Hausgrillen in Lebensmitteln - Insektenverzehr wird das neue vegan

Ab kommendem Dienstag darf Pulver aus Hausgrillen einer Großzahl von Lebensmitteln zugesetzt werden. Doch man darf sicher sein: Bald werden Lebensmittel aus Insekten der neue Trend unter den Achtsamen und Nachhaltigen.

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Autoreninfo

Alexander Grau ist promovierter Philosoph und arbeitet als freier Kultur- und Wissenschaftsjournalist. Er veröffentlichte u.a. „Hypermoral. Die neue Lust an der Empörung“. Zuletzt erschien „Vom Wald. Eine Philosophie der Freiheit“ bei Claudius.

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Machen wir uns nichts vor: Brot, Nudeln, Kekse oder anderes Gebäck sind nicht immer so vegetarisch, wie sie sein sollten. Da verirrt sich schon einmal ein Mehlwurm, eine Larve oder irgendein Krabbeltier in den Verarbeitungsprozess und wird mitgemahlen und mitgebacken. Die kleine Eiweißportion extra. Und für die ganz Hartgesottenen gibt es seit einigen Jahren Insektenburger im Tiefkühlregal. Die bestehen in der Regel aus Buffalowürmern. Jeder nach seinem Geschmack.

Doch das war nur der Anfang. Es entbehrt nicht einer gewissen Komik, dass ausgerechnet in den Wochen, in denen RTL sein Dschungelcamp in deutsche Wohnzimmer sendet, eine EU-Verordnung in Kraft tritt, nach der es erlaubt ist, Mehl aus Hausgrillen einer Reihe von Lebensmitteln beizugeben. Genauer: Mehrkornbrot, Crackern, Brotstangen, Getreideriegeln, Trockenbackmischungen, Keksen, Soßen, Pizzen, Suppen, Suppenkonzentrat, Schokoladenerzeugnissen und so weiter und so fort. Kurz: dem halben Supermarkt-Sortiment.

Entfettetes Pulver aus der Hausgrille

Hinter der „Durchführungsverordnung (EU) 2023/5 der Kommission“ vom 03. Januar steht ein Antrag des vietnamesische Unternehmens Cricket One Co. Ltd (Werbeslogan: „Classic Protein for a Modern World“) vom Sommer 2019, „auf Genehmigung des Inverkehrbringens von teilweise entfettetem Pulver aus ganzem Acheta domesticus (Hausgrille)“ für die allgemeine Bevölkerung.

Die Entscheidung der Kommission stützt sich auf ein Gutachten der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit, wonach entfettetes Pulver aus der Hausgrille „unter den vorgeschlagenen Verwendungsbedingungen in den vorgeschlagenen Mengen sicher ist“. Allerdings empfahl die Behörde die Allergenität der Hausgrille weiter zu erforschen.

Der Nudeleintopf abgeschmeckt mit Hausgrille?

Entfettetes Pulver aus Hausgrillen? In Schokolade, Backwaren und Nudeln? Allein die Vorstellung setzt bei dem durchschnittlichen Mitteleuropäer eine unangenehme Assoziationskette frei. Die geliebte Backmischung verfeinert mit Insekten? Der Müsliriegel veredelt mit Acheta domesticus? Der Nudeleintopf abgeschmeckt mit Hausgrille? Und was heißt hier eigentlich entfettetes Pulver? Wohin gelangt das Insektenfett? Darf das auch bald unter andere tierische Fette gemischt werden? Und wie haben wir uns Heuschrecken-Öl eigentlich vorzustellen?
 

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Gut, wir alles wissen, dass Ernährungsgewohnheiten kulturabhängig sind. Die einen essen Hunde. Andere verzehren Schweinfleisch. Und in vielen Ländern Asiens, Afrikas und Lateinamerikas verspeist man gerne Insekten. Zudem ist klar, dass in einer globalisierten Welt auch lokale Speiseangebote international ergänzt werden. Und Internationalisierung bedeutet eben nicht nur die asiatische Nudelpfanne am Imbiss nebenan, sondern kann auch exotischere Seiten haben. Wer Insekten-Burger mag: bitte sehr.

Verbraucherinteressen gelten weniger als der Kommerz

Problematischer ist allerdings die Hausgrillen-Mehl-Verordnung der EU. Denn hier wird kein Nischenprodukt für Liebhaber und Freaks zugelassen, sondern der Freibrief erteilt, Insektenrückstände in einen Großteil gängiger Lebensmittel einzubringen – vom Müsli über Spaghetti bis zu Aufbacksemmeln. Das Hauptärgernis an diesem Vorgang: Wieder einmal gelten Verbraucherinteressen weniger als der Kommerz.

Sagen wir es deutlich: Kein Mensch vermisst Heuschreckenpulver in seinem Brot oder in seinen Nudeln. Kein Mensch braucht das, keiner will das. Der einzige Grund, diesem völlig überflüssigen Anliegen stattzugeben, ist eine gedankenlose Freihandelsideologie, die alles gutheißt, was nicht schadet. Genehmigt wird nicht nach Kundenwünschen, sondern nach ökonomischer Ideologie. Dazu gehört im Übrigen auch, dass die Kommission Cricket One Co. Ltd ein fünfjähriges Monopol für Hausgrillen-Pulver in der Union einräumt.

Gehört bald zum politisch korrekten Lifestyle

Noch interessanter ist in diesem Zusammenhang allerdings die mediale Begleitmusik. Denn in Zeiten wie unseren ist jedes Produkt weltanschaulich einzuordnen. Demnach sind Insekten im Essen auf den ersten Blick vielleicht ungewohnt, doch tatsächlich sind sie ökologisch, gesund und klimapolitisch wünschenswert. Spätestens jetzt weiß man, woher der Wind weht. Neben Lastenradl und veganen Sneakern wird bald der Insektenverzehr zum politisch korrekten Lifestyle zählen, während die Abgehängten und politisch Zwielichtigen weiterhin Zucker, Alkohol und Schweineschnitzel zu sich nehmen. Jede Wette: Es dauert nicht lang und Entomophagie ist das neue vegan.

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