Anna Schneiders Liebeserklärung an den Liberalismus - Vademecum der Freiheit

„Welt“-Chefreporterin Anna Schneider legt mit ihrem neuen Buch „Freiheit beginnt beim Ich“ die erfrischende Kampfschrift einer Individualistin vor. Und erteilt darin allen Bedenkenträgern wider die Freiheit eine Abfuhr.

Anna Schneider bei der Vorstellung ihres Buches im Berliner Kulturkaufhaus Dussmann / dpa
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Autoreninfo

Alexander Grau ist promovierter Philosoph und arbeitet als freier Kultur- und Wissenschaftsjournalist. Er veröffentlichte u.a. „Hypermoral. Die neue Lust an der Empörung“. Zuletzt erschien „Vom Wald. Eine Philosophie der Freiheit“ bei Claudius.

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„Freiheit ist Freiheit. So einfach ist das.“ Und ja, so einfach ist das tatsächlich. Die wenigsten trauen sich allerdings, das so klar zu sagen. Anna Schneider, Chefreporterin bei der Welt, traut sich. Und das ist wichtig. Denn insbesondere in Deutschland wird von Freiheit und Individualität eher verdruckst und unter Vorbehalt gesprochen. Freiheit? Findet man hierzulande im Prinzip gut, doch dann kommt zumeist umgehend das große „Aber“: Mit der Freiheit müsse man verantwortungsvoll umgehen. Niemals dürfe sie rücksichtslos sein. Oder sich auf Kosten anderer ausleben. Wichtig seien Zusammenhalt und Solidarität. Und am Ende bleibt vor lauter lauwarmem Moralin von der Freiheit nichts mehr übrig. 

Nicht so bei Anna Schneider. Und das ist eine Wohltat. Schneider erteilt allen Bedenkenträgern wider die Freiheit eine Abfuhr. Freiheit endet eben nicht dort, wo die Freiheit der anderen beginnt, sondern umgekehrt: „Die Freiheit des anderen endet dort, wo die Freiheit des Einzelnen beginnt.“

Wirkliche Freiheit ist anstrengend, daran lässt auch Schneider keinen Zweifel. Und sie ist eine Herausforderung. Aber Freiheit lohnt sich, denn sie bedeutet, von niemandem abhängig zu sein, selbstbestimmt und autonom. Anknüpfend an den Ökonomen Friedrich August von Hayek bedeutet Freiheit für Schneider die Abwesenheit von Zwang. Oder anders formuliert: „Freiheit ist das Recht, in Ruhe gelassen zu werden.“

Freiheit braucht inaktive Politik

Doch wir leben in einer Gesellschaft, die den Einzelnen nicht in Ruhe lässt. Und wer dennoch auf seine Unabhängigkeit pocht, gilt schnell als vulgärliberal. Denn Freiheit dürfe nicht als Freibrief für Verantwortungslosigkeit missverstanden werden. Was jedoch als verantwortungsvoll zu gelten hat, das bestimmt im Zweifelsfall die Gesellschaft. Das ist dann das Ende der Freiheit. Anna Schneider beschreibt diese Logik der Unfreiheit ebenso präzise wie scharfzüngig.

 

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Besonders gefährlich ist der grassierende Kollektivismus, weil er sich gerne als Individualismus ausgibt. Deutlich wird das insbesondere in den identitätspolitischen Debatten unserer Tage und den Hypersensibilitäten, die sich zunehmend breitmachen. Denn Individualismus bedeutet radikale Autonomie. Mit dem weinerlichen Einklagen von Unterstützung aufgrund irgendwelcher Gruppeneigenschaften hat das wenig zu tun. Dennoch macht sich im Namen angeblicher Selbstverwirklichung ein rigider Neukollektivismus breit, der Menschen in Quoten und Gleichstellungsmaßnahmen zwingt. Statt individueller Gleichberechtigung herrscht kollektive Gleichmacherei. Wie formuliert Schneider so schön: „Euer Paternalismus kotzt mich an.“

Bleibt ein Kernproblem: Wirklicher Liberalismus ist seinem Wesen nach Antipolitik. Denn Politik bedeutet, Gesellschaften zu gestalten – der Liberale aber möchte sich nicht gestalten lassen. An diesem Dilemma scheitert auch regelmäßig die FDP. Ihr attestiert Schneider daher: Die Freien Demokraten mögen demokratisch sein, frei sind sie nicht.

Anna Schneider hat etwas in Deutschland Seltenes vorgelegt: eine erfrischende Kampfschrift einer radikalen Liberalen und Individualistin. Schon das macht das kurzweilige Büchlein lesenswert. Es ist ein Vademecum der Freiheit.

Anna Schneider: Freiheit beginnt beim Ich. Liebeserklärung an den Liberalismus. dtv, München 2022. 112 Seiten, 12 €

 

Dieser Text stammt aus der Dezember-Ausgabe des Cicero, die Sie jetzt am Kiosk oder direkt bei uns kaufen können.

 

 

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