Über den Fall Hubert Aiwanger - Wenn das Bierzelt über den Elfenbeinturm triumphiert

Die große Hexenjagd gegen Hubert Aiwanger scheint ins Leere zu laufen. Auch dank Ministerpräsident Markus Söder, der an seinem Vize festhält – und sich medialem Druck und moralischer Erpressung nicht beugen will. Ein Beispiel, das Schule machen sollte. 

Hubert Aiwanger während eines Wahlkampfauftritts im Festzelt / dpa
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Autoreninfo

Ben Krischke ist Leiter Digitales bei Cicero, Mit-Herausgeber des Buches „Die Wokeness-Illusion“ und Mit-Autor des Buches „Der Selbstbetrug“ (Verlag Herder). Er lebt in München. 

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„Die Permanenzrevolutionäre können immer wieder hinausgeworfen werden, immer wieder in neue Institutionen eindringen: Das ist der lange Marsch durch die Institutionen“, sagte vor vielen Jahren ein gewisser Rudi Dutschke – und darf damit neben weiteren Protagonisten als, sagen wir, entscheidender „Kompasskalibrator“ für das gelten, was in den Jahrzehnten darauf folgte. Der sogenannte „Marsch durch die Institutionen“ nämlich, der aus Sicht sich selbst als links bezeichnender Kulturschaffender, inklusive Journalisten, und Politiker auch gelungen ist. 

Im politischen Establishment – zu dem neben Politikern längst auch viele NGOs zählen, die reichlich vom Staat subventioniert werden – dominieren heute Narrative aus dem linksgrünen Milieu. Ähnliches gilt für Universitäten. Ähnliches gilt für die Kulturbranche. Gleiches gilt für den deutschen Journalismus, der – mit den öffentlich-rechtlichen am besten aufgestellten mal mehr, mal weniger tendenziös veröffentlichenden Weltanschauungsüberbringern – sich längst nicht mehr nur mit Informationsübermittlung zufrieden gibt. Ganz vorne mit dabei sind da auch der Spiegel und die Süddeutsche Zeitung zum Beispiel, die Zeit ohnehin, der Tagesspiegel sowieso.   

Stasimäßig genug gebuddelt

Journalismus aus dem (sich selbst als solches wähnenden) linken Spektrum will die Welt heute nicht mehr nur beschreiben, wie sie ist, sondern auch mitliefern, wie man als Rezipient über dieses und jenes zu denken hat. Das war früher zwar nicht viel anders. Die neue Komponente, die hier mittlerweile dazukommt, ist jedoch, dass dabei nicht mehr Meinung gegen Meinung steht, sondern es fast normal geworden ist, parallel dazu auch Hexenjagden auf Menschen zu veranstalten, die die Dinge etwas anders sehen. Da geht es dann nicht mehr darum, inhaltlich zu überzeugen, sondern an die Stelle des konstruktiven Streits tritt der erhobene Zeigefinger.  

Und es stimmt ja auch: Irgendeinen Anlass, bestimmte Personen, die einem bei der Überbringung der eigenen Heilslehre mit ihrem „Hass“ und ihrer „Hetze“, wie es dann gerne heißt, im Wege stehen, öffentlich zu diskreditieren, findet sich bestimmt. Und wenn man erstmal stasimäßig genug gebuddelt und anschließend intensiv genug diskreditiert hat, inklusive Geraune und – ganz wichtig! – anonymen Anschwärzern, dann hat man, sofern man es es richtig anstellt, sich bald des nächsten Kritikers entledigt. Vorausgesetzt, irgendwer knickt ein und zieht dann „personelle Konsequenzen“, was immer Stärke demonstrieren soll, häufig aber eher Ausdruck von Rückgratlosigkeit ist.  

Sofastoßtruppen in den sozialen Medien

Dabei heiligt der Zweck offenbar die Mittel, weshalb man – um den Bogen zur aktuellen Debatte zu schlagen – jüngst ein Flugblatt ausgebuddelt hat, das ein Mann, der heute 52 Jahre alt ist, in seiner Jugend verfasst haben soll. Oder vielleicht auch dessen Bruder. So genau weiß man das nicht, was in der Gesamtbetrachtung der Vorgänge drumherum aber ohnehin nur eine untergeordnete Rolle spielt. 

Die Rede ist selbstverständlich von Freie-Wähler-Chef Hubert Aiwanger und der Flugblatt-Affäre, die nicht nur ein ausgesprochen gutes Beispiel ist, wie Vollzeit-Moralisierung zu unmoralischem Handeln führt, wenn es dem eigenen Hirngespinst, die Guten zu sein, entspricht. Sondern – welch angenehme Entwicklung – auch eines, das zeigt, dass nicht in Stein gemeißelt sein muss, immer zu kuschen, wenn nur genug Leute aus dem linksgrünen Milieu, inklusive ihrer Sofastoßtruppen in den sozialen Medien, hochgradig empört Schnappatmungserklärungen abgeben und Schnappatmungsposts verfassen.  

 

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An dieser Stelle darf man CSU-Chef Markus Söder deshalb lobend erwähnen. Der bayerische Ministerpräsident ist eben nicht eingeknickt angesichts der riesigen und mittlerweile fast täglich laufenden Empörungsmaschinerie, die auch in der Flugblatt-Affäre um Aiwanger wieder quietscht und pfeift. Söder hat sich nicht moralisch und politisch erpressen lassen und hält am bayerischen Wirtschaftsminister und Vize-Ministerpräsidenten fest. Dass Söder hier nicht uneigennützig handelt: geschenkt. Er ist eben Markus Söder und nicht Mahatma Gandhi – und außerdem im Wahlkampf.  

Volksnähe als Kerndisziplin

Aus Söders Perspektive war das eine kluge Entscheidung. Erstens ist die Volksnähe, die sich die CSU gerne auf die Fahnen schreibt, eine Kerndisziplin, in der die Freien Wähler mittlerweile schlicht besser sind. Das wäre allerdings Stoff für einen weiteren Text zum Thema, daher nur gekürzt: Einer wie Söder kommt mit Bodyguards zur Veranstaltung, einer wie Aiwanger ohne, dafür aber mit hochgekrempelten Ärmeln – als, sagen nicht wenige Beobachter und auch der Autor dieser Zeilen, eine Art Reinkarnation von Franz Josef Strauß. So einen hat man als CSU-Chef lieber im eigenen Team als gegen sich.   

Zweitens weiß Söder, dass, hätte er seinen Vize kurz vor der Landtagswahl abgesägt, noch einige Stimmen mehr von der CSU zu den Freien Wählern wandern würden, weil den meisten Menschen schlicht egal ist, was jemand vor Jahrzehnten mal falsch gemacht haben soll. Die meisten Leute leben im Hier und Jetzt, mit ihren gegenwärtigen Problemen – und ein Einknicken im vorliegenden Fall wäre eben auch als Einknicken vor dem linksgrünen Milieu gewertet worden; vor dem Zeitgeist. Und genau dafür wird Aiwanger ja gefeiert von seinen Anhängern: für den Kampf gegen selbigen. Deshalb werden Aiwanger, mindestens aber die Freien Wähler als Partei auch gestärkt aus dieser Posse hervorgehen, während sich die CSU immerhin nicht selbst ins Bein schießt.  

Und drittens wäre da noch die bayerische Verfassung: In Artikel 45 steht, dass der Ministerpräsident Staatsminister und Staatssekretäre nur mit Zustimmung des Landtags entlassen kann. Um Aiwanger zu entlassen, bräuchte Söder also die Zustimmung der Opposition, weil er die nötige Mehrheit dafür nicht mit Hilfe der Freien Wähler bekommen würde. Weiter steht in Artikel 44: „Er [der Ministerpräsident] muss zurücktreten, wenn die politischen Verhältnisse ein vertrauensvolles Zusammenarbeiten zwischen ihm und dem Landtag unmöglich machen.“ Heißt im Umkehrschluss: Entlässt Söder Aiwanger ohne Zustimmung der Freien Wähler, müsste er am Ende wahrscheinlich selbst zurücktreten. Das ist wirklich das Allerletzte, was sich Söder vor der anstehenden Landtagswahl leisten kann. Aber warum sollte er auch? 

Ein gutes Zeichen

Was vom Vorfall in der öffentlichen Wahrnehmung primär hängenbleiben wird, ist ohnehin, dass Söder, das schrieb ich weiter oben bereits, nicht eingeknickt ist vor den Kulturkämpfern auf der anderen Seite. Und das ist ein gutes Zeichen. Ein wichtiges Signal ist es zudem an den dezidiert nicht-linksgrünen Teil der bayerischen Bevölkerung, der auch bei der anstehenden Landtagswahl in der klaren Mehrheit sein wird. Söders Entscheidung, nicht einzuknicken, lässt sich vielleicht sogar als Zäsur werten und politisch auch so verkaufen: Ein bayerischer Ministerpräsident weist die Daueraufgebrachten in die Schranken, allem Tohuwabohu der vermeintlich progressiven Qualitätspresse und der Ampelparteien sowie ihrer Unterstützer trotzend. 

Denn es ist doch so: Die oft schweigende Mehrheit im Land lässt sich schon viel zu lange auf der Nase herumtanzen von Leuten, die entscheiden wollen über das Sag- und Denkbare, darüber, wer sprechfähig sein darf, wer nicht. Darüber, wer politikfähig ist, wer nicht. Darüber, welche Etiketten wem auf Basis von was verpasst werden sollen; über die Regeln des gesamtgesellschaftlichen Diskurses, die vom linksgrünen Milieu einfach festgelegt werden, um dann zum Angriff auf alle zu blasen, die sich nicht an diese Regeln halten möchten. Dabei gibt es dafür sehr gute Gründe: weil sie teilweise unsinnig sind, teils kontrafaktisch, teils postdemokratisch, teils infantil. Kurzum: zu oft ein Angriff auf die freien Bürger und das freie Denken. 

Dem linksgrünen Milieu ein Dorn im Auge

In der Causa Aiwanger, so lässt sich das vorläufige Ergebnis dieses Schauspiels zusammenfassen, scheint das Bierzelt nun über die Süddeutsche Zeitung zu triumphieren; der einfache Bürger über den Elfenbeinturm, das vernunftbegabte Bürgerliche über das dauerempört-bessermeinende Bourgeoise. Zu Recht: Denn in der Flugblatt-Affäre ist es ohnehin nie um das Flugblatt gegangen, das war nur Mittel zum Zweck. Sondern darum, einen Anlass zu finden, um einen bayerischen Politiker zu entsorgen, der dem linksgrünen Milieu ein Dorn im Auge ist. Denn Aiwanger steht für alles, was man dort ablehnt: mit seiner Partei, seinem Dialekt, seiner politischen Unkorrektheit, seiner Heimatverbundenheit und seiner Bierzelttauglichkeit.

Überhaupt das Bierzelt, das Aiwanger so gekonnt zu begeistern weiß: Es wird von jenen, die lieber Wodka-Mate auf Poetry Slams in Berlin-Mitte trinken, chronisch unterschätzt. Denn eigentlich ist das Bierzelt eine wunderbare Institution, politisch wie gesellschaftlich, und nicht zuletzt eben auch ein Ort, an dem sich die veröffentliche Meinung gut mit der öffentlichen Meinung abgleichen lässt. Ob bei der Diskussion über den Ballermann-Hit„Layla“, der unter anderem auf dem Oktoberfest im vergangenen Jahr von Männlein und Weiblein gleichermaßen immer wieder erfolgreich angestimmt und mitgegrölt wurde, oder eben bei der Frage, was die Wähler sich eigentlich von einem Politiker wünschen und welche Art von Politik sie für richtig und wichtig halten. 

Ein Hubert Aiwanger, der trotz negativer Presse Standing Ovations im Bierzelt erhält, sagt jedenfalls mehr über die Realitäten im Land aus als die Kolumne einer sich als non-binär identifizierenden Woken in der taz oder anderswo. Und selbst wenn man Reaktionen in Bierzelten nicht überbewerten will, macht es immer noch Sinn, hin und wieder mal hinzuhören, was dort so gefordert, kritisiert und gesprochen wird, weil man dadurch wenigstens wichtige Perspektiven bekommt, die in der veröffentlichten Meinung gerne ausgespart werden – bis man sich nach einer Wahl mal wieder wundert, warum man dieses oder jenes Ergebnis nicht hat kommen sehen.  

Schreien wie am Spieß

Aber zurück zur Flugblatt-Affäre und der Entscheidung von Markus Söder, an Hubert Aiwanger festzuhalten. Kein Wunder, dass man in den vom CSU-Chef dadurch gelackmeierten Kreisen nun erbost reagiert; ein bisschen wie das Kind, das sich als Reaktion auf die Entscheidung der Eltern, dass es beim Einkaufen keinen Schokoriegel bekommt, vor dem Quengelregal auf den Boden wirft und immer noch schreit wie am Spieß, während die Eltern längst wieder zur Tür raus sind. 

Vielsagend etwa die Reaktion des Deutschen Journalisten-Verbandes (DJV), der gerne tut, als wäre er ein Interessensverband für alle Journalisten, dessen Solidarität mit der eigenen Zunft aber regelmäßig dort endet, wo Journalisten nicht bereit sind, tagein, tagaus linksgrüne Narrative zu verbreiten und die deutsche Sprache zu verhunzen. In einer Mitteilung des Verbandes heißt es: 

„Es bleibt also bei seinem Vorwurf, die Medien, allen voran die Süddeutsche Zeitung, hätten ihn aus dem Amt schreiben wollen, um so den Weg für eine schwarz-grüne Koalition in Bayern frei zu machen. Wenn der stellvertretende Ministerpräsident bei diesem Unsinn bleibt, zahlt er auf das weit verbreitete Unbehagen über die Medien und ihre Mitarbeiter ein. Das ist eine bewusste Attacke auf das Grundrecht der Pressefreiheit, das Aiwanger als stellvertretender Landeschef eigentlich vehement schützen müsste.“

Ursache und Wirkung

Was der DJV hier macht, mag aus Sicht seiner Peer-Group konsequent sein, ist bei näherer Betrachtung aber intellektuell fragwürdig. Denn der Verband dreht und wendet Ursache und Wirkung einfach so lange, bis die Botschaft stimmt. Mit seinem Vorwurf an die Süddeutsche Zeitung, sie würde ihn aus dem Amt schreiben wollen, trifft Aiwanger nämlich den Nagel auf den Kopf. Denn die Kausalität – bayerische Landtagswahl vor der Tür, halbseidener Artikel erscheint groß in der SZ – lässt sich schlicht nicht leugnen. 

Außerdem ist Pressefreiheit kein Freibrief fürs Schmutzkübeln; nicht für Verdachtsberichterstattung und schon gar nicht dafür, dass von Kampagnenjournalismus Betroffene die Arbeit einer Redaktion nicht kritisieren dürften. Dass diese Art der Berichterstattung dem Ruf der Presse überdies mehr schadet als es die Reaktion Aiwangers darauf jemals könnte, scheint man beim DJV auch nicht zu überreißen. Dort behauptet man lieber, „die“ Medien hätten das Nachsehen, weil an ihnen der Vorwurf kleben bleibe, sie hätten Kampagnenjournalismus gemacht.

Erstens: Nein, nicht „die“ Medien haben das Nachsehen, sondern im konkreten Fall hat es vor allem die Süddeutsche Zeitung, die anno dazumal eine große Qualitätszeitung war und es heute nur noch teilweise ist. Und zweitens: Eine Branche, die nicht will, dass ihr Ruf geschädigt wird, sollte vielleicht aufhören, halbseidenen Kampagnenjournalismus zu betreiben, der dann wiederum ihrem Ruf schadet. Auch das wird der Elfenbeinturm aber erst noch lernen müssen. 

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