Brioche statt Brei - Wie die Hugenotten die preußische Küche aufmischten

Unser Genusskolumnist hat neulich das „Märkische Museum“ in Berlin-Mitte besucht. Und stieß dabei unter anderem auf den enormen Innovationsschub, den die zugewanderten Hugenotten ab dem Ende des 17. Jahrhunderts für die karge preußische Ernährungs- und Genusskultur auf den Weg brachten.

Die Radierung von Jan Luyken (1649-1712) zeigt die Verfolgung der Hugenotten in Frankreich / picture alliance
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Autoreninfo

Rainer Balcerowiak ist Journalist und Autor und wohnt in Berlin. Im Februar 2017 erschien von ihm „Die Heuchelei von der Reform: Wie die Politik Meinungen macht, desinformiert und falsche Hoffnungen weckt (edition berolina). Er betreibt den Blog „Genuss ist Notwehr“.

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Am 30. Dezember nutzte ich die vorerst letzte Gelegenheit, das mitten im historischen Stadtkern gelegene Märkische Museum zu besuchen. Denn das 1908 eröffnete Berliner Stadtmuseum schließt für mindestens 5 Jahre seine Pforten und wird umfassend saniert und umgestaltet.

Besonders ein Exponat hat mich nicht nur beeindruckt, sondern zu weiteren Nachforschungen animiert. Auf einem Tisch waren einige nachgebildete, heutzutage alltägliche Lebensmittel drapiert:  Blumenkohl, Möhren, Steinpilze, Champignons, Weißbrot, weißer Spargel, Äpfel, Birnen und ein Windbeutel. Das Besondere: Alle diese Lebensmittel wurden von einer speziellen Migrantengruppe nach Berlin gebracht: Den calvinistisch-protestantischen Hugenotten.

Entsetzt von den hiesigen Essgewohnheiten

Alles begann am 8. November 1685, als Kurfürst Friedrich Wilhelm das „Edikt von Potsdam“ erließ. Den in Frankreich verfolgten Hugenotten wurde Asyl in Preußen mit sehr großzügigen Rahmenbedingungen angeboten. Dazu gehörte nicht nur religiöse Toleranz, sondern auch finanzielle Starthilfen, Vergabe von Grundstücken, eine 15-jährige Abgabenfreiheit und eine umfassende Integration in die Gesellschaft.

Viele folgten dem Ruf des Kurfürsten, allein in Berlin und der umliegenden Mark Brandenburg siedelten sich binnen weniger Jahre rund 20.000 Hugenotten an. Für die in Folge des 30-jährigen Krieges dramatisch ausgeblutete preußische Provinz war diese Zuwanderung ein wahrer Segen, denn die hoch motivierten und oftmals auch hochqualifizierten Migranten brachten die Wirtschaft in Schwung und verhalfen auch der bislang eher unbedeutenden kurfürstlichen Residenzstadt Berlin zu einer ersten großen Blüte.

Das hört sich nach einer großen Erfolgsstory an. Doch die Hugenotten standen vor einem ernsten Problem: Wie sollten sie sich in diesem zurückgebliebenen Landstrich bloß ernähren, ohne gravierenden Schaden an Leib und Seele zu nehmen? Denn die märkische Landwirtschaft beschränkte sich weitgehend auf Kohl, Rüben, Hirse und Roggen und entsprechend karg war das Speiseangebot, das manchmal noch mit Dörrfisch und Pökelfleisch ergänzt wurde. Frisches Obst und Gemüse, Kräuter und Gewürze waren quasi unbekannt – entsprechend anspruchslos war die Verköstigung jenseits der höfischen Kreise. Eigentlich gab es nur Brei, dünne Suppen und hartes Brot.

Innovative Landwirtschaft und erste Gourmet-Adressen

Die Kommunikation mit den noch in der Heimat lebenden Freunden und Verwandten scheint aber funktioniert zu haben, und schon bald trafen in Berlin und Umgebung mit weiteren Zuzüglern auch beträchtliche Mengen Saat- und Setzgut aus Frankreich ein, auch junge Obstbäume, Beerensträucher und Weinstöcke. Auf diese Weise wurde auch das damals noch vor den Stadttoren gelegene „Moabiter Werder“, auf dem sich heute u.a. das Bundeskanzleramt, das Innenministerium und die Kongresshalle befinden, zu einem neu erschlossenen Anbaugebiet, u.a. für Spargel, Schwarzwurzeln, Blumenkohl, Erbsen, Artischocken und Chicorée. Im Umland entstanden zahlreiche Gewächshäuser und bislang unbekannte Agrarkulturen mit Früh- und Mistbeeten.

 

Zuletzt in „Genuss ist Notwehr“ erschienen:


Was zunächst dem Eigenbedarf der Hugenotten-Community diente, die Ende des 17. Jahrhunderts rund ein Viertel der Berliner Bevölkerung ausmachte, bereicherte bald auch die Märkte der Region. 1698 wurde im Moabiter Werder ein erstes französisches Feinschmeckerrestaurant eröffnet, die „Menardie“. Auf dem Areal befindet sich heute das edle Promi-Restaurant „Zollpackhof“. Es folgten weitere Restaurants und auch Feinbäckereien, die vor allem Weißbrot und vergleichsweise raffiniertes Gebäck auf Weizenmehlbasis offerierten. Wie beispielsweise die Brioche, die in anderen Teilen Deutschlands auch als „Brandenburger Zwieback“ bezeichnet wurde.

„Ragout Fin“ - in Frankreich unbekannt

Viele Hugenotten erwarben Braulizenzen und kreierten das, was später als „Berliner Weiße“ bekannt wurde. Auch das „Ragout Fin“ erblickte in dieser Zeit das Licht der kulinarischen Öffentlichkeit – denn trotz des Namens war und ist es in Frankreich nicht bekannt, sondern wurde von den Migranten als feines Ragout mit Kalbfleisch und Pilzen entwickelt. Und so manch Berliner und Brandenburger machte dank der Hugenotten erstmals Bekanntschaft mit Salatgurken, Blattsalaten, Birnen, Bohnen, Erbsen und sogar Kartoffeln, die dann ein halbes Jahrhundert später zur Bekämpfung von Hungersnöten von König Friedrich II. als Brandenburgs Leitgemüse etabliert wurden.

Natürlich beschränkte sich der Innovationsschub, den die Hugenotten in die Mark und nach Berlin brachten, nicht auf die Kulinarik. Auch Architektur, Kultur und Geistesleben haben sie stark und auch nachhaltig beeinflusst, wovon auch die frankophilen Neigungen des Preußenkönigs Friedrich II. zeugen. Damals war kaum absehbar, dass sich das deutsch-französische Verhältnis einige Jahrzehnte später zu dem entwickelte, was als „Erbfeindschaft“ bezeichnet wurde.

Besser verstehen, woher wir kommen

Die Zuwanderung der Hugenotten am Ende des 17. Jahrhunderts war nicht die erste und nicht die letzte Migrationswelle, die das (nicht nur) kulinarische Leben im preußischen Kernland und vor allem in Berlin nachhaltig prägten. Man muss jetzt nicht bei jedem Blumenkohl, jeder Spargelstange und jeder Salatgurke, die man auf dem Markt kauft, dem Kurfürsten Friedrich Wilhelm ein stilles Dankgebet für sein 1685 erlassenes „Edikt von Potsdam“ widmen. Aber man sollte sich der Spuren, die die Hugenotten hinterlassen haben, durchaus bewusst sein. Um besser zu verstehen, woher wir kommen, wo wir gerade sind und wohin wir gehen sollten.

Das „Märkische Museum“, das mir diesbezüglich einen unerwarteten Anstoß gegeben hat, ist jetzt leider geschlossen.  Aber in nächster Zeit werde ich bestimmt mal das Hugenotten-Museum im Französischen Dom am Gendarmenmarkt in Berlin-Mitte besuchen. Und vielleicht finde ich ja auch irgendwo ein Faksimile der Speisekarte der 1698 in meinem Heimatbezirk Moabit eröffneten „Menardie“.  

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