Illustration Kolumne Der Flaneur
„Der Bildschirm in der U-Bahn zielt auf den, der selbst keinen hat: Er wird mit Zwangsfernsehen bestraft“

Der Flaneuer - Von der Unmöglichkeit, nicht fernzusehen

Ob in Bars, Restaurants oder Kneipen: Ganz Deutschland ist mit öffentlichen Bildschirmen eingedeckt. Die bewegten Bilder sind ubiquitär geworden, und wir alle sehen hin. Hauptsache, niemand muss sich langweilen

Stefan aus dem Siepen

Autoreninfo

Stefan aus dem Siepen ist Diplomat und Schriftsteller. Von ihm erschien zuletzt im Verlag zu Klampen „Wie man schlecht schreibt. Die Kunst des stilistischen Missgriffs“. (Foto: © Susanne Schleyer / autorenarchiv.de)

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In meiner Münchener Studentenzeit war Schumann’s Bar in der Maximilianstraße dafür bekannt, dass ein Bildschirm über dem Tresen hing. Das gab es nirgends sonst: Man konnte das Programm von ZDF oder ARD sehen, langweilige Sendungen verschiedener Art, bevorzugt Fußball. Kaum jemand schaute hin. Der Bildschirm wurde als skurril belächelt, trug zum nonkonformistischen Image des Etablissements bei, darin erschöpfte sich sein Zweck.

Heute wäre eine Bar ohne Fernseher nonkonformistisch. Auch sonst sind ganz München und Deutschland mit öffentlichen Bildschirmen eingedeckt, die bewegten Bilder sind ubiquitär geworden, und alle sehen hin. Wer bei Karstadt an der Kasse wartet, bei der Post ein Paket aufgibt, an der Hotelrezeption seine Rechnung bezahlt, darf zur Vermeidung von Langeweile auf einen Bildschirm schauen. Auch in Restaurants nicht nur der schlechten Sorte laufen nicht nur während der Fußball-WM Fernsehgeräte. Der Grund ist leicht einzusehen: Während des Essens sind die Gäste gehindert, ihr Smartphone in der Hand zu halten, fühlen sich also unterbeschäftigt; der Bildschirm des Restaurants schafft Abhilfe.

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