Veränderte Konsumgewohnheiten - Die neue grüne Spargelwelt

Grüner Spargel erfreut sich zunehmender Beliebtheit, während sich weißer Spargel allmählich zum „Seniorengemüse“ entwickelt. Beide Trends kann unser Genusskolumnist nicht nachvollziehen, und nach zwei Versuchen mit Grünspargel erst recht nicht.

Anscheinend irgendwie hipper als weißer Spargel: Grüner Spargel / dpa
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Autoreninfo

Rainer Balcerowiak ist Journalist und Autor und wohnt in Berlin. Im Februar 2017 erschien von ihm „Die Heuchelei von der Reform: Wie die Politik Meinungen macht, desinformiert und falsche Hoffnungen weckt (edition berolina). Er betreibt den Blog „Genuss ist Notwehr“.

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Glaubt man Umfragen und den Aussagen von Branchenvertretern, dann gehöre ich zu einer aussterbenden Spezies. Denn weißer Spargel beziehungsweise Bleichspargel ist anscheinend unaufhaltsam auf dem Weg, zu einem „Seniorengemüse“ zu werden. Es gebe zwar viele ältere Menschen, „die den Spargel im Frühling sehnlich erwarten, ihn selber schälen, liebevoll zubereiten und den Verzehr zelebrieren. Spargel hat den Nimbus eines Festessens für sie“, sagte der Spargelbauer und Vorsitzende des Beelitzer Spargelvereins, Jürgen Jakobs, dem Stern.

Auf der anderen Seite gebe es aber immer mehr jüngere Menschen, „denen Spargelessen zu aufwendig ist“. Der Rückgang sei deutlich spürbar: Betrug die Anbaufläche im Beelitzer Gebiet im Jahr 2020 noch rund 2000 Hektar, so sind es in diesem Jahr nur noch 1500 Hektar. Wobei natürlich auch die Corona-Krise und die Inflation eine Rolle spielten, aber der Trend gehe tiefer.

Bleichspargel passt nicht zum Zeitgeist

Das beobachtet auch der Kultur- und Agrarwissenschaftler Gunther Hirschfelder von der Universität Regensburg. Weißer Spargel passe nicht mehr zur aktuellen Ernährungskultur, sagte er der Nachrichtenagentur dpa. Besonders Menschen unter 30 „haben eher mehr Verzehrsituationen über den Tag verteilt, mögen All-in-one-Essen aus einem Topf oder einer Schüssel, sowas wie Bowls, was es in vielen Asia-Läden oder arabischen Lokalen gibt“. Wichtig sei, dass es „easy to eat“ sei, also auch unterwegs, ohne viel Besteck, und „da sind ganze Stangen, die man schneiden muss, unpraktisch. Das passt überhaupt nicht dazu, dass man beim Essen mit dem Handy spielt. Sie brauchen am besten Dinge, die sie mit einem Löffel essen können.“

Wachsender Beliebtheit erfreut sich in Deutschland dagegen Grünspargel, dessen Marktanteil deutlich gestiegen ist. Dafür sehen Jakobs und Hirschfelder viele Gründe. Zum einen seien beim weißen Spargel Anbau, Ernte und Zubereitung relativ aufwendig und das Angebot saisonal wesentlich stärker limitiert als beim Grünspargel. Und während dieser im gesamten mediterranen Raum und einigen asiatischen Ländern eine lange Tradition hat und weit verbreitet ist, beschränke sich „der Bohei um den weißen Spargel“ auf wenige mitteleuropäische Länder, vor allem Deutschland, Österreich und die Schweiz.

Grünspargel für normales Kochen ungeeignet

Das alles klingt recht nachvollziehbar. Grünspargel wächst anders als Bleichspargel nicht in Erdwällen, wo die einzelnen Stangen mühsam ausgestochen werden müssen, sondern in normalen Beeten. Er muss nicht geschält werden und ist vielseitiger einsetzbar – auch auf dem Grill zum Beispiel. Weniger nachvollziehbar erscheint mir allerdings die häufige pauschale Behauptung, er schmecke „intensiver“ als sein weißes Pendant und habe „eine interessante würzige Note“.
 

Zuletzt in „Genuss ist Notwehr“ erschienen:


Ich habe mich bisher nicht sonderlich für Grünspargel interessiert. Ab und zu war er mal irgendwo auf dem Teller, aber beeindruckt hat mich das nie. Und zubereitet hatte ich ihn bislang auch nicht. Aber wenn alle davon reden, sollte man da mal rangehen. Was allerdings gleich beim ersten Versuch ziemlich in die Hose ging.

Wir haben die – ziemlich dicken – Stangen schlicht wie Bleichspargel gekocht, nicht zu weich. Also so wie es in diversen Kochratgebern auch vorgeschlagen wird. Aber so was Langweiliges, nahezu Geschmackloses war mir schon lange nicht mehr begegnet. Wenigstens haben die dazu gereichten, ausgesprochen würzigen „Belana“-Kartoffeln und das marinierte Bio-Schweinesteak was getaugt.

Eine austauschbare Beilage

Den Reinfall machte ich öffentlich – was eine Mischung aus Häme und Vorschlägen für andere Zubereitungsarten nach sich zog. Dabei ging es vor allem um gebratene Varianten, mal mit Garnelen, mal „chinesisch“, mal im Backofen mit Olivenöl und Lachs. Auch ein Risotto war auf der Liste und natürlich diverse „mediterrane“ Versionen. Was den Verdacht nährte, dass es sich bei Grünspargel um eine ziemlich beliebige, austauschbare Zutat handelt.

Ich entschied mich dann für ein eher einfaches Gericht, das ein alter Journalistenkollege vorschlug: „Stahlpfanne auf 150 Grad erhitzen, ein paar Spritzer Olivenöl rein, dann ca. 5 cm lange Spargelstücke dazu geben, aber Achtung: nicht die Köpfe, die kommen erst ganz zum Schluss in die Pfanne, in der letzten Minute. Der Rest nicht viel länger als 5 Minuten, der Spargel muss noch knacken. Bisschen Meersalz und Parmesan drüber, fertig. Dazu katalanisches Tomatenbrot.“

Dann lieber doch Bleichspargel

Habe ich genau so gemacht (nur mein Tomatenbrot war eher toskanisch als katalanisch). Und ja – das konnte man essen. Aber ohne den Parmesan (ein paar Stücke habe ich bewusst „nature“ belassen) war es fast so langweilig, wie bei meinem missglückten Kochversuch. Und Gemüse, das so etwas Kräftiges wie Parmesan benötigt, um beim Essen wirklich Spaß zu machen, ist mir eh einigermaßen suspekt. Man hätte auch Brokkoli nehmen können, der Unterschied wäre wohl kaum aufgefallen. Oder Pastinaken, die so geschmacklos sind, dass man sie getrost aus aromatisierter Pappe im 3D-Drucker herstellen könnte, ohne dass das jemand merkt. Gilt auch für das, was uns hier als „Mozzarella“ verkauft wird, aber das nur nebenbei.

Das hat mich dann jedenfalls davon abgehalten, meine Selbstversuche in Sachen Grünspargel fortzusetzen. Und ich freue mich schon auf die nächste Portion frischen weißen Spargels, der bei mir stets „nur“ mit Butter und Kartoffeln gereicht wird, denn seine Degradierung zur Beilage oder die Entwürdigung durch schleimige Hollandaise hat dieses saisonale Edelgemüse nun wirklich nicht verdient. Aber ich bin ja auch nur ein alter, mitteleuropäischer, gar deutscher Mann, der die Zeichen der Zeit nicht verstanden hat.

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