Ampel-Regierung - Bairische Identitätspolitik

Die CSU schimpft auf die Ampel-Regierung, weil kein einziger Minister im scholzschen Kabinett aus Bayern kommt. Dabei ist selbst CSU-Chef Markus Söder gar kein Bayer, sondern Franke. Dass es von den Grünen auch noch heißt, aber Claudia Roth sei doch dabei, setzt dem Ganzen endgültig die Krone auf. Denn die wurde in Ulm geboren. Höchste Zeit für etwas Nachhilfe zu bairischer Identitätspolitik. Eine Glosse.

Insgeheim vermisst der Bayer immer noch sein Königreich und seinen „Kini“/ dpa
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Autoreninfo

Ben Krischke ist Leiter Digitales bei Cicero, Mit-Herausgeber des Buches „Die Wokeness-Illusion“ und Mit-Autor des Buches „Der Selbstbetrug“ (Verlag Herder). Er lebt in München. 

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„Wir hamma heuer mal so eine Weltreise g’macht. Aber ich sag’s Ihnen gleich wia’s is: da fahrma nimmer hin“, sagte einst der große Gerhard Polt. Und a bisserl was ist da schon dran. Der Bayer liebt sein Bayern halt. In die Ferien fliegt er nur, weil er sich dann sehnen kann nach daheim. Oder um zu granteln, dass die Wurst nicht schmeckt wie beim Magnus Bauch in München oder beim Walter Pledl in Bischofsmais. Und weil auch das Bier nirgends so vorzüglich ist wie hierzulande, kann man ihm das wirklich nicht verdenken.

Nochmal Gerhard Polt: „Gemütlichkeit, das ist die Relation aus Zeit, Geld und Bier.“ Sie glauben, alles nur Klischees? Nein, so denkt der Bayer wirklich. Und wenn Sie das nicht wissen, dann sind Sie ganz sicher nicht von hier, also von dort, woher der Autor kommt. Oder Sie gehören zu denen, die man bei uns liebevoll „Zugroaste“ nennt – und treiben sich zu viel mit anderen Zugroasten herum und zu wenig mit den Ureinwohnern unterm weiß-blauen Himmel.

Stammesgesellschaft und Clan-Strukturen

Wer schonmal von Icking bis nach Garmisch geradelt, auf der Brücke am Schloss Neuschwanstein gestanden oder während eines weißen Wintertages über den Nürnberger Christkindlmarkt spaziert ist, der weiß, warum der Bayer sein Bayern liebt. Und warum jeder Bayer froh sein kann, wenn er nicht woanders wohnen muss. In Berlin zum Beispiel, wo Olaf Scholz jetzt als Bundeskanzler residiert und wo im scholzschen Bundeskabinett nicht ein einziger Minister aus dem Bayernlande wirken wird.

Der CSU gefällt das gar nicht, und auch die Junge Union ist sauer. Dem JU-Chef in Bayern, dem Doleschal Christian – bei uns wird der Nachname immer zuerst genannt –, platzt deshalb der Kragen. Er nennt es ein „Armutszeugnis“ der neuen Bundesregierung, dass 13 Millionen Bayern keinen Ansprechpartner in der Regierung Scholz hätten. Dabei, so ehrlich muss man sein, will da oben in Berlin kein Bayer wirklich sein; außer vielleicht aus Pflichtgefühl. So wie der Söder Markus. Der hätte es bekanntlich schon gemacht mit der Kanzlerschaft, aber halt nicht wegen sich, sondern wegen der anderen, die ihn darum gebeten haben. So selbstlos ist der Süden.

Der Franke im Widerstand

Der Hofreiter Toni, ein gebürtiger Münchner, war zumindest ganz nah dran am Bundeskabinett, wurde auf den letzten Metern aber von Cem Özdemir versenkt. Außgerechnet von einem Schwaben also, was, das dürfte jeder Bayer wissen, nochmal ganz besonders schmerzt. Dabei ist Hofreiter durchaus einer, der das „Mia san mia“-Gefühl der Bayern gut verkörpert mit seiner „I bin halt i“-Attitüde und dem langen Haar. Aber so wirklich ein Repräsentant für 13 Millionen Bayern wäre auch der Hofreiter nicht gewesen. Da muss er mit dem Radl nur über die Münchner Stadtgrenzen fahren, und schon ist er kein Bayer mehr, sondern einer von den „Isarpreißen“.

Hier wird denn auch das eigentliche Problem erstmals deutlich. Denn ich weiß nicht, ob Sie’s wussten, aber „die Bayern“ gibt es nicht. In Wahrheit gibt’s hier im Süden eine Stammesgesellschaft, samt gut kultivierter Clan-Strukturen, was nicht zwangsläufig förderlich ist, wenn Allgäuer auf Niederbayer oder Franke auf Oberbayer trifft. Daher im Folgenden eine kleine Lehrstunde zu bairischer Identitätspolitik.

Nehmen wir den Söder Markus. Der CSU-Chef kommt aus Franken. Und der Bayer weiß natürlich, dass der Franke gar kein echter Bayer ist, sondern ein Beutebayer, und der Franke, der weiß das auch. Deshalb ist er seit Napoleon im Widerstand und macht daraus keinen Hehl, wenn er ein „T“ wie ein „D“ spricht oder großkopfert sein Schäuferle lobt, obwohl man in unseren Breitengraden lieber Haxn isst. Oder wenn er „Weckla“ sagt, obwohl er „Semmel“ meint. Der Franke nennt es Dialekt, wir nennen es Affront.

Träume von der Monarchie

Nun hat sich jüngst gar zugetragen, dass die Schäfer Jamila – in München geboren und als einzige Grüne mit einem bayerischen Direktmandat bedacht – erklärte, dass Bayern doch vertreten sei im scholzschen Kabinett; mit Claudia Roth als Staatsministerin für Kultur und Medien. Doch erstens, so viel Wahrheit muss schon sein, ist das kein richtiger Ministerposten. Und zweitens erblickte Claudia Benedikta Roth anno 1955 in Ulm das Licht der Welt. Ulm liegt aber nicht in Bayern, sondern in Baden-Württemberg, an der Grenze zu Bayern. Anders formuliert: Der Scheuer Andi von der CSU, geboren in Passau, ist ja auch kein Österreicher.

Aber Claudia Roth sei doch in Babenhausen aufgewachsen, schrieb kürzlich wer auf Twitter, und das liege ja in Bayern. Und ihr Wahlkreis, der sei doch in Augsburg, also auch in Bayern. Das stimmt schon auch, stimmt aber auch nicht. Bei der Abstammung kennt der Bayer nämlich keinen Spaß. Da hält er’s strikt mit den Regeln der Monarchie und an ihr fest, weil er den Freistaat sofort aufgeben würde für ein Königreich. Idealerweise das mit König Ludwig II., von uns liebevoll „Kini“ genannt, der das Schloss Neuschwanstein baute und im Starnberger See ertrank. Die Regel lautet: Bayer ist nur, wer in Bayern geboren ist und dessen Eltern auch in Bayern geboren sind.

Gleichwohl gibt’s bei Claudia Roth noch eine zweite Sache. Mal angenommen, Roth wäre nicht in Ulm geboren, sonden in Neu-Ulm, was direkt neben Ulm liegt. Oder in Memmingen, nicht weit von Babenhausen entfernt, wo der Geburtsort des Autors dieser Zeilen ist. Dann wäre Roth, wie der Autor auch, im Unterallgäu geboren. Das Unterallgäu wiederum gehört zum Regierungsbezirk Schwaben. Und weil das so ist und dort auch wieder ganz anders gesprochen wird als, sagen wir, in Gmund am Tegernsee oder in Ergoldsbach, wo der Aiwanger Hubert von den Freien Wählern herkommt, finden die Oberbayern wie die Niederbayern, dass wir gar keine echten Bayern sind. Mehr als der Franke freilich, aber was heißt das schon?!

Fern der Welt

Nicht, dass wir uns falsch verstehen. Der Bayer kann mit jedem, der sich vernünftig benimmt und nicht im Plastikdirndl auf die Wiesn geht. Einzig beim Bayersein, da scheiden sich halt die Geister. Und deshalb ist’s eigentlich auch egal, ob im scholzschen Kabinett ein Bayer sitzt oder keiner. Denn das kommt aufs Gleiche raus, weil irgendwer immer findet, der Vertreter oder die Vertreterin sei gar kein Stammesbruder respektive keine Stammesschwester. Wer das aber weiß, und das ist die gute Nachricht, kann besten Gewissens auch gleich daheim im Süden bleiben, über den unser Kini einst an Richard Wagner schrieb: „Wo ich auflebe in wonniger Einsamkeit, fern der Welt, die stets mich verkennt und mit der auch ich mich nie und nimmer befreunden kann und will.“

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