
- „Eine Boulevardzeitung macht man mit Herz und Hirn, nicht mit Hass“
Weil er gekokst und Affären mit Volontärinnen gehabt haben soll, wackelt der Posten von „Bild“-Chefredakteur Julian Reichelt. Seit der „Spiegel“ die Vorwürfe öffentlich gemacht hat, muss er viel Häme ertragen. Dabei, sagt der ehemalige Politik-Chef der „Bild“, Georg Streiter, sei sein Image schon vorher beschädigt gewesen – aber aus ganz anderen Gründen.
Georg Streiter war von 1994 bis 2001 Politikchef der Bild am Sonntag und von 2005 bis 2009 Politikchef der Bild. Von 2011 bis 2018 war er stellvertretender Sprecher der Bundesregierung. Er leitet heute eine PR-Agentur in Berlin.
Herr Streiter, der Chefredakteur der Bild steht jetzt selbst in den Schlagzeilen. Ihm werden Machtmissbrauch, Nötigung, Drogenkonsum, Mobbing und das Ausnutzen von Abhängigkeitsverhältnissen vorgeworfen. Hat Sie die Nachricht überrascht?
Nein, gar nicht. Ich traue mir es aber nicht zu, öffentlich zu bewerten, was Gerüchte und Erzählungen sind und was die Wahrheit ist. Ich halte grundsätzlich immer alles für vorstellbar. Und ich weiß auch einiges, aber das sage ich nicht.
Der Springer-Verlag sagt, bisher gebe es noch keine Beweise. Reichelt selbst streitet alle Vorwürfe ab. In einem sogenannten Compliance-Verfahren soll die Affäre aufgeklärt werden. Der Spiegel hat die Ermittlungen öffentlich gemacht. Wie stehen die Chancen, dass Reichelt jetzt noch unbeschädigt aus der Sache rauskommt?
Das halte ich für völlig unwahrscheinlich. Es ist ja nicht das erste Mal, dass aus dem Verlag Beschwerden über ihn kamen. Vor drei Jahren gab es einen ähnlichen Fall, der erstaunlicherweise zu seinen Gunsten entschieden wurde. Es war eine erste Warnung. Ich kann mir nicht vorstellen, dass jemand, der so spektakulär auf eigenen Wunsch beurlaubt wurde, nach kurzer Zeit wieder unbeschädigt in dieselbe Redaktion hineinmarschiert.
Jetzt ist unter den Medien ein Wettstreit entbrannt, wer mehr unappetitliche Details aus Reichelts Leben enthüllen kann. Der Spiegel schreibt, es sei ein offenes Geheimnis gewesen, dass der Bild-Chef „Beruf und Bett verquickt“ habe und titelt: „Vögeln, fördern, feuern.“ Ist das noch investigativer Journalismus – oder schon Aktivismus?
Da schlagen zwei Herzen in meiner Brust. Jeder weiß, dass ich Julian Reichelt nicht mag – und er mag mich auch nicht. Das ist das einzige, wo wir uns einig sind. Ich habe die Geschichte im Spiegel gern gelesen und Popcorn gegessen. Aber ehrlich gesagt, hat sie sich auch nicht groß von einer Bild-Geschichte unterschieden. Vieles wussten die Autoren nur vom Hören-Sagen, man erfuhr nicht, wer es ihnen gesagt hat. Was aber nachvollziehbar ist. Als Betroffener würde ich meinen Namen auch nicht in der Zeitung lesen wollen.
Muss ein Chefredakteur, der Rügen vom Presserat ignoriert und selbst auch nicht zimperlich mit Menschen umgeht, über die sein Blatt berichtet, jetzt ertragen, dass seine Methoden auf ihn selbst zurückfallen?
Ja. Wer austeilt, muss auch einstecken können. Und das kann er zweifellos.
Wenn man selbst in der Berichterstattung die Menschenwürde anderer verachtet, neigt man dann auch dazu, bei den eigenen Mitarbeitern Grenzen zu überschreiten?