Treffen mit Georg Ringsgwandl - „Der Deutsche wusste es immer schon besser“

Der bayerische Musiker Georg Ringsgwandl wird dieses Jahr 75 Jahre alt. Im Interview spricht er über seinen neuen Roman, den Fall Rammstein und das deutsche Wesen, an dem die Welt genesen soll. Feministische Außenpolitik, sagt er, sei schon im Hunsrück schwierig.

Musiker Ringsgwandl während eines Auftritts im hessischen Vellmar / dpa
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Autoreninfo

Ben Krischke ist Leiter Digitales bei Cicero, Mit-Herausgeber des Buches „Die Wokeness-Illusion“ und Mit-Autor des Buches „Der Selbstbetrug“ (Verlag Herder). Er lebt in München. 

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Georg Ringsgwandl, Jahrgang 1948, ist ein bayerischer Musiker, Kabarettist und Autor. Sein neues Buch heißt „Die unvollständigen Aufzeichnungen der Tourschlampe Doris“. Der Roman beruht auf den Aufzeichnungen seiner ehemaligen Tourmanagerin, die sich vor Jahren mit, so Ringsgwandl, „einem Mechaniker und jeder Menge Schwarzgeld“ ins Ausland abgesetzt habe. Im November wird Ringsgwandl 75 Jahre alt. Cicero trifft ihn zum Gespräch in München. Als Treffpunkt hat er den Hinterhof eines Mehrfamilienaltbaus im Süden der Stadt gewählt.  

Herr Ringsgwandl, wir haben darum gebeten, dass wir uns für dieses Gespräch an einem Ort treffen, zu dem Sie einen starken persönlichen Bezug haben. Jetzt sitzen wir im Garten eines Hinterhofs im Münchner Stadtteil Untersendling. Warum sind wir hier?  

Weil das (im Erdgeschoss; Anm. d. Red.) eine Wohnung ist, die ich erstmals im Februar 1979 bewohnt habe. Lange Jahre, als ich in Garmisch lebte, habe ich sie vermietet. Da hatte ich hier eine kleine Kammer, in der ich wohnte, wenn ich am Theater in München zu tun hatte. Über die Jahre haben wir in dieser Wohnung auch mehrere Platten aufgenommen, dafür die ganze Wohnung verkabelt. Mittlerweile wohnt meine Tochter mit ihrer Familie hier, und ich bin auf ein Zimmer zurückgeschnitten worden.

Nun hätte man ja denken können, dass ein bayerischer Künstler Ihrer Generation, der sich in München mit einem Journalisten trifft, nach Schwabing lädt. Ich wohne ganz in der Nähe, mag die teilweise noch dörfliche Struktur hier. Was schätzen Sie an dieser Gegend? 

Wir haben vor einigen Jahren mal eine Platte gemacht, die hieß „Untersendling“. Damals ist mir aufgegangen, was das wirklich schöne an diesem Viertel ist. Als ich die Wohnung 1979 bezogen habe, war das hier noch außerhalb der Stadt. Da hat man problemlos einen Parkplatz bekommen. Mittlerweile ist das Viertel mitten in der Stadt. Aber trotz Gentrifizierung hat sich diese Gegend ganz gut gehalten. Es ist nach wie vor ein sehr entspanntes Viertel, das auch einen gewissen Mix von eingeborenen Deutschen und allen möglichen Migrantenmilieus hat. Früher mehr Türken und Menschen aus dem Nahen Osten, mittlerweile gibt es auch eine asiatische Gemeinde hier. Es ist ein unaufgeregtes Viertel, das noch machbar ist. Schwabing ist nicht mehr machbar, weil viel zu teuer. 

Haben Sie irgendeinen Bezug zur viel beschworenen Münchner Schickeria? 

Ich habe dazu keinen Bezug, nein. Um da dazuzugehören, braucht man erstmal den Willen. Man muss das schick finden. Und es darf einem auch die Zeit nicht zu schade sein, die man darin verbringt. Man muss sich die Leute auch anhören, Interesse heucheln oder tatsächlich Interesse haben. Ich habe das nicht. Die alte Schickeria, wie man sie noch von der Spider Murphy Gang oder von Helmut Dietl her kennt, gibt es auch nicht mehr. In Schwabing wohnen heute Leute mit sehr viel Geld in schönen Altbauwohnungen, die unrenoviert schon zwei Millionen Euro kosten. 

Wie gehen Sie mit diesen Veränderungen um? Fehlt Ihnen das alte München? Oder ist das einfach der Lauf der Dinge?

Letzteres. 

Eine sehr pragmatische Einstellung für jemanden, der so eng mit dieser Stadt verbunden ist.  

Ja, aber was bleibt einem anderes übrig? Ich meine, ich kann natürlich mit einem Transparent durch die Straße marschieren. 

Zum Beispiel. 

Nein, dann wäre ich nur einer von Dutzenden Vollidioten, die sich lächerlich machen. Das ist der Gang der Dinge. Wenn mir jemand bündig erklären würde, was man dagegen macht, ohne dass das Regierungssystem Hitler oder Stalin wird, dann bin ich sofort dabei. Aber das Ganze ist nicht so einfach. 

Ist die Welt heute schlechter als damals, als Sie angefangen haben mit Ihrer Kunst? 

Nee, definitiv nicht. Aber meine Generation ist heute schlechter beinander (lacht). Die Welt ist in vielen Dingen sogar besser geworden. Aber das ist ein gefährliches Feld, denn es gibt ja keine Einigkeit darüber, was besser ist, was schlechter ist. Der eine sagt: „Das ist eine Verbesserung.“ Der andere sagt: „Du spinnst, das ist schlimm.“ Das ist eine Diskussion, die Leute führen können, die viel frei haben. 

Sie meinen Leute, die wenig arbeiten und die Last der Welt auf ihren Schultern tragen? 

Oder so tun, als ob. 

So tun, als ob? 

Wenn man festangestellt ist, oder wenn man einen Posten beim Staat hat, dann ist das ein dankbares Thema beim Grillen. Darüber wird auch seitenweise im Feuilleton geschrieben, mit großen Bildern ausgestattet. Ich finde, Leute meiner Generation sollten zurückhaltend sein mit Analysen und Urteilen. Die große Frage ist, inwieweit wir überhaupt noch verstehen, was passiert in der Welt. Und dann kommt man auch zur Frage, inwieweit wir mit 20 kapiert haben, was passierte in der Welt. Hat das irgendwer, der bei den ganzen linken Protesten zwischen 1967 und Anfang der 70er Jahre mitmarschiert ist? Oder hat er nur Flugblätter gelesen oder einen Antikapitalismuskurs gemacht? 

Man kann sich rückblickend leicht einreden, dass man einen wahnsinnig wichtigen Beitrag zu diesen oder jenen politischen und gesellschaftlichen Entwicklungen geleistet hat. 

Jedes Mal, wenn sich dieses 68 jährt, wird eine Gruppe von Figuren aus der damaligen Zeit interviewt, die eigentlich fest hinter Schloss und Riegel sitzen müssten oder zumindest jedes Jahr einmal geteert und gefedert durch die Straßen getrieben werden sollten. Und die geben dann irgendwelche Weisheiten von sich. 

Wir halten fest: Ob die Welt besser oder schlechter geworden ist, klären wir heute nicht. Ist die Welt denn humorloser geworden? 

Auch das nicht. Es gibt unglaublich gute Comedians auf der ganzen Welt. In Deutschland ist das eher wechselhaft. 

Mir geht es primär um Deutschland. 

In meiner Generation gab es mal in den 70er, 80er, Anfang der 90er Jahre so eine Gruppe von Leuten, da habe auch ich dazugehört, die als kritische Kabarettisten und Liedermacher galten. Es gibt viele Feuilletons, die schreiben von einer Generation von Aufmüpfigen, weil da irgendwelche Künstler zugange waren, die die Fahne der sozialen Gerechtigkeit hochgehalten haben und Teil der Anti-Atomkraft-Bewegung waren. Der Umweltschutz war auch ein super Thema. Alle waren ganz stolz drauf, wie fortschrittlich wir doch sind. Ich habe meine Zweifel, ob wir uns damals wirklich große Verdienste erworben haben. Vielleicht waren all diese munteren Burschen einfach nur zur richtigen Zeit am richtigen Ort. Mein Vater hätte vielleicht auch gerne Kabarett gemacht und Gitarre gespielt auf der Bühne, aber der musste zuerst nach Belgien und Frankreich marschieren, später nach Polen und dann noch in die Ukraine bis in den Kaukasus. 

Im Kaukasus ist dann eine Granate neben ihm explodiert. Er kehrte als Kriegsversehrter heim. 

Er hat an der falschen Stelle gestanden. Mein Vater war kein schlechterer Mensch als viele andere. Welche Widerstandskraft er gegenüber der Offiziersmannschaft und gegenüber seinen Vorgesetzten hatte und welche Risiken er durch seinen Ungehorsam eingegangen ist: Sowas sucht man heute vergebens in der deutschen Landschaft. Ich habe damals gedacht, das sind alles fortschrittliche, progressive Kabarettisten. Es ist schön, wenn man diese Vorstellung hat, ganz nett. Aber deshalb muss man nicht in Tränen ausbrechen vor Rührung. So unglaublich selbstlos war das alles nicht. 

Sie sind promovierter Arzt. Als Ihre künstlerische Karriere Fahrt aufnahm, gab es Briefe an die Ärztekammer, man solle Ihnen die Approbation entziehen. Das finde ich eine interessante Parallele zu heute. Mit dem Unterschied, dass die Rufe nach Berufsverboten mittlerweile eher von links kommen, nicht von rechts. 

Es gab tatsächlich Leute, die mich unmöglich fanden damals. Aber wirklich nur eine verschwindend kleine Minderheit von verknöcherten Kollegen aus der Ärzteschaft. Aber das war damals schon eher nützliche PR als Bedrohung. Es gibt halt Leute, die sehr bürgerlich veranlagt sind. Andererseits war das mit der Revolutionsattitüde auf der Bühne schon damals so eine Sache.  Wie revolutionär ist es, wenn du vor einer Versammlung von Linken stehst und gegen die Kapitalisten wetterst? Wie revolutionär ist es, wenn du vor einer Versammlung von Klimaschützern stehst und gegen die Ölindustrie schimpfst? Wie heldenhaft ist es, wenn du heute sagst „Diese scheiß Nazis!“? Das ist damn fucking umsonst. 

Was meinen Sie?

Wenn das jemand gesagt hätte zu der Zeit, als ich auf dem Gymnasium in Bad Reichenhall war, wo mehrere bekennende Nazis im Lehrkörper waren und ihre Schüler drangsaliert haben: Da habe ich nie ein Wort gehört. Damals saßen die Nazis noch in Regierungsämtern, in der Bundesregierung, im Kanzleramt, in den Gerichten in Bonn. Und jetzt, da diese ganzen Figuren tot und selbst deren Söhne im Ruhestand sind, schwingt man große Reden.

Wirklich mutig wäre, wenn ein Redakteur von irgendeinem öffentlichen Sender zu seinem Chef geht und sagt: „Die Nachrichten in der letzten Zeit haben ein Niveau, das absolut jeden Anstand unterschreitet.“ Milliarden an Gebührengeldern und dann jeden Tag diese unmenschlichen Krimis, plus diverse Schlagersendungen und Quizshows. Das ist eine Verletzung der Menschenrechte. Da muss man sich schon wundern, dass die Blauhelme nicht einmarschieren. Passiert aber nicht, weil jeder um seinen Posten bibbert. 

Ist die Gesellschaft also feiger geworden? 

Ich denke, ja, und das sage ich mit Kritik an meiner Generation. Ich denke, dass wir immer feiger waren als die Generation unserer Väter. Und die waren schon keine Helden. Ich höre jedenfalls äußerst ungern von Leuten, die in Freiheit und Sicherheit leben, in einem Staat mit weitgehender Meinungsfreiheit, dass die irgendwie gegen Diktaturen schimpfen oder mit dem Finger auf frühere Generationen zeigen, von wegen, was die alles verbockt hätten. Ja, frühere Generationen haben vieles verbockt. Aber zu sagen: „Die haben nur die Umwelt verschmutzt!“, das ist zu selbstgerecht. Den möchte ich sehen, der, sagen wir, dagegen ist, dass ein Krankenwagen durch die Gegend brettert, der mit einem hochentwickelten Medizinsystem verbunden ist, wodurch gebärende Frauen oder Manager mit Herzinfarkt in kürzester Zeit in eine super Klinik gebracht werden. Wenn wir sagen, wir brauchen all das nicht, okay, dann lasst uns darüber reden. Aber du kannst nicht leben mit diesen ganzen Segnungen und gleichzeitig null CO2-Fußabdruck hinterlassen.

Stichwort: Realismus.  

Realismus ist eine gute Ideologie. 

Ringsgwandl-Roman / dtv

Sie werden im November 75 Jahre alt. Können Sie das glauben?  

Es ist einfach so, ich muss es nicht glauben. So hat es das Standesamt Bad Reichenhall im Jahr 1948 dokumentiert. Wobei ich zum jetzigen Zeitpunkt nicht garantieren kann, dass ich 75 Jahre alt werde. Wenn ich das garantieren könnte, wäre ich einen Schritt weiter. Man muss sehen, das Ganze ist eine wacklige Veranstaltung. Auch wenn ich zu den Privilegierten gehöre, die dieses unglaubliche Glück haben, noch an Dingen arbeiten zu können, die ihnen Spaß machen und einigermaßen funktionieren. Das ist nicht selbstverständlich und es wird mit zunehmendem Alter weniger selbstverständlich. Andererseits ist es aber auch so, dass die ersten Alterserscheinungen schon viel früher auftreten, bei manchen schon in den Zwanzigern. 

Ich werde 37 Jahre alt und bei mir sind die Verfallserscheinungen schon länger im Gange. Das linke Knie macht Probleme beim Fußballspielen. Und wenn ich abends vier Bier trinke, merke ich am nächsten Tag sehr deutlich, dass ich keine 25 mehr bin.  

Vielen Altersgenossen geht es da wahrscheinlich nicht anders. Schauen Sie, es gibt auch Leute, die in jungen Jahren bereits Tendenzen von Sesshaftigkeit entwickeln, wo du sagst: Gott sei Dank muss ich da nicht mitmachen. Und es gibt Leute, die sterben im Alter von 65 Jahren. Die haben in der Lotterie einfach Pech gehabt, den falschen Schein gezogen. Das ist ungerecht. Aber dagegen ist nichts zu machen. Es gibt die Statistik, und du weißt nicht, wo genau du in dieser Statistik stehen wirst; weit links oder weit rechts. 

Lassen Sie uns über Ihren Roman sprechen: „Die unvollständigen Aufzeichnungen der Tourschlampe Doris“. Sie haben in einem Interview mal gesagt, dass Sie für ein Album manchmal 40 oder 50 Lieder geschrieben haben, am Ende haben es aber nur 13 oder so auf den Langspieler geschafft.  Wie viel haben Sie für das Buch weggeschmissen? 

Das Buch ist noch krasser in der Redundanz. Am Ende hatte ich so um die 300 Standardseiten, die durch das Layout auf über 400 Seiten angewachsen sind. Aber ich hatte auch schon eine Fassung, die war 1300 Seiten lang. Außerdem habe ich das Ding in der Zwischenzeit fünf Mal geschrieben. Das liegt wohl auch daran, dass ich Hochdeutsch nie wirklich gelernt habe. Und vor allem Prosa zu schreiben, ist ein völlig anderes Gebiet als einen Songtext. Um eine vernünftige Seite Prosa hinzubekommen, habe ich Jahrzehnte gebraucht. Und dann habe ich viele Jahre mit diesem Buch verbracht. Ich habe immer mal wieder daran gearbeitet, dann ist es wieder liegengeblieben, weil wir eine Platte gemacht haben oder auf Tour waren. Und jetzt – schwups! – ist es fertig geworden, stark gekürzt. Es hat einfach gedauert. 

Grundlage Ihres Buches sind Aufzeichnungen einer ehemaligen Tourmanagerin von Ihnen, die sie vor Jahren auf einem alten Laptop entdeckt haben. Darin geht es auch um sexuelle Eskapaden und heroinsüchtige Musiker. Wieviel Fiktion steckt in Ihrem Buch auch drin? 

Das ganze Buch ist praktisch überhaupt keine Fiktion. Ich hatte die Aufzeichnungen, musste Textfragmente auswählen. Manches habe ich reingenommen, anderes nicht, weil ich es unfair gefunden hätte gegenüber manchen Leuten, die heute ein ganz normales, bürgerliches Leben führen. Manche Namen habe ich deshalb geändert. 

Bei dem Begriff „Tourschlampe“ kam mir der Fall des Rammstein-Sängers Till Lindemann in den Sinn. Haben Sie die Diskussion verfolgt? 

Verfolgt nicht, aber viele Leute haben mir davon erzählt, und ein paar Schlagzeilen habe ich natürlich auch mitbekommen. 

Ich habe mich unter anderem gefragt, ob wir derzeit das Ende des Rock'n'Roll erleben, weil keiner mehr negativ auffallen will. Weil Künstler Angst haben, dass sie wegen ihres exzessiven Lebensstils öffentlich zerrissen werden. 

Hundertprozentig nicht. Zu Rammstein muss man sagen: Mein Neffe hat schon vor 30 Jahren Rammstein gehört. Deshalb habe ich die Aufregung gar nicht so richtig verstanden. Viele Rammstein-Texte sind derb sexistisch oder scharf am hart rechtsradikalen Gedankengut entlang. Nicht drin, aber die Liedzeilen schwappen da entlang. Rammstein ist kein gewaltfreies Ballett, das sind derb-martialische Shows. Wie kann sich dann jemand wundern, dass der Sänger mit ein paar Weibern nach der Show abzieht oder irgendwelche losen Sprüche ablässt? Wenn du dir eine Karte für einen Boxkampf kaufst, gehst du ja nicht raus, wenn einer aus der Nase blutet. Ich bin mir aber nach wie vor nicht ganz sicher, ob das nicht einfach ein PR-Gag dieser Jungs ist. 

Ich war schon auf einigen Punk- und Metalkonzerten. Sie sagten gerade, bei diesen Texten muss man sich nicht wundern. Meine Erfahrung ist aber, dass dort sehr nette Menschen herumlaufen, die aufeinander aufpassen. Ich will zum Beispiel nicht wissen, was im Backstage-Bereich des Schlagergartens los ist – und die singen von Blumen und Sonnenschein. 

Das möchte man zu Recht nicht wissen. Bei Rammstein gibt es aber eine Riesenaufregung. Wenn du an der Ingolstädter Landstraße rausfährst und dich aufregst, dass dort Frauen ihre Dienste anbieten, verstehe ich das einfach nicht; das finde ich verlogen. Und wenn du nach einem Konzert zu Till Lindemann in die Garderobe gehst, würde ich nicht annehmen, dass er dort einen Vortrag über Empfängnisverhütung hält. Dann ist es gut möglich, dass der einem an bestimmte Körperteile fasst. Sofern er das überhaupt getan hat. Weiß man ja alles nicht. 

Das stimmt. Aber die Diskussion selbst passt dennoch gut in den Zeitgeist. Nehmen Sie zum Beispiel all diese Debatten über politische Korrektheit wahr? 

Ich nehme natürlich die Diskussionen wahr, ich lese ja auch viel, aber ich habe da nichts beizusteuern. Ich denke, dass das Moden sind, die ins Land kommen und irgendwann wieder verschwinden. All diese Moden haben etwas von einer gewissen Anmaßung. Sie hinterlassen einen kleinen Rest an Änderungen in der Welt, die okay sind, aber der Rest ist nur Wind; eine Sau, die durchs Dorf getrieben wird, weil sich jemand wichtig machen und in der Zeitung großrauskommen will. Das ist immer schon so gewesen. 

Was denken Sie über die junge Generation von heute? 

Ich glaube, dass die jüngeren Leute heutzutage viel braver sind und viel ordentlicher als meine Generation mit 20, 25.  

Man könnte auch sagen: spießiger. 

Ich weiß nicht, ob sie spießig sind. Es kann aber sein, dass sie gesehen haben, dass diese Revolutionsattitüde meiner Generation vor allem viel Alarm war, viel Anspruch, viel Getue, viel Behauptung und dass davon nichts übriggeblieben ist. Also kann man sich den ganzen pseudorevolutionären Wust genauso gut sparen. Ich nehme das so wahr, dass viele der 20- und 30-jährigen heute vieles als selbstverständlich in ihrer Weltbetrachtung drin haben, das bei uns noch diskussionswürdig war. Die Jungen heute saufen weniger, als wir gesoffen haben, und sie haben weniger von dieser verlogenen Sozialrevoluzzer-Attitüde. Es gibt viele in meiner Altersgruppe, die deshalb sagen, die jungen Leute seien unpolitisch. Ich bin mir da nicht so sicher.

 

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Ich habe das Gefühl, sie sind vor allem sehr politisiert. Sie haben gewisse Standpunkte, die sie teils sehr aggressiv formulieren, aber mehr mosern, als sich mit Inhalten zu beschäftigen. Da fehlt es oftmals an grundsätzlichem Verständnis. Eine feministische Außenpolitik dürfte mit Saudi-Arabien jedenfalls schwer zu machen sein. 

Das ist doch vollkommen klar, oder? Aber die arme Frau tut mir wirklich leid. 

Frau Baerbock tut Ihnen leid?   

Die tut mir wirklich leid. Die ist in ein Karussell reingeraten, dessen Schrecken sie vorher nicht gesehen hat. Wenn du beim Rafting oben in einen Wildbach einsteigst – „Coole Geschichte, da mach ich mit!“ –, dann kannst du nicht einfach aussteigen beim nächsten Strudel, beim nächsten Wasserfall. Dann geht es immer weiter runter – und das Zeug fliegt dir um die Ohren. Ich wundere mich, dass diese Frau so tough ist, jeden Morgen aufsteht, was anzieht und da rausgeht. Die ist wirklich nicht zu beneiden. 

Über Ihren Amtsvorgänger Heiko Maas haben Sie damals gesagt, er sei ein „Volldepp“. Da waren Sie weniger nachsichtig. 

Ich glaube immer noch, dass der ein Vollkoffer war; verlogen bis dorthinaus. Mei, die Baerbock hat das wirklich gut gemeint, und ich habe auch gehofft, dass sie wirklich etwas reißt. Aber das Thema ist einfach zu schwierig. Ich kann nur hoffen, dass die ganze Außenamtsapparatur unter ihr, dass das alles Profis sind. Denn feministische Außenpolitik außerhalb Berlins ist ein schwieriges Geschäft. Das wird schon im Hunsrück schwierig. 

Haben Sie konkrete Kritikpunkte an der derzeitigen Bundesregierung? Oder sind Sie eher der Meinung, man muss auch da nicht seinen Senf dazugeben? 

Ich mag dieses sogenannte Politisieren nicht. Es ist doch so: Jeder Dödel, ganz egal, wie katastrophal verkackt sein ganzes Leben ist, egal, wie mies und jämmerlich er seinen Beruf macht, egal, wie verquer seine Familie ist, glaubt, hundertprozentige Rezepte zu haben, wie man es mit den Chinesen machen soll und den Russen und den Amerikanern. Dann denke ich mir immer: Wenn du so ein Crack bist international, warum kannst du nicht einfach mal mit deiner Frau reden, ob es in deiner Familie statt mit drei Autos auch mit zwei geht. Dann heißt es immer: „Ja, hast ja Recht, aber mit meiner Frau kann ich da nicht verhandeln.“ 

Wie schaffen Sie es, diese Ruhe zu bewahren in Zeiten, in denen es überall Einschläge gibt? Auch rund um die Kunst. Wo es überall Ärger gibt, zum Beispiel geschimpft wird auf Dieter Nuhr, der angeblich ein Rechter sein soll. 

Dieter Nuhr? 

Ja. 

Ist das ein Fernsehkabarettist? 

Kennen Sie Dieter Nuhr wirklich nicht oder verarschen Sie mich gerade? 

(lacht) Nee, das war Quatsch jetzt. 

Wusste ich’s doch. Soweit können selbst Sie sich nicht rausnehmen, egal, wie sehr Sie in sich ruhen. 

Es ist doch so: Man muss nicht zu allem immer eine Meinung haben. Wenn du so genau weißt, wie die Klimapolitik und dieses ganze Zeug sein muss, dann lass uns doch kurz über deine Familie reden oder über deinen Job: Was machst du denn in deinem Job? Wenn du so schlau bist, wenn du weißt, wie Europa oder Asien funktionieren müssen, müsste man doch annehmen, dass du daheim und im Job alles geregelt bekommst. An dieser Stelle sind die Leute dann immer gleich beleidigt. 

Aber das ist nun wirklich eine Kritik, die kann man immer anbringen. Nach dem Motto: Du willst den Regenwald retten, kriegst es aber nicht einmal hin, dass deine einzige Pflanze auf der Fensterbank nicht verreckt.  

Das ist so. Wenn der Deutsche ins Ausland fliegt, zu einer Konferenz mit Bolsonaro oder wem auch immer, und dann predigt er, man müsse den Regenwald retten. Dann würde ich zu meinem Assistenten, nennen wir ihn José, sagen: Bring mir doch mal kurz den Google-Ausdruck von Deutschland. Den würde ich dem Deutschen zeigen und sagen: „Schau dir mal diese Karte von oben an. Da gibt’s bisserl Wald drin und ganz viel Industrie drum herum. Ums Jahr 1000 aber war Deutschland nur Wald und Sumpf; ein großes Feuchtgebiet. Das habt ihr in den letzten Tausend Jahren aus Deutschland gemacht! Wie kommt ihr Wichser jetzt darauf, dass wir das anders machen sollen? Bitte hier kurz erklären.“ Dann sagst du als Umweltminister: „Wir wissen es inzwischen halt besser.“ Worauf der andere sagt: „Nein, wir noch nicht. Ihr hattet tausend Jahre Zeit dafür und wir nehmen uns jetzt hundert.“ Was machst du dann als Umweltminister? 

Dann haben Sie also doch konkrete Kritik an der Bundesregierung. Und zwar, dass sie hinausgeht in die Welt und versucht, andere zu belehren. 

Das ist nicht nur die Bundesregierung, das ist das deutsche Wesen. Der Deutsche wusste es immer schon besser. Das war vor dem Ersten Weltkrieg so und das war auch vor dem Zweiten Weltkrieg so. Es ist doch irre, dass wir hergehen und der Welt sagen, was Umweltschutz ist und Demokratie und so weiter. Da denke ich mir: Dieser verrottete Dreckshaufen hat zwei Weltkriege vom Zaun gebrochen und die Shoa auf dem Konto. Und jetzt laufen wir herum und sagen der Welt, was Demokratie ist? Wir haben hier nur Demokratie, weil die Amerikaner, die Engländer, die Franzosen und die Russen irgendwann ernstgemacht haben. 

Sie haben mal gesagt, Sie seien ein „Prediger der reinen Wahrheit“. 

Ich? 

Ja. In einem Interview. 

Tatsächlich? Das ist kein schlechter Spruch. 

Letzte Frage: Wieviel Wahrheit haben Sie den Leuten denn in den vergangenen Jahrzehnten zugemutet, auch als Künstler? 

Das war natürlich ein bitterer Spruch. Wenn du als Künstler wirklich glaubst, dass du die Wahrheit verkündest, dann hast du komplett ausgeschissen. Wahrheiten sind ein äußerst schwieriges Geschäft. Jeder, der im Entferntesten irgendwas mit Kunst macht, soll die Wahrheit erkannt haben? Welche Wahrheit? Zu welcher Zeit? An welchem Ort? Es gibt ein paar Grundprinzipien, die unverrückbar sind. Aber Wahrheiten darüber hinaus? Puh. Das war ein frecher Spruch, aber das habe ich nie geglaubt. Du kannst Fragen stellen, ja. Aber Wahrheiten verkünden? No fucking way!

Das Gespräch führte Ben Krischke.

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