Frage, warum die Geburt im westlichen Kanon der Malerei keinen Platz hat. 

Immer wieder sind es die Auslassungen, denen sie nachgeht. Und die Graubereiche, das Zweideutige. Der Künstlerin Louise Bourgeois hat sie einen leidenschaftlichen Essay gewidmet, in dem sie neben dem Schmerz, der ihre Kunst geprägt hat, auch deren Witz und Ironie würdigt. In Bourgeois’ Werken vermischen sich Männlichkeit und Weiblichkeit, sie bewegen sich zwischen Verschmelzung und Trennung, innen und außen. Auf der Grenze. Genau wie Hustvedts Schreiben.
Ihr Feminismus ist kein belehrender, sondern ein gelehrter, ein fragender. Hustvedts Gedanken führen ins Uneindeutige, dorthin, wo Gewissheiten und Grenzen durchlässig werden. Ulrike Moser

Siri Hustvedt: Mütter, Väter und Täter. Rowohlt, Hamburg 2023. 448 Seiten, 28 €

 

Dieser Text stammt aus der April-Ausgabe des Cicero, die Sie jetzt am Kiosk oder direkt bei uns kaufen können.

 

 

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