Debatte um Selbstbestimmungsgesetz - Warum bloß will sich der Feminismus selbst abschaffen?

Waren das noch Zeiten, als Frauen ihren Platz in der Gesellschaft offensiv einforderten und sich dafür mit Männern anlegten. Doch das neue Jahrtausend wäre eben nicht das neue Jahrtausend, wenn nicht auch in Teilen des Feminismus plötzlich vieles nicht mehr so wäre, wie es einmal war. Heute fordern Frauenverbände nämlich Plätze, die bisher für Frauen gedacht waren, für Männer ein, die sich als Frauen identifizieren – und legen sich dafür mit gestandenen Feministinnen an, die sie als „TERFs“ bezeichnen. Da kann Mann sich nur wundern.

Ausstellung unter dem Titel „Feminismus in Comic und Illustration“ auf dem Comic-Salon in Erlangen / dpa
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Autoreninfo

Ben Krischke ist Leiter Digitales bei Cicero, Mit-Herausgeber des Buches „Die Wokeness-Illusion“ und Mit-Autor des Buches „Der Selbstbetrug“ (Verlag Herder). Er lebt in München. 

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Seit geraumer Zeit verfolge ich nun die Debatten über Trans- und Intersexualität und all die vielen Geschlechter, die es mittlerweile geben soll, mit einer gewissen Verwunderung. In einer Mischung aus journalistischer Neugier vielleicht und meinem Dasein als weiße Person, die heterosexuell ist und auch noch im Reinen mit dem ihr „bei der Geburt zugewiesenen Geschlecht“ – wie das in Beiträgen der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten mittlerweile heißt, wenn ein Arzt ein Kind bei der Geburt auf Basis biologischer Tatsachen als kleinen Mann oder kleine Frau identifiziert. 

Unterm Strich bin ich dafür, dass jeder nach seiner Façon glücklich werden soll. Meinetwegen können sich Menschen dafür als alles Mögliche identifizieren, auch als gender-fluid oder non-binär. Ich las neulich sogar von einer Frau, die im Alter von 16 Jahren festgestellt haben soll, dass sie eine Katze im Körper einer Frau ist und damit, genau genommen, auch nur tut, was andere derzeit mit großer Begeisterung tun. Bei der FDP, bei den Grünen, bei der SPD, in ARD und ZDF und in vermeintlich linken Redaktionen: biologische Tatsachen leugnen oder zumindest relativieren.

Zeit für ein Geständnis: Ein bisschen beneide ich diese Menschen sogar dafür, weil ich mich allzu gerne als 20-jähriger Jungspund identifizieren würde. Vielleicht wären dann auch meine zumindest teilweise altersbedingten Knieprobleme nur noch eine Frage der persönlichen Einstellung – und ich könnte schon bald wieder wie ein junger Adonis über Linksaußen sprinten und in meinem Fußballverein endlich den Beitrag leisten, den ich gerne leisten würde, statt schon in der Halbzeitpause wie ein Schluck Wasser in der Kurve zu hängen, wenn die Temperaturen auf dem Platz über 25 Grad steigen.

Frausein via Sprechakt beim Standesamt

Verstehen Sie mich nicht falsch. Ich will die Probleme von Trans- und Intersexuellen nicht ins Lächerliche ziehen. Und ich kenne zum Beispiel einen sehr netten jungen Mann, der mittlerweile eine junge Frau ist, die fast zur Familie gehört und sich tagtäglich mit irgendwelchen Idioten herumschlagen muss. Ich denke die Leugnung biologischer Tatsachen – was eben eine andere Diskussion ist, als Trans- und Intersexuelle in die Gesellschaft zu integrieren – nur konsequent zu Ende. Und ich wundere mich halt, mit welcher Selbstverständlichkeit da mittlerweile geleugnet wird, während ich gleichzeitig überall von den gleichen Leuten lesen muss, man solle beim Klimaschutz und den Corona-Maßnahmen konsequent „der Wissenschaft“ folgen.

Vor allem aber wundere mich über jene, die sich in der Geschlechterdebatte auf die Seite der Transverbände schlagen, um dann als Steigbügelhalter Dritter zu fungieren, während sie gleichzeitig die eigenen Interessen aus den Augen verlieren oder diese mit ihrem neu entdeckten Engagement sogar torpedieren. Ganz vorne mit dabei sind da mittlerweile auch Post-Feministinnen und Frauenverbände, die sich selbst in irgendeiner Form als feministisch begreifen, aber nun auch für das von der Ampel-Regierung geplante Zeitgeistgesetz namens Selbstbestimmungsgesetz trommeln.

 

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Das hätte unter anderem zur Folge, dass künftig jeder Mann ab 14 Jahren mittels einfachem Sprechakt beim Standesamt entscheiden könnte, ob ihn Staat und Gesellschaft als Frau behandeln müssen. Inklusive aller Privilegien, versteht sich, die Frauen haben, vom Frauenparkplatz bei Rewe über Posten in Aufsichtsratsgremien via Frauenquote bis hin zur staatlichen Erlaubnis, in Räume vorzudringen, die bisher biologischen Frauen ganz oder teilweise vorbehalten waren. Und hier wird – das schrieb ich jüngst schon an anderer Stelle – aus einer individuellen Frage dann eben eine gesamtgesellschaftliche Fragestellung.

Doch warum nur sind Teile der feministischen Bewegung plötzlich so erpicht darauf, den Feminismus mitsamt aller Errungenschaften der vergangenen Jahrzehnte abzuschaffen? Denn seien wir doch ehrlich: Was soll denn bitte die Existenzberechtigung für einen Feminismus sein, der abstreitet, dass es Frauen und Männer gibt, inklusive aller Unterschiede, die damit nachweislich einhergehen, biologisch und kulturell? Das wäre doch wie Menschen am Nordpol Kühlschränke zu verkaufen. Oder, noch viel verrückter, Elektroautos in Regionen unters Volk zu bringen, wo es dafür gar nicht die nötige Ladeinfrastruktur gibt. 

Wie sich die Zeiten doch ändern

Früher jedenfalls waren die Ziele der Feministinnen klar: Man wollte gegen das Patriarchat aufbegehren und offensiv einen gleichberechtigten Platz für Frauen in unserer Gesellschaft einfordern. Richtig so! Dafür legte man sich mit dem Patriarchat an, also mit Männern vor allem, die – und das ist noch gar nicht so lange her – damals noch entscheiden konnten, ob ihre Frauen arbeiten dürfen oder wann sie dem ehelichen Beischlaf nachzugehen hatten. Heute ist das anders.

Heute fordern Frauenverbände Plätze, die bisher Frauen vorbehalten waren, für Männer ein – weil die sich als Frauen fühlen. Reaktivieren alte Geschlechterrollen, weil jeder Junge, der gerne mit Puppen spielt, plötzlich trans sein soll, subsumieren Frauen unter dem Begriff „FLINTA“ (alles, was nicht männlich, weiß und hetero ist) und legen sich mit gestandenen Frauenrechtlerinnen an, die sie dann wiederum als „TERFs“ bezeichnen. Damit sind „radikale Feministinnen“ wie Alice Schwarzer gemeint, die nun plötzlich transphob sein sollen, weil sie nicht gegen biologische Tatsachen ins Feld ziehen wollen, sondern weiterhin gegen Geschlechterrollen, die kulturell bedingt sind.

Ein besonders eindrückliches Beispiel vom Wochenende: Der Deutsche Frauenrat (DF), ein Dachverband von immerhin rund 60 bundesweit aktiven Frauenorganisationen und laut eigenem Bekunden „die größte frauen- und gleichstellungspolitische Interessenvertretung in Deutschland“, hat sein politisches Programm „aktualisiert“. Zu dieser Aktualisierung gehört unter anderem, dass die Mitgliederversammlung am Sonntag einen Antrag verabschiedet hat, der „die Abschaffung des Transsexuellengesetzes und ein Recht auf Selbstbestimmung“ fordert, also letztlich die Umsetzung des geplanten Selbstbestimmungsgesetzes der Ampel-Regierung. Hierzu gab Beate von Miquel, Vorsitzende des DF, zu Protokoll:

„Auf dieser Mitgliederversammlung haben wir gemeinsam deutlich gemacht, dass Frauenrechte und Gleichstellung überall und international verteidigt und gestärkt werden müssen. Die Bundesfrauenministerin wies in ihrem Grußwort darauf hin, dass die Bundesregierung sich hier viel vorgenommen hat. Der DF erwartet die Umsetzung der Zusagen des Koalitionsvertrags und unterstützt die Frauenministerin in ihren gleichstellungspolitischen Vorhaben.“

Der offensichtliche Widerspruch scheint der Mitgliederversammlung – und ich bin mir bewusst, dass dies jetzt irgendwie „Mansplaining“ sein könnte, wenn man sich mit meinen Argumenten nicht inhaltlich auseinandersetzen will – nicht aufzufallen. Nämlich, dass durch ein Selbstbestimmungsgesetz keineswegs die Rechte von Frauen gestärkt werden. Im Kern gehört zum Konzept nämlich, dass Mann und Frau als biologische Tatsachen nicht mehr gelten oder als solche zumindest stark verwässert werden sollen. Heißt konkret: Letztlich trommelt der Deutsche Frauenrat nun auch für ein Gesetz, das vorsieht, dass ich als heterosexueller Mann – indem ich mich zum Beispiel als lesbische Frau identifiziere – genau die gleichen Rechte bekomme, wenn ich das wollte, wie Frau von Miquel und ihre Mitstreiter*innen – inklusive Frauenparkplatz und Zugang zur Frauensauna. Ich habe zwei kleine Schwestern und halte das für eine saublöde Idee.

Mehr ideologisch als idealistisch

Selbstredend habe mich also über den DF gewundert, ein bisschen überlegt und bin zu folgender These gelangt: Am Ende geht es dem Deutschen Frauenrat wohl weniger um Selbstbestimmung an sich, sondern darum, sich neue Zielgruppen zu erschließen in Zeiten, in denen an der ein oder anderen Stelle in Sachen Gleichberechtigung von Mann und Frau zwar noch einiges im Argen liegen mag, aber die Situation eben auch schon längst nicht mehr so düster ist wie vor 50 oder 60 Jahren. Auch deshalb, weil sich Probleme verlagert haben. Nehmen wir zum Beispiel die viel zitierte Gender-Pay-Gap, die eigentlich eine Lücke ist, die zwischen Männern und Nicht-Müttern auf der einen und Müttern auf der anderen Seite klafft, genau genommen also Mother-Pay-Gap heißen müsste.

Schauen Sie, ich glaube, das ist wie mit all den Gleichstellungsbeauftragen in der freien Wirtschaft und all den NGOs, die sich das Thema Gleichberechtigung auf die Fahnen schreiben: Je gleichberechtigter die Gesellschaft im Großen wird, desto dringender müssen neue Probleme und Themen im Kleinen identifiziert werden, um weiter das machen zu können, was man gerne tut. Und weil der Selbsterhaltungstrieb eben immer stärker ist als alles andere, macht man dafür jede zeitgeistige Nummer mit, die im vermeintlich eigenen Milieu gerade en vogue scheint.

Und sei es, biologische Tatsachen zu leugnen, die eben etwas anderes sind als eine individuelle Geschlechtsidentität, die wiederum nichts mit Penis und Vagina, nichts mit Chromosomen und Keimzellen zu tun hat, sondern mit einem Gefühl. Weil es in der deutschen Sprache aber keine deutliche Unterscheidung zwischen Sex (biologisches Geschlecht) und Gender (gefühlte Geschlechtsidentität) gibt, wie im Angloamerikanischen, geht bei der Debatte ständig einiges durcheinander. Aber das nur am Rande.

Mansplaining in Reinform

Das mit dem Selbsterhaltungstrieb jedenfalls ist, wie gesagt, nur eine These meinerseits. Denn zur Wahrheit gehört freilich auch, dass sich angebliche „TERFs“ nicht gefallen lassen, als solche bezeichnet zu werden. Und eben auch, dass es längst Frauenverbände gibt, die schon des Begriffs „Frau“ in Frauenverbände wegen gar nicht gut finden, welcher Zeitgeist da gerade seine Runden dreht und bis hinein in über Jahrzehnte gewachsene feministische Strukturen wirkt – unter anderem leidenschaftlich vorangetrieben und bei Widerspruch stets mit dem Transphobie-Vorwurf garniert vom Queer-Beauftragen der Bundesregierung, Sven Lehmann (Grüne).

Der ist bekanntermaßen ein Mann, inklusive aller patriarchalen Vorteile, die er deshalb haben mag, was ihn und andere biologische Männer gleichwohl nicht davon abhält, entscheiden zu wollen, was eine Frau ist und auf welche Seite sich Feministinnen wie Alice Schwarzer in der Trans-Debatte zu schlagen haben, um auch weiterhin Feministinnen sein zu dürfen (keine „TERFs“). Wenn das mal nicht Mansplaining in Reinform ist! Abgesehen davon entbehrt all das aber auch nicht einer gewissen Ironie: Denn sollte das Selbstbestimmungsgesetz tatsächlich kommen, hätten Frauenverbände wieder mehr als genug Gründe, für ihre Rechte auf die Straße zu gehen. Diesmal sogar für das Recht, weiterhin eine Frau sein zu dürfen. Ja, vielleicht erleben wir als Reaktion auf die Abschaffung des Feminismus sogar eine Renaissance des Feminismus. Verrückte Zeiten sind das.

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