Am laufenden Band - Der befreiende Spaß am eigenen Wohlstand

Heute vor 50 Jahren startete die Spielshow „Am laufenden Band“, geleitet von Rudi Carrell und produziert von Alfred Biolek. Die aus heutiger Sicht biedere Showarchitektur darf nicht darüber hinwegtäuschen, wie revolutionär die Sendung war – eine subversive Huldigung des Konsumrauschs.

„Dramen gibt es viele, wie auch Trauerspiele“: Rudi Carrell am laufenden Band / dpa
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Autoreninfo

Alexander Grau ist promovierter Philosoph und arbeitet als freier Kultur- und Wissenschaftsjournalist. Er veröffentlichte u.a. „Hypermoral. Die neue Lust an der Empörung“. Zuletzt erschien „Vom Wald. Eine Philosophie der Freiheit“ bei Claudius.

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Es ist Samstag, der 27. April 1974. Die ARD hat für diesen Abend die erste Folge einer neue Unterhaltungsshow angekündigt. Titel: „Am laufenden Band“. Präsentiert wird sie von dem holländischen Showmaster Rudi Carrell. Nach der Tagesschau um 20.15 Uhr ist es soweit. Carrell kommt auf einem Fließband auf die Showbühne gefahren: blauer Anzug, weißes Hemd, blaue Fliege im 70er-Jahre Format.

Dann beginnt Carrell zu singen. Es wird ein Ritual werden. Auch seinen größten Hit „Wann wird’s mal wieder richtig Sommer“ wird er hier präsentieren. Aber bis dahin wird noch ein Jahr vergehen. Heute, in der ersten Sendung, wird der Einstiegs-Song genutzt, die Idee der Sendung zu präsentieren. Uns so singt Carrell, der eigentlich Rudolf Wijbrand Kesselaar heißt: „Wir schaffen täglich am laufenden Band, fühlen uns kläglich am laufenden Band, und sind dann abends total abgespannt.“

Carrell beschreibt hier eine Wirklichkeit, die Mitte der 70er Jahre noch zum Selbstverständnis der Menschen gehört: Die Studentenrevolte liegt schon ein paar Jahre zurück. Das Freizeitverhalten beginnt sich zaghaft zu ändern. Die Werte der westlichen Gesellschaften verschieben sich grundlegend. Doch noch sind Work-Life-Balance, Homeoffice und Sabbatical fremde Begriffe.

Der Spaß darf auch unsinnig sein oder albern

Angesichts der nicht enden wollenden Mühen des Alltags empfiehlt Carrell in seinem Eröffnungs-Song, den Kopf nicht in den Sand zu stecken. Denn „Dramen gibt es viele, wie auch Trauerspiele. Und wer möchte nicht ein Happyend? Man kann doch auch lachen am laufenden Band. Und Blödsinn machen am laufenden Band.“

Damit ist das Konzept der Sendung umrissen. Es geht nicht um Leistung. Auch nicht darum, etwas besonders gut zu können. Oder gar um Bildung. Es geht ausschließlich um Spaß. Und der Spaß darf auch unsinnig sein oder albern. Das passt in den vorsichtig anarchistischen Geist jener Jahre, in der auch eine Sendung wie „Klimbim“ über die Mattscheiben flimmern wird („Klimbim“ wird ziemlich genau zwei Jahre später starten).

 

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Doch „Am laufenden Band“ will nicht nur Spaß sein, gewürzt mit einer Prise Klamauk. Anders als moderne Trash-Shows führt Carrell seine Kandidaten nicht vor. Der Tonfall ist zugewandt, verständnisvoll und menschlich. Dieser familienfreundliche Grundton wird noch dadurch unterstrichen, dass die Spielteams durch Familienmitglieder zweier Generationen gebildet werden. Onkel und Nichte spielen zusammen oder Oma und Enkel. Allenfalls zwischen den Zeilen erlaubt sich der Profi Carrell etwas Ironie.

Höhepunkt jeder Sendung ist dann der Moment, in dem der Sieger in einem überdimensionierten Korbstuhl Platz nehmen muss. Mittels des titelgebenden laufenden Bandes werden Alltagsgegenstände an ihm vorbeigefahren, die entweder direkte Preise darstellen oder Preise symbolisieren. Aufgabe des Kandidaten ist es, sich möglichst viele Gegenstände zu merken und in 30 Sekunden aufzuzählen. Immer mit auf den Band: ein Fragezeichen, das einen Preis im Wert von 5000 DM symbolisiert.

Etwas mehr Carrell täte der aktuellen Fernsehlandschaft gut

„Am laufenden Band“ war Teil eines Aufbruchs der Fernsehkultur, der in dem legendären Fernsehjahr 1974 kulminierte. Nicht nur das „Laufende Band“ ging in diesem Jahr auf Sendung. Im Kinderprogramm startete „Wickie“, im Oktober wurde die erste Folge „Derrick“ ausgestrahlt, Anfang April hatte Abba mit „Waterloo“ den „Grand Prix Eurovision de la Chanson“ gewonnen, und im September startete Wim Thoelke mit der Quiz-Show „Der große Preis“.

Anders als der eher traditionsorientierte Thoelke setzte der innovative Carrell nicht auf Wissen und Können, sondern auf eher lustige und unsinnige Spielchen. Das war eine klare Absage an das Leistungsprinzip der Wiederaufbau-Jahre. In den Jahren von Pril-Blumen und Schlaghosen startete Carrell mit dem „Laufenden Band“ in eine bunte, verspielte und weniger ernste Fernsehunterhaltung. Dazu passte, dass die Sendung dem hemmungslosen Konsum huldigte. Ein Traum wurde wahr: Der Sieger bekam, was er sich merken konnte. Ob die Gewinne sinnvoll waren oder nicht, spielte keine Rolle. Hauptsache es machte Spaß.

Carrell hatte die Sendung nicht erfunden, sondern für das deutsche Fernsehen übernommen. Seine Leistung wird dadurch nicht geringer. Er trug dazu bei, dass die Deutschen, eingeklemmt zwischen dem Leistungsethos der Adenauerära und ideologischer Fundamentalkritik der 68er, lernten, auf eine harmlose und unverkrampfte Art Spaß am eigenen Wohlstand zu haben. Etwas mehr Carrell täte der aktuellen Fernsehlandschaft sicher gut.

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