Letzte Generation - Der Wipfel der Dummheit

Am Pariser Platz in Berlin hat die „Letzte Generation" mit Handsäge und Hebebühne den wohl bekanntesten Christbaum der Republik kastriert. Eine typische Verwechselung von Zeichen und Realität.

Auch eine Hebebühne ist eine Bühne / dpa
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Autoreninfo

Ralf Hanselle ist stellvertretender Chefredakteur von Cicero. Im Verlag zu Klampen erschien von ihm zuletzt das Buch „Homo digitalis. Obdachlose im Cyberspace“.

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Weihnachten ist eine prima Performance Area. Jeder Mensch sein eigenes Krippenspiel. Und das alle Jahre wieder: Band Aid und Bob Geldof schwingen noch einmal die große Glocke für Äthiopien, John Lennon klampft sein „Happy X-Mas“ durch die War Zones und Warenhäuser dieser Welt, und auf dem Pariser Platz in Berlin stutzen zwei bemützte Weihnachtsengel in orangener Warnweste den großen Kugelbaum vor dem Brandenburger Tor. Alles ganz wie im alten Christmas Carol vom Weihnachtsbaume: „Als spräch’ er: wollt in mir erkennen / Getreuer Verzweiflung stilles Bild“. Von 15 Metern jedenfalls ging es gestern für die große Nordmanntanne am Rande der Botschaften Frankreichs und der USA festlich, lieb und mild auf 13 Meter runter. Und zwei Klimakleberinnen von „Letzte Generation“ in luftigen Höhen und mit lockigem Haar jaulten dazu in hysterischem Chor: „Dies ist nur die Spitze des Weihnachtsbaumes! Wir sehen bisher nur die Spitze der darunter liegenden Katastrophe.“

So also ist es guter Brauch von Jahr zu Jahr: Wenn die Nacht am dunkelsten ist, erstrahlt nicht nur das Licht der Weihnacht, auch der Scheinwerfer für die ichbezogene Selbstdarstellung leuchtet zu dieser Zeit am aller hellsten. Selbst ein Weihnachtsbaum kann dann schnell zum pieksenden Vehikel narzisstischer Selbstbezogenheit werden. Dabei geht es vordergründig natürlich einzig um das Heil der Welt. Denn, so die Klima-Botschaft vom Klebe- und Säge-Engel Lili Gomez im Schatten der Lichter des geschundenen Baumes: „Während ganz Deutschland die Woche damit verbringt, die besten Geschenke aus den größten Läden zu besorgen, fragen sich andere, woher sie ihr Wasser zum Trinken bekommen, nachdem Dürren und Fluten ihre Ernte vernichtet haben.“ Oder, wie es bereits 1983 stark beswingt und von eigener Moral besoffen eine Kombo um Bono und Bob Geldof in die Stille der heiligsten aller Pop Nights belcantierte: „There won’t be snow in Africa this Christmas time.“

Erst wenn der letzte Tannenbaum gefällt ist ...

Es ist also die immer gleiche Botschaft inmitten der immer gleichen Welt aus Furcht und Angst: „Die Zeit, zur Besinnung zu kommen, ist jetzt!“ So pastoral war es auch gestern wieder in einem Bekennerschreiben von „Letzte Generation“ auf Twitter zu lesen. Und dennoch gilt natürlich auch heuer das große Wort des Trostes, das in Berlin aber längst zur Floskel einer Beschwichtigung verkommen zu sein scheint: Fürchtet euch nicht! Mag Deutschland auch gerade heiß darüber diskutieren, ob im Zentrum seiner Demokratie nicht mehr Schutz und Sicherheit einkehren müsste, so heißt das doch noch lange nicht, dass man nicht 500 Meter vom Reichstag entfernt gelegentlich auch mal eine Hebebühne ankarren kann, um in vorweihnachtlicher Ruhe und unter dem gelassenen Blick eines Schutzmanns das städtische Tannicht zu beschneiden. Dort droben nämlich, in direkter Nähe zu den himmlischen Heerscharen, leuchtet das Licht der Aufmerksamkeitsindustrie am allerhellsten. Wie heißt es schließlich schon in dem alten Lied vom Weihnachtsbaume: „O fröhlich-seliges Entzücken: Die Alten schauen himmelwärts!“

 

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„O Tempora, o Tannenbaum!“, will man da nur noch entnervt entgegnen. Derlei gibt es wirklich nur in Berlin. Denn was juckt es schon eine Stadt ohne Stadtgesellschaft, wenn ihr eigentlich heiligster Baum kurz vor der Heiligen Nacht offen und vor aller Augen mit einer Handsäge kastriert wird – und das auch noch von Angehörigen einer Gruppe, gegen deren Mitglieder es gerade erst eine bundeweite Razzia mit dem Vorwurf „Bildung und Unterstützung einer kriminellen Vereinigung“ gegeben hat? Der Sponsor des Baumes jedenfalls, der Strom- und Gasanbieter Lekker Energie, schien gestern fast schon froh darüber gewesen zu sein, dass endlich einer Hand angelegt hat an das olle Immergrün, das einst selbst in tiefster Winternacht noch von Licht und Hoffnung künden wollte: „Wir können die Sorge nachvollziehen, die sich Menschen um die Folgen des Klimawandels machen und deshalb für mehr Klimaschutz protestieren“, so Unternehmenssprecher Josef Thomas Sepp im Angesicht der geholzten Christbaumspitze.

Man kann es wirklich nicht mehr fassen. Sollte dieses kleine Sägewerk in den Händen zweier Himmelsboten wirklich die Antwort auf die Komplexität von Klimawandel und Erderwärmung sein? Nein, es wird wohl ein böses Erwachen geben. Denn erst wenn der letzte Tannenbaum gefällt ist, werdet ihr merken, dass man die Temperaturamplitude nicht einfach absägen kann!

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