Bischof Gerhard Feige - „In Zeiten wie diesen brauchen wir Vermittler zwischen Ost und West“

Seit Jahrzehnten engagiert sich Gerhard Feige, der katholische Bischof von Magdeburg, für die Verständigung mit orthodoxen Christen. Im Interview mit Cicero spricht er über die Unterstützung des Ukraine-Krieges durch die russisch-orthodoxe Kirche und die Notwendigkeit des Dialoges.

Kyrill I. kreuzigt sich während eines Gottesdienstes in Moskau / picture alliance
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Volker Resing leitet das Ressort Berliner Republik bei Cicero. Er ist Spezialist für Kirchenfragen und für die Unionsparteien. Von ihm erschien im Herder-Verlag „Die Kanzlermaschine – Wie die CDU funktioniert“.

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Gerhard Feige ist katholischer Bischof von Magdeburg und war bis vor kurzem Mitglied des Päpstlichen Rates zur Förderung der Einheit der Christen. Er ist seit Jahrzehnten engagiert im Dialog von katholischen und orthodoxen Christen.

Herr Bischof Feige, Russland und die Ukraine und die dortigen Kirchen sind Ihnen sehr vertraut. Wie ist Ihre Einschätzung: Handelt es sich bei dem russischen Angriffskrieg auch um einen Religionskrieg?

Nein, es ist kein Religionskrieg, aber auf jeden Fall spielen religiöse Vorstellungen eine wichtige Rolle. Zum einen beeinflusst die Religion die moralischen Urteile in diesem Krieg, zum anderen gehört die Vorstellung von dem, was die Gesamtheit der Kirche des Moskauer Patriarchats ausmacht, elementar zum Begründungszusammenhang dieses Angriffskrieges. Ausgangspunkt ist die sogenannte Kiewer Rus, dort wurde das Christentum 988 durch die Taufe des Großfürsten Wladimir oder Wolodymyr bei den Slawen begründet. In Kiew lag also das eigentliche Zentrum, das dann später nach Moskau verlagert wurde. Vom 17. Jahrhundert an hat dann Kiew wieder eng zu Moskau gehört. Von daher sieht sich das Moskauer Patriarchat in dieser Tradition und zählt die Ukraine zu seinem kanonischen Territorium. Das stützt dann die Ansprüche und das verbrecherische Handeln Putins.

Bei der Unterstützung der orthodoxen Kirche für den russischen Präsidenten schauen wir immer auf den Moskauer Patriarchen Kyrill. Aber wie stark ist die Unterstützung in der Breite der orthodoxen Kirche für Putin?

Dieses Bewusstsein, die Ukraine gehört zu uns, ist wohl auch bei den Gläubigen in Russland weit verbreitet. Die offizielle Kommunikation wird von dem Regime sehr klar geregelt und hat enormen Einfluss. Deswegen folgen große Bevölkerungsschichten dem, was Putin vorgibt. 

Haben Sie aktuell noch Kontakt nach Russland und in die russische Orthodoxie? 

Nein, derzeit haben wir keine Kontakte mehr. Wir hatten ja in der Vergangenheit einen theologischen Austausch zwischen der Deutschen Bischofskonferenz und dem Moskauer Patriarchat. Im letzten Jahr hätte wieder ein Gespräch stattfinden sollen. Das haben wir aufgrund dieses Krieges abgesagt, weil wir keine Möglichkeit sahen, in vernünftiger Weise miteinander ins Gespräch zu kommen. 

Wie waren die Gespräche in den Jahren davor? 

Eigentlich recht konstruktiv und anregend. Aber nach Ausbruch dieses Krieges haben wir uns natürlich gefragt, ob wir etwas übersehen haben. Und wir haben noch mal unsere Kommuniqués angeschaut. Dabei hatten wir nicht den Eindruck, dass wir über den Tisch gezogen worden wären. Es standen auch keine unversöhnlichen Gegensätze im Raum. Das hing aber sicherlich daran, dass in unseren beiden Delegationen immer eine größere Zahl an Professoren mit dabei war. Durch die Vorträge kamen wir in bestimmte Themen rein und haben dann sehr differenziert über alles gesprochen. 

Was waren das für Themen, wo gab es Konflikte?

Es ging in den Gesprächen etwa um das christliche Menschenbild im Kontext europäischer Entwicklungen. Die Menschenrechte waren ein Thema, aber auch die Frage: „Werteverfall – Mythos oder Wirklichkeit?“ wurde erörtert. Auch über die Unterschiede in unseren Gesellschaften in Ost und West wurde diskutiert, etwa beim Thema „Ehe und Familie“. Zuletzt haben wir um Evangelisierung und Missionierung in einer pluralistischen Gesellschaft gerungen. Das waren sehr spannende, aktuelle und auch kontroverse Themen. Bei vielem haben wir interessante Übereinstimmungen festgestellt, bei manchem aber auch deutliche Unterschiede.

 

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Putin hat in seiner letzten Rede noch mal die Unterschiede in krasser Weise betont. Im Westen müssten die Kinder jetzt ihr Geschlecht selbst wählen und man würde diskutieren, welches Geschlecht Gott habe, so verrückt seien die, so Putin. Findet das Resonanz?

Wenn man dazu im Vergleich die Ansprachen Kyrills liest, dann muss man wohl feststellen, dass der Patriarch Putins Meinung teilt. Im Hintergrund steht die Vorstellung vom heiligen Russland und vielleicht auch von den drei Roms. Das erste Rom ist vom Glauben abgefallen, das zweite – Konstantinopel – ist zerstört worden, und Moskau ist das dritte Rom, und es wird kein anderes mehr geben. Und tatsächlich wird der Krieg in so einen Kontext gestellt und als metaphysisch aufgeladener Kampf des Guten gegen das Böse inszeniert.

Kam das in ihren Gesprächen mit der russischen Orthodoxie so auch schon zum Ausdruck?

Nein, offenbar waren unsere Gesprächspartner weltoffener eingestellt. So ein Schwarz-Weiß-Gegensatz zwischen Ost und West, zwischen Russland und der westlichen Welt, war in unseren Begegnungen nicht zu spüren. Es gab durchaus Nuancen in den Mentalitäten, in der Wahrnehmung, aber eher auch die Suche um Verbündete. Unabhängig von unserem Dialog hatte der Leiter des Außenamts des Moskauer Patriarchats, Metropolit Hilarion, immer wieder versucht, moralische Allianzen mit der katholischen Kirche zu knüpfen. Rom sollte ein Verbündeter werden im Kampf gegen die Liberalisierung der westlichen Welt, auch gewissermaßen gegen den Protestantismus. Darauf hat sich Rom aber nicht eingelassen. Insgesamt war diese Polarisierung jedoch nicht so massiv, wie sie jetzt offen zutage tritt. 

Auch die Ukraine ist ein orthodox geprägtes Land und zugleich gespalten durch die unterschiedlichen Orthodoxien. Wie feindselig haben Sie die Stimmung wahrgenommen?

Bis zum Ende der Sowjetunion gehörte die gesamte Orthodoxie in der Ukraine zu Moskau. Erst durch die Freiheitsbestrebungen hat sich das dann differenziert. Zeitweise gab es drei verschiedene orthodoxe Kirchen. Und in der jüngsten Zeit, nach dem Eingreifen des Ökumenischen Patriarchats, hat sich das auf zwei orthodoxe Kirchen hin entwickelt. Die eine ist die „Ukrainische Orthodoxe Kirche“, die zum Moskauer Patriarchat gehört, und die andere ist die „Orthodoxe Kirche der Ukraine“. Und da gibt es natürlich zwischen beiden massive Spannungen. Aber der Krieg hat die Situation wieder verändert. Nun geht die „Ukrainische Orthodoxe Kirche“ auf eine gewisse Distanz zu Moskau. Sie hat aber bisher nicht die so genannte Autokephalie erklärt. Von daher zweifeln manche, ob die Distanzierung auch nachhaltig ist. 

Wie wirkt sich der Krieg auf das Leben der Gläubigen aus?

Der Krieg macht ja nicht an konfessionellen Grenzen halt, sondern betrifft alle Gläubigen und ihre Kirchen. Dazu gehört dann auch die mit Rom verbundene Griechisch-katholische Kirche, die von Stalin liquidiert worden ist und jetzt wieder ein wichtiger Faktor geworden ist. Römisch-Katholische Christen sind in der Minderheit, meistens sind es Polen, die in der Ukraine zuhause sind.

Es gibt in der Orthodoxie diese nationalkirchliche Tendenz. Gibt es auch von ukrainischer Seite den Versuch, die Orthodoxe Kirche im Krieg zu instrumentalisieren?

Sicherlich ist es problematisch, wenn der Staat versucht, anhand der Konfession Freund und Feind auszumachen. Der Staat muss die Religionsfreiheit respektieren. Gerade in der letzten Zeit gab es aber Aktionen, um die „Ukrainische Orthodoxe Kirche“ des Moskauer Patriarchats zurückzudrängen. 

Sie stammen aus der DDR und interessieren sich seit Jahrzehnten für die Orthodoxie. Woher kommt Ihr Interesse?

Das hat bei mir in Studentenzeiten begonnen. Wir konnten ja nicht in den Westen reisen, sondern nur Richtung Osten. Über einen Dozenten in unserem Seminar in Erfurt habe ich Kontakte, zum Teil konspirativer Art, zu Vertretern östlicher Kirchen bekommen. Mit diesen ersten Adressen bin ich dann als Student in Rumänien und Bulgarien unterwegs gewesen, um die Orthodoxie vor Ort kennenzulernen. Später bekam ich als katholischer Priester auch die Erlaubnis, den byzantinischen Ritus zu feiern. Und so habe ich an verschiedenen Orten der DDR diese Liturgie gefeiert, um auch diese andere Form des Christseins bekannt zu machen. 

In Deutschland sind sie bekannt für ihren Reformwillen, so können Sie sich das Priesteramt der Frau vorstellen. Die Orthodoxie wird hingegen bei uns gerade als besonders konservativ wahrgenommen. Wie passt das zusammen? 

Man darf die Orthodoxie nicht darauf festlegen, dass sie nur aus Tradition und Dogma besteht, sondern es gibt in ihr auch Veränderungen. Aber Sie haben ja recht, da ist ein gewisser Widerspruch. Man könnte auch sagen, dass zwei Seelen in meiner Brust wohnen. Papst Johannes Paul II. hat ja von den zwei Lungenflügeln Europas gesprochen, dem östlichen und dem westlichen. In Zeiten wie diesen brauchen wir dringend Vermittler zwischen Ost und West. Wir müssen auch Verständnis für konservative Positionen haben und uns mit allen an einen Tisch setzen, ohne Unterschiede zu verleugnen.

Sie sind Bischof von Magdeburg in Sachsen-Anhalt. Warum gibt es offenbar in den neuen Bundesländern in der aktuellen Kriegssituation immer noch mehr Verständnis für Russland als im Westen? 

Das ist auch für mich selbst nicht ganz leicht zu verstehen, denn so beliebt waren die sowjetischen Besatzungstruppen bei uns auch nicht. Und wir haben in der Schule ab einer bestimmten Klasse alle Russisch lernen müssen, aber die wenigsten konnten und wollten es sprechen. Vielleicht gibt es die tiefsitzende Erfahrung, dieser Besatzung über Jahrzehnte nicht entkommen zu können. Offenbar nehmen manche Russland als so eine Macht wahr, der man sich ganz einfach beugen muss. Sicher spielen auch antiamerikanische Aversionen eine Rolle. Und dann gab es über Jahrzehnte dieses positive Verhältnis zur russischen Kultur. Auch ich habe doch fast alles von Tolstoi und Dostojewski gelesen. Und auf einmal wird das massiv in Frage gestellt.

Sie plädieren nun aber als Bischof für Waffenlieferungen an die Ukraine?

Zur Selbstverteidigung gegenüber einem brutalen Aggressor halte ich das für vertretbar. Tragischerweise lässt sich keine Lösung benennen, bei der man schuldlos rauskäme. Auch ein radikaler Pazifismus nimmt Unrecht, Gewalt und Opfer in Kauf. Doch das ist keine konfessionelle Sache. Das Ringen darum geht mitten durch die Kirchen. Selbstverständlich steht für uns Christen aber ein „gerechter Frieden“ an erster Stelle. Dieses Ziel darf nicht aus den Augen verloren werden.

Das Gespräch führte Volker Resing.

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