Julian Reichelt in Kurt Krömers Talkshow - Achtung, Krömer!

Der Komiker Kurt Krömer hat ein konfrontatives Interview mit Ex-Bild-Chefredakteur Julian Reichelt geführt, war aber viel zu schlecht vorbereitet. Reichelt nutzte die Gelegenheit, um öffentlichkeitswirksam seine Rache an Friede Springer zu platzieren.

Wer verhört hier wen? Julian Reichelt bei Kurt Krömer / Screenshot ARD Mediathek
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Ulrich Thiele ist Politik-Redakteur bei Business Insider Deutschland. Auf Twitter ist er als @ul_thi zu finden. Threema-ID: 82PEBDW9

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Legendär ist das Interview, das Roger Willemsen 1995 in seiner ZDF-Sendung „Willemsens Woche“ mit Focus-Chefredakteur Helmut Markwort führte. Willemsen konfrontierte den überrumpelten Markwort dicht getaktet mit Unwahrheiten, Patzern und der zurückhaltenden Berichterstattung über die Chemie-Unfälle der Hoechst AG, die zu den wichtigsten Anzeigenkunden des Focus gehörte. Willemsen war übereifrig und nicht besonders souverän. Dass er für den Focus zur persona non grata avancierte und das Interview bis heute zahlreich bei YouTube geklickt wird, liegt vor allem daran, dass er gut vorbereitet war, weil seine Redaktion akribisch recherchiert hatte und mit Unbekanntem überraschte.

Kurt Krömer hat zur Vorbereitung auf sein Interview mit Ex-Bild-Chefredakteur Julian Reichelt einen Wikipedia-Artikel gelesen – der Eindruck entsteht zumindest, wenn man sich die missglückten 30 Minuten der aktuellen Folge seiner Talkshow „Chez Krömer“ ansieht. Dass mehrere Medien Krömer hinterher attestierten, er habe Reichelt „in die Zange“ genommen („Chapeau, Kurt Krömer“, schrieb der Tagesspiegel) und „dank guter Vorbereitung und Recherche ein paar Wirkungstreffer“ (Stern) erzielt, lässt sich nur damit erklären, dass der Wunsch Vater der Rezeption war.

Reichelt hatte leichtes Spiel

Krömers Interviews sind eine Art Verhör: Mit Akte gewappnet konfrontiert er seine Gäste in Stasi-Manier in einem kahlen, grauen Raum. Je nachdem, wie Krömer dem Gast gegenüber persönlich eingestellt ist, kann das „Verhör“ freundschaftlich oder krawallig-konfrontativ verlaufen. Wenn Julian Reichelt in die Sendung kommt, ist die Stoßrichtung von vornherein klar. Reichelt, ein mit allen Wassern gewaschener Medienprofi, hatte leichtes Spiel.

Krömer las vom Zettel einen Vorwurf ab, Reichelt erwiderte etwas, Krömer fiel dazu nichts ein und ging, kleinlaut wirkend, zum nächsten Punkt über. Obwohl es Gelegenheiten zum Nachhaken gab, etwa als Reichelt behauptete, die Bild habe in seiner Zeit nicht die Privatsphäre von Menschen verletzt. Für den Vorwurf, Reichelt habe Kokain konsumiert, spielte er das Video einer anonymen Zeugin ab, die Reichelt beim Koksen beobachten haben soll. Ob Reichelt gekokst hat, ist vollkommen irrelevant und von allen Dingen, die man ihm vorwerfen sollte, mit Abstand das letzte. Krömer nahm sich trotzdem viel Sendezeit für dieses Nicht-Thema.

Krömer konfrontierte Reichelt unter anderem mit einer Rüge des Presserats, weil Bild Amokläufer unverpixelt abgedruckt hatte – obwohl die Forschung zeige, dass genau das neue Anschläge provoziert, wie der ehemalige Vorsitzende vom Bund deutscher Kriminalbeamter, Sebastian Fiedler (SPD), in einem eingespielten Video sagte. Reichelts Antwort: „Die“ Wissenschaft sei sich nicht immer einig, und das sei eine Ansicht einer Einzelperson. „Sind Sie der Meinung, dass man Mohammed Atta verpixeln sollte?“, fragte Reichelt Krömer zurück. Krömer: „Die Fragen stelle icke.“ Nächstes Thema.

Debatten-Simulation

Diese Simulation eines Duells war mehr Symbiose als Konfrontation. Es gelten die Mechanismen, die der Medienwissenschaftler Bernhard Pörksen in Bezug auf den Aufstieg von Donald Trump beschreibt. Leslie Moonves, CEO des Anti-Trump-Fernsehsender CBS, sagte in einem Moment der Offenheit, Trump sei womöglich schlecht für Amerika, aber „verdammt gut für CBS“. Pörksen: „Hier werden – in reiner, nackter Form – das Geschäft auf Gegenseitigkeit von Populisten und Talkshowmachern bzw. den Vertretern des Spektakelfernsehens und die systemischen Bedingungen des Diskursruins offenbar. Der eine will öffentliche Aufmerksamkeit, will möglichst kostenfrei Sendezeit zur Verbreitung eigener Botschaften akquirieren, der andere, der Fernsehmacher, braucht die Figur des schillernden Provokateurs und des Anti-Korrekten als Quotenbringer und Aufmerksamkeitsgarant. Und beide glorifizieren das Extrem. Sie wollen das Konfliktspektakel und agieren in verstörender Symbiose mit unterschiedlichen Interessen, aber doch gemeinsamer Wirkung.“

Dabei war die Gelegenheit für ein Aufklärungsmoment und eine Debatte über die Ursachen von Populismus gegeben. Es ist keine steile These, dass ein von den Demokraten vertretenes liberales Establishment und dessen Ausschlusskriterien das Phänomen Trump mitbedingt haben und der Populismus der „Deplorables“ (O-Ton Hillary Clinton) 2016 auch ein Angriff auf den liberalen Status quo war.

In Deutschland ließe sich die Frage stellen, warum krawallige Alternativmedien wie Reichelts YouTube-Kanal Achtung, Reichelt! überhaupt so einen enormen Zulauf haben – und ob in ihren Extrem-Polemiken gegen die „Regierungspropaganda“ etablierter Medien nicht insofern ein wahrer Kern steckt, als es durchaus problematische Fälle von Regierungsnähe und Ausschlusskriterien bei gleichzeitig ausbleibender Selbstkritik gibt, die den Boden der „Alternativmedien“ mitsäen.

Drosten-Fans in den Medien

Das Online-Magazin Übermedien – der Reichelt- oder Bild-Affinität unverdächtig – schrieb im Mai 2020, Julian Reichelt habe nicht „völlig unrecht“, wenn er anderen Medien vorwirft, Christian Drosten, damals Angela Merkels wichtigster Ratgeber, sei für sie unantastbar. „Vergleicht man den Umgang mit Streeck und mit Drosten, so kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, dass ein erheblicher journalistischer Bias vorliegt, der die öffentliche Debatte insgesamt verzerrt“, schreibt der Autor. Im April 2020 stellte Hendrik Streeck die sogenannte „Heinsberg-Studie“ vor. Nur wenige Stunden später kritisierte Drosten, er könne „daraus nichts ableiten“. Von den Öffentlich-Rechtlichen bis hin zu Zeit Online und Spiegel sprangen etliche Medien auf die Ad-Hoc-Kritik an und erklärten die Studie mit ihren „unplausiblen Zahlen“ (was genau unplausibel war, erklärte Zeit Online nicht) für unbrauchbar – kritisierten allerdings auch zu Recht Streecks Zusammenarbeit mit der PR-Agentur „Storymachine“ des früheren Bild-Chefs Kai Diekmann. Als Streeck einige Wochen später die Ergebnisse in einem Preprint-Paper vorstellte, „entpuppte sich die Studie als handwerklich durchaus solide Arbeit, die wichtige Erkenntnisse lieferte“ (Übermedien).


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Als das Team der Berliner Charité seine Studie zur Viruslast bei Kindern vorstellte und Drosten dazu twitterte, es gebe „keine signifikanten Unterschiede zwischen Kindern und Erwachsenen“, übernahmen dieselben Medien – eine statistische Kritik auf Zeit Online ist eine Ausnahme – die Message und warnten vor einem „leichtfertigen Neustart“ der Kitas und Schulen, denn „Kinder könnten ebenso infektiös sein wie Erwachsene“ (Spiegel Online).

Die Studie war bekanntlich nicht haltbar – was damals schon mehrere Wissenschaftler sagten. Inzwischen hat Gesundheitsminister Lauterbach eingeräumt, dass Kinder „keine wichtigen Treiber der Pandemie“ gewesen seien und die Kita-Schließungen zu Beginn der Pandemie „definitiv medizinisch nicht angemessen“ waren.

Die Anti-Drosten-Kamapgne

Ausgerechnet mit diesem Beispiel versuchte Krömer, schlecht vorbereitet, Reichelt in die Ecke zu treiben. Die Bild titelte damals über Drostens Studie: „Schulen und Kitas wegen falscher Corona-Studie dicht“. Im Bericht werden wissenschaftliche Kritiker zitiert, die sich hinterher von der Berichterstattung distanzierten – allerdings nicht von ihrer Kritik; sie wollten schlichtweg kein Teil einer Boulevard-Denunziationskampagne sein. Die Bild kassierte für den Bericht mehrere Presserügen, unter anderem, weil sie unsauber aus der Studie zitiert hatte, Drosten die Unterdrückung von Tatsachen unterstellte und dem Virologen nur eine Stunde Zeit für eine Stellungnahme gab. Wer glaubt, Reichelt sei es damals um das journalistische Ethos der Kritik an Mächtigen gegangen und nicht um die mediale Vernichtung einer Person und die Deutungsmacht des Boulevards, ist naiv. Aber darauf geht Kurt Krömer in seiner Sendung überhaupt nicht ein.

Stattdessen wirft er Reichelt vor, er habe eine „unfertige Studie zitiert und Wissenschaftler zitiert, die damit nicht zu tun haben wollten“. Der Dialog ist absurd. Reichelt: „Nein, wir haben aus einer falschen Studie zitiert.“ Also sei der Bericht eine „falsche Geschichte“ gewesen, sagt Krömer, was Reichelt natürlich zurückweist: Es sei keine falsche Geschichte, sondern eine falsche Studie gewesen. Krömer: „Aber wenn die Studie falsch ist, ist doch die Geschichte auch falsch.“

Entweder stellt Krömer sich aus welchen Gründen auch immer an dieser Stelle dumm, oder er hat einen Blackout, oder er weiß mangels Vorbereitung nicht, dass Bild nicht das Argument des Artikels auf einer falschen Studie aufbaute, sondern dass das Blatt die „falsche Studie“ (bzw. Drosten) attackierte. Der Fall wäre eine gute Möglichkeit gewesen, um auf den Kampagnenstil des Berichts einzugehen, aber auch auf das Drosten- und Regierungsfantum in den Medien.

Mehrere Fälle von Regierungsnähe

Journalisten neigen nicht zur Selbstkritik und reagieren entsprechend empfindlich, wenn sie für unkritischen und regierungsfreundlichen Bias – etwa zu Beginn der Corona-Krise – kritisiert werden. Dann lenken sie gerne mit Pappkameraden ab: „Die Regierung wird doch ständig kritisiert!“ Oder sie machen sich süffisant darüber lustig, dass man ihnen angeblich vorwirft, in morgendlichen Konferenzen mit dem Kanzler von der Regierung gesteuert zu werden. Anstatt mal auf die in der Tat problematischen Fälle von unkritischer Regierungsnähe einzugehen – und auch auf die Fälle, in denen Verleger und Politiker durchaus erfolgreich versuchen, Einfluss auf die Berichterstattung zu nehmen.

Olaf Scholz’ rechte Hand Wolfgang Schmidt schreibt Chefredakteuren und Journalisten einflussreicher Medien E-Mails in kumpelhaftem Duz-Stil, in denen er ihnen „Hintergrundinformationen“ gibt, wie sie über die Cum-Ex-Affäre zu berichten haben und in denen er kritische Journalisten persönlich herabsetzt – und stößt damit oftmals auf fruchtbaren Boden.

Anfang des Jahres sorgte der Chef des Schweizer Medienkonzerns Ringier für Aufregung, als er sagte: „Wir hatten in allen Ländern, wo wir tätig sind – und da wäre ich froh, wenn das in diesem Kreis bleibt – auf meine Initiative hin gesagt, wir wollen die Regierung unterstützen durch unsere mediale Berichterstattung, damit wir alle gut durch die Krise kommen.“ Hinterher entschuldigte er sich dafür.

Reichelts Rache an Friede Springer

Ein solches Beispiel haben Reichelt-Fans im Hinterkopf, wenn der Ex-Bild-Chef in einem beispiellosen Racheakt eine Bombe gegen Friede Springer in Krömers Sendung platziert. Friede Springer, bekanntlich einen enge Freundin Merkels, soll sich nach der Anti-Drosten-Kampagne beschwert haben. Reichelt sagte nun bei Krömer, dass Springer „die Vorstellung hatte und das mir gegenüber sehr deutlich gemacht hatte, dass Bild in der beginnenden Corona-Krise, und das war ganz zu Anfang, ab sofort unterstützend für die Kanzlerin und die Regierung berichten sollte“. Krömer ging nicht darauf ein, hakte nicht nach.

„Wir werden einzelne Äußerungen dieser Art nicht würdigen“, sagt ein Unternehmenssprecher von Springer auf Cicero-Anfrage. „Grundsätzlich gesprochen gilt aber immer unser konzernweites Grundprinzip der redaktionellen Unabhängigkeit. Jede objektive Betrachtung der Berichterstattung unserer Medien – auch und insbesondere während der Pandemie – lässt dann auch nur eine Schlussfolgerung zu: dass die redaktionelle Unabhängigkeit stets gewahrt wurde und wird.“

Unabhängig von Reichelts Behauptung, ist das „stets“ im letzten Satz nicht wahr. Nicht nur in seriösen Medien, auch in der Bild hat es Fälle gegeben, die Fragen aufwerfen.

Citizen Springer

Am 8. Oktober 2008 lud Angela Merkel die Chefredakteure und Verlagsdirektoren einflussreicher Medien zu einem Sondertermin ein. Die Finanzkrise war ausgebrochen, und Merkel bat ihre Gäste, „zurückhaltend über die Krise zu berichten und keine Panik zu schüren“, wie Jakob Augstein dazu in der Süddeutschen Zeitung schrieb. „Sie haben sich daran gehalten, die Chefredakteure“, schreibt er weiter und zitiert die taz, die sich im Februar 2009 über die dünne Berichterstattung wunderte: „Sie [die Medien] berichten, was Bundeskanzlerin Merkel den Chefredakteuren und Verlagsdirektoren schon bei einem eigens einberufenen Treffen im vergangenen Oktober vorgesagt hat. Sie halten die Bürger bei Laune, auf dass diese stillhalten. Wie viel Geld bereits in die Banken gepumpt wurde, wie viele Milliarden Bürgschaftszusagen vergeben wurden (und wie viele Hartz-IV-Monats‚löhne‘ das sind), das steht auch nicht in der Zeitung. Die Süddeutsche (vom 15. 1.) beispielsweise versteckt die Mitteilung, dass die Hypo Real Estate zum vierten Mal in vier Monaten Milliarden Bargeld und Bürgschaften braucht, unter der Überschrift ‚Wenn Steinbrück an die Tür klopft‘.“

Die Bild, ergänzt Augstein, „bekam sogar einen Preis dafür, dass sie so ‚verantwortungsvoll‘ berichtet habe. Einen Preis, der von Journalisten verliehen wurde.“ Merkel wusste, wie schwer es der Bevölkerung zu vermitteln ist, dass man auf Kosten der Bürger auch korrupte Banken, die für die Finanzkrise mitverantwortlich sind und damit Millionen Menschen in den Ruin getrieben haben, mit Abermilliarden vor der Pleite rettet. Und ausgerechnet die Zeitung, die jahrelang gegen „Sozialschmarotzer“ mobilisiert hat, um im Einklang mit der Sündenbock-Strategie der Schröder-Regierung den Sozialabbau der Agenda-Reform zu rechtfertigen, und die später in der Schuldenkrise Griechenlands mit einer ähnlichen Sündenbock-Verzerrung („Pleite-Griechen“) Merkels Austeritätspolitik supportete, machte mit. So viel zur „Volksnähe“. Citizen Kane lässt grüßen.

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