KI-Moratorium? - Künstliche Intelligenz ist die Atombombe

Ein KI-Moratorium, wie es unter anderem Elon Musk vorschlägt, soll dafür sorgen, dass die segenbringenden Aspekte dieser Technologie zur Anwendung kommen und die gefährlichen verboten werden. Doch das suggeriert eine Beherrschbarkeit dieser Technologie, die illusorisch ist. 

Eine gnadenlos artifizielle Welt, in der der Mensch nur noch lästige Biomasse ist / dpa
Anzeige

Autoreninfo

Alexander Grau ist promovierter Philosoph und arbeitet als freier Kultur- und Wissenschaftsjournalist. Er veröffentlichte u.a. „Hypermoral. Die neue Lust an der Empörung“. Zuletzt erschien „Vom Wald. Eine Philosophie der Freiheit“ bei Claudius.

So erreichen Sie Alexander Grau:

Anzeige

Ende März veröffentliche das Institut Future of Life einen offenen Brief, in dem führende Tech-Unternehmer und Wissenschaftler eine sechsmonatige Denkpause bei der Weiterentwicklung künstlicher Intelligenz fordern, darunter Tesla-Chef Elon Musk und Apple-Mitgründer Steve Wozniak. Ist ein KI-Moratorium sinnvoll? Die KI meint: Jein. Auf die entsprechende Frage antwortet unser neues Lieblingsspielzeug ChatGPT: „Befürworter eines KI-Moratoriums argumentieren, dass es sinnvoll sein kann, die Entwicklung und den Einsatz von KI zu begrenzen, um potenzielle Risiken und Auswirkungen von KI auf die Gesellschaft zu verstehen und zu bewerten, bevor sie weiter verbreitet wird.“ Dabei sieht ChatGPT vor allem folgende kritische Punkte: 

Im Bereich Sicherheit berge die KI mit Blick auf autonome Waffen und selbstfahrende Fahrzeuge Risiken. Zudem könne die KI zur Überwachung der Bürger missbraucht werden, für Verwerfungen auf dem Arbeitsmarkt sorgen und qua Fehlinformationen und Deepfakes auch politische Entscheidungsprozesse negativ beeinflussen. 

ChatGPT beendet seine Ausführungen mit der Bemerkung: „Es ist wichtig zu beachten, dass es keine eindeutige Antwort auf diese Frage gibt und die Debatte über ein KI-Moratorium weiterhin fortgesetzt wird. Es erfordert eine sorgfältige Abwägung der potenziellen Vor- und Nachteile sowie eine umfassende Analyse der spezifischen Risiken und Auswirkungen von KI, um zu entscheiden, ob ein KI-Moratorium sinnvoll ist oder nicht.“ 

Die sozialen, politischen und psychologischen Folgen der KI sind katastrophal

Sagen wir mal etwas salopp: Doof ist die KI nicht. In ihrem kleinen Aufsatz versammelt sie all jene Argumente, die einem auch ein durchschnittlicher Medienethiker oder die nächste Lehrstuhlinhaberin für digitale Transformationen bei entsprechender Anfrage präsentieren würde. Geistiger Mainstream der langweiligsten Sorte. Die Konsequenz: Entsprechende Stellen irgendwelcher Bindestrich-Soziologen oder -Ethiker sind die ersten, die man schon heute ohne Verlust intellektueller Substanz streichen kann. Danke KI! Doch das nur nebenbei. 

Das bedeutet allerdings zugleich: Die KI ist sehr wohl doof. Zumindest noch. Denn solange KI bedeutet, den intellektuellen Einheitsbrei menschlicher Gehirne aufzubereiten und zusammenzufassen, kann man das I aus KI getrost streichen und durch ein E ersetzen: Künstliche Einfalt. Die aber brauchen keiner. Die menschliche Einfalt reicht vollkommen aus. 

 

Mehr aus der Grauzone:

 

Vor allem aber tappt die KI, einfältig wie sie ist, in die Falle aller ähnlich gelagerten Debatten: Sie suggeriert Alternativen. Der dabei zugrundeliegende Gedanke scheint auch naheliegend. Er lautet: So wie bei der Kerntechnik oder der Gentechnologie gibt es auch im Falle der KI eine nützliche Anwendung und eine gefährliche. Mit Hilfe von Moratorien, Gremien, Gesetzen und Abkommen kann man dafür sorgen, dass die segenbringenden Aspekte dieser Technologie zur Anwendung kommen und die gefährlichen verboten und geächtet werden. Kernkraftwerke ja, Atombombe nein. Das Problem ist nur: Die KI ist nicht die Kerntechnologie, sie ist die Atombombe! 

Mit anderen Worten: Die KI ist unkontrollierbar. Ihre sozialen, politischen und psychologischen Folgen sind katastrophal. Eine Trennung in wünschenswerte Aspekte dieser Technologie und mögliche Gefahren ist naiv. Denn KI, einmal großflächig implantiert und vernetzt, lässt sich weder einhegen noch sonstwie begrenzen oder aufhalten. Mehrstufige KI-Systeme, bei der eine KI auf andere KI-Ressourcen zurückgreift, mit diesen „kommuniziert“ und Informationen auswählt, formuliert, sortiert oder gewichtet, Entscheidungen trifft oder Prozesse einleitet, ist nicht mehr steuerbar. Schon aus systemischen Gründen wird sie bald die Grundlage definieren, aufgrund derer sie sich selbst anwendet. Und das ist fast noch das geringste Problem. 

Es gibt kaum eine Arbeit, die KI nicht ersetzen kann

Das größte ist die Herausforderung für unsere Gesellschaft. Denn es gibt kaum eine Arbeit, Pizzaboten und Amazon-Fahrer vorläufig ausgenommen (aber autonom fahrende Vehikel sind auch nur eine Frage der Zeit), die KI nicht ersetzen kann. Gerade auch in den sogenannten „kreativen“ Berufen. Die faden Einheitsbauten unserer Neubauviertel etwa bekommt auch eine KI hin, jede Wette. 

Was machen wir aber mit einer Gesellschaft, in der die Arbeitskraft des Menschen überflüssig ist? Was soll man tun? Heute dies, morgen jenes, morgens jagen, nachmittags fischen, abends Viehzucht treiben und nach dem Essen kritisieren, wie Marx einst phantasierte? Unwahrscheinlich. Allenfalls werden wir ein Millionenheer von Medienjunkies bekommen, die ihre gelangweilten Hirne mit Digitalmüll in all seinen Varianten vernebeln, weil sonst die eigene Existenz kaum noch zu ertragen ist. Es wird eine gnadenlos artifizielle Welt sein, in der der Mensch nicht mehr ist als lästige, verblödete Biomasse, die man dauerbespaßen muss. 

Und dennoch bekommen wir von den Ideologen des Fortschritts die alter Leier erzählt. Davon, dass KI eine riesige Chance ist, dass sie das Wissen der Welt für alle verfügbar macht, demokratisch, umfassend und barrierefrei. Wer das glaubt, dem ist tatsächlich nicht mehr zu helfen. Der kann auch ruhig in die schöne, neue KI-Welt durchstarten, da er sowieso kaum noch etwas mitbekommt. Für jeden anderen gilt: Die Zeit für Moratorien, Enquete-Kommissionen und ähnliche Veranstaltungen ist abgelaufen. Die Würfel sind gefallen. Die Entwicklung unaufhaltsam. Auf gesellschaftlicher Ebene wird sie ihren verhängnisvollen Lauf nehmen. Nur jeder Einzelne kann noch versuchen, dieser Technologie den Zugriff auf das eigene private Leben zu verweigern. 

Anzeige