Streit um Kirchenreform - Begreift endlich, Ihr seid alle Römer!

Im Streit der deutschen Bischöfe mit der römischen Kurie um Reformen in der Katholischen Kirche gibt es eine neue Eskalation. Der Papst hält den deutschen Weg für „elitär“, während sich der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz kämpferisch gibt. Doch seine Strategie droht zu scheitern. 

Harmonie fürs Foto: Papst Franziskus trifft im November in Rom die deutschen Bischöfe. /dpa
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Autoreninfo

Volker Resing leitet das Ressort Berliner Republik bei Cicero. Er ist Spezialist für Kirchenfragen und für die Unionsparteien. Von ihm erschien im Herder-Verlag „Die Kanzlermaschine – Wie die CDU funktioniert“.

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Stell Dir vor, es ist Reformation – und keiner kriegt es mit. Was derzeit in der Katholischen Kirche passiert – in Deutschland und weltweit – lässt sich durchaus revolutionär und disruptiv nennen, zumindest epochal. Aber weil die Bedeutung der Kirche so rasant geschrumpft ist und ihre Autorität und Reputation sich so pulverisiert hat, laufen die Entwicklungen weitgehend unbemerkt ab. Und die Deutung der Vorgänge wird oft von Insidern in einer kleinen Blase übernommen, die selten einen neutralen Blick von außen haben. Aus diesem verdrucksten innerkirchlichen Stellungskrieg müssen aber die Kirche und ihre Gläubigen als Ganzes endlich befreit werden. 

In dieser Woche hat der Papst den deutschen Bischöfen gleich doppelt drastische Ansagen gemacht. Den seit knapp dreieinhalb Jahren laufenden deutschen Beratungsprozess für Veränderungen in der Kirche („Synodaler Weg“) missbilligt der Papst mit klaren Worten. Der Synodale Weg sei „keine Synode, kein echter synodaler Weg.“ Das Kirchenoberhaupt beklagt, dass nicht das „Volk Gottes“ beteiligt sei, sondern der Prozess von einer „Elite veranstaltet“ werde, so Franziskus im Interview mit der Nachrichtenagentur Associated Press. Der Vorwurf wiegt schwer, halten sich die Bischöfe doch zugute, das „Zentralkomitee der Deutschen Katholiken“ (ZdK) einbezogen zu haben und damit auch gewöhnliche Kirchenmitglieder („Laien“). Doch es sind wohl zu professionalisierte Laien, könnte man im Sinne des Papstes kritisch anmerken.

Rom spricht dem Synodalen Weg Kompetenz ab

Die vorausgegangene andere römische Intervention in dieser Woche war ein Brief von drei Kardinälen, der ausdrücklich vom Papst gebilligt worden war. Darin wird die Idee eines „Synodalen Rates“ verworfen, der sozusagen dem bisherigen Prozess eine dauerhaftere institutionelle Form geben sollte. Die römischen Briefschreiber sagen es ziemlich deutlich, was sie davon halten: „Wir möchten klarstellen, dass weder der Synodale Weg noch ein von ihm eingesetztes Organ noch eine Bischofskonferenz die Kompetenz haben, den ,Synodalen Rat‘ auf nationaler, diözesaner oder pfarrlicher Ebene einzurichten.“   

Die Bischöfe hatten mit vielen Beteiligten überlegt, ein neues Leitungsgremium für die Kirche in Deutschland zu schaffen, den „Synodalen Rat“, in dem nicht nur Bischöfe, sondern Funktionäre, Professoren, normale Leute, über wesentliche Dinge beraten und entscheiden sollten. Langfristig sollte dieses Gremium in freien Wahlen von allen Kirchenmitgliedern bestimmt werden. Eine kühne Vision, sagen die einen, eine weitere „sinnfreie Quatschbude“, lästert Daniel Deckers in der FAZ. Einige Bischöfe waren skeptisch und hatten Rom angerufen. 

An der Machtfrage entzündet sich der Konflikt 

Diese Idee des „Synodalen Rates“ wäre tatsächlich eine Revolution (auch wenn jetzt viele sich melden und zu beschwichtigen versuchen), weil die Katholische Kirche hierarchisch organisiert ist und allerhöchste Leitungsämter bislang (fast) allein von Bischöfen ausgeübt werden können. Und außerdem ist die Katholische Kirche weltweit nahezu einheitlich aufgebaut, das heißt, Deutschland kann nicht über seine Organisationsform alleine bestimmen. In Deutschland werden darüber hinaus weitere grundlegende, vielleicht auch notwendige Veränderungen diskutiert (Frauenpriestertum, veränderte Sexualmoral). Aber an dieser Frage der Leitung, der Machtfrage also, entzündete sich nun der bislang schärfste Konflikt mit Rom.

Diese so ins allgemeinverständliche heruntergebrochene Auseinandersetzung ist in Wahrheit in der Kirche aber noch mal ganz anders aufgeladen und durch verschiedene Differenzierungen, auch Diskurs-Verengungen, Subsystemlogiken und eigensinnige Sprachspiele bestimmt. Der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, der Limburger Bischof Georg Bätzing, überrascht also mit einer persönlichen Erklärung nach der Beratung der Bischöfe in Würzburg, dass man das Schreiben aus Rom ganz anders zu verstehen habe. Ähnlich äußern sich andere Bischöfe und Theologen: Wir machen es trotzdem, so schlimm werde es nicht, das ist die Botschaft.

Bätzing wirft gekonnt die kircheneigene Wort-Nebelmaschine an und erklärt, dass es keineswegs ein eindeutiges Stoppsignal für den „Synodalen Rat“ gebe. Die Sorgen der Kardinäle seien „nicht begründet“, deutet er den Brandbrief um. Das bedeutet im Klartext, hier wird ein kirchenpolitisches Spiel gespielt – mit subtil versteckten Hinterhalten durchaus auf beiden Seiten. Statt aber die Differenz zu betonen, die Frontlinie offen zu benennen, wird in einer Sprache der Uneigentlichkeit trickreich und taktisch agiert. Das kann nicht weiter gut gehen, es versteht kaum noch jemand – und es nervt unendlich.

Das Codewort „Systemische Ursachen“ von Missbrauch

Ausgangspunkt dieser deutschen Reformbemühungen war das große Scheitern der deutschen Bischöfe bei der Aufarbeitung der Missbrauchskrise seit 2010. Während andere Bischofskonferenzen, etwa in Österreich oder in Irland, durch Klarheit und Konsequenz das Thema längst glaubhaft angegangen und vielleicht sogar schon überwunden haben, steckt Deutschland noch mittendrin in der Misere.

Der Befreiungsschlag aus der selbst gestellten Falle sollte der 2019 begründete „Synodale Weg“ sein, mit dem die deutschen Oberhirten sich grundsätzlichen Reformen zuwenden wollten. Das kircheninterne Codewort dafür lautet: „Systemische Ursachen“ von Missbrauch und sexualisierter Gewalt in der Kirche. Dahinter steht der Gedanke, dass hierarchische Verfasstheit, strukturelle Frauenfeindlichkeit und überkommene Sexualmoral mitverantwortlich für Missbrauch und Vertuschung seien. Diese müssten überwunden werden. „Synodalität“ ist dafür die innerkirchliche Zauberformel, die die „systemischen Ursachen“ verschwinden lassen sollen. Doch was „Synodalität“ ist, darüber gehen die Meinungen weit auseinander. 

 

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Unabhängig von der durchaus möglichen Sinnhaftigkeit und auch von der Diskutierbarkeit von Veränderungsideen wird durch den Bezug zum Missbrauch der Reformprozess der Kirche in Deutschland – zumindest für die Eingeweihten – derart moralisch aufgeladen und überhöht, dass Widerspruch, sogar wenn er vom Papst kommt, einigen unerträglich erscheint, zumindest aber leicht diskreditierbar und delegitmierbar wird.

Kritik kann sogar als im Kern wiederum „missbrauchsbegünstigend“ oder gefährlich umgedeutet werden. Das ist die eigentliche Autorität, mit der Bätzing spricht und agiert. Er und manche Mitstreiter wähnen sich auf der moralisch (und theologisch) richtigen Seite, in notwendiger und ganz großer Mission unterwegs – und sogar so, dass „der Vatikan“ als Gegner in Deutschland noch mal erst recht „gut funktioniert“. Nach der Devise: Hier der aufrechte Christenmensch, dort die verlotterte Bürokratie und römische Hierarchie.

Bischof Georg Bätzing. /dpa  

Bätzings Antwort auf das böse römische Machtwort ist deswegen keineswegs die Total-Opposition, sondern: das Kirchenrecht. Der Limburger Bischof schrumpft subtil die Autorität der römischen Behörde als übergeordnete Kontrollinstanz. Vielmehr sieht er sich auf gleicher Augenhöhe, wie er es auch bei dem wichtigen Besuch der deutschen Bischöfe in Rom im vergangenen Jahr erklärt hatte.

Das Kirchenrecht steht dabei dann über beiden Ebenen, Rom und der Bischofskonferenz. Deswegen formuliert er in seiner aktuellen Erklärung: „Der Synodale Rat, der durch den Synodalen Ausschuss vorbereitet werden soll, wird sich daher entsprechend dem in der Beschlussfassung enthaltenen Auftrag innerhalb des geltenden Kirchenrechts bewegen.“ Man könnte es dreist, geschickt, klug oder eben revolutionär nennen, dass der deutsche Bischof den Römern erklärt: Wir machen es trotzdem. 

Reformanstrengungen in Bonn und weltweit 

Man könnte nun lange theologisch ausholen, dass die Zentralstellung Roms doch eine Erfindung des 19. Jahrhunderts sei. Die „episkopal verfasste Kirche“ bedeute eben, dass jeder Bischof unmittelbar die Kirche leite und keiner ihm herein reden kann, nicht mal so direkt der Papst, der ja eben auch nur der Bischof von Rom sei, wie man es gerne in Bonn am Rhein, dort wo die deutsche Bischofskonferenz ihren „Vatikan“ hat, formuliert. Und es gibt genügend deutsche Kirchenrechtler, die das auch wissenschaftlich begründen können. Doch was nützt es?

Dort in der Bonner Kaiserstraße wähnt man sich auch als Zentrum einer weltweiten Reformbewegung, weswegen man als Vorkämpfer für Veränderungen durchaus auch Lob aus aller Welt erhalte, wenn man den Kardinälen aus Rom mal Widerstand leiste.

Kritik, massive Kritik und sogar sowas wie einen wüsten Krieg gegen die Position der deutschen Bischofskonferenz gibt es allerdings auch. Nicht zuletzt im benachbarten Köln sitzt mir Kardinal Rainer Woelki ein Gegner. Doch der durch seine katastrophale Amtsführung völlig ins Abseits gerückte Kölner Erzbischof diskreditiert durch seine Person eher die Kritik an Bätzing, als dass er ihm wirklich Paroli bieten könnte. 

Letztlich hat der deutsche Reformprozess, der Synodale Weg, mit seinen vielen engagierten Mitwirkenden und die unzähligen Seiten Papier, der nun im März seinen formalen Abschluss finden soll, vor allem dreierlei beklagenswerte „Ergebnisse" produziert: Enttäuschung, Polarisierung und eine fortschreitende Blindheit gegenüber der eigentlichen Revolution in der katholischen Kirche, die tatsächlich im Gange ist.

Dieses Scheitern hat viele Ursachen, aber sie sind nicht allein in Rom zu suchen. Vielmehr dient Rom als Ausrede. Der Prozess war zu kompliziert und ausufernd, die Ziele zu abstrakt und akademisch und letztlich wurden Sitzungen und Beratungen auch benutzt, um von eigenem Führungsversagen und mangelnder praktischer Zukunftsvision für eine Kirche in entkirchlichter Zeit abzulenken. 

Papst Franziskus verändert die Kirche 

Papst Franziskus hat hingegen in seinem nun zehn Jahre währenden Pontifikat so viel Veränderung in der katholischen Kirche angestoßen, wie es sie seit den Tagen des 2. Vatikanischen Konzils vor 60 Jahren nicht mehr gegeben hat. Da mögen die Deutschen noch so enttäuscht sein, die Katholische Kirche wird nach Franziskus nie wieder werden wie „früher“. Und genau weil das so ist, rufen reaktionärste Kreise in Europa und vor allem in den USA zum Widerstand gegen diesen Papst auf. Stehen da die deutschen Bischöfe vorbehaltlos an der Seite ihres Kirchenoberhaupts? Sind ihre erneuten Dialogankündigungen wirklich ernst gemeint? Oder münden sie wieder in den eingeübten deutschen Besserwisser-Gestus? Franziskus hat zumindest in seinem aktuellen Interview wieder zu echtem Dialog eingeladen. 

Papst Franziskus hat die Kurie reformiert und aufgeräumt, er hat die Kurienkardinäle entmachtet, Frauen sind nun (zumindest theoretisch) zu allen Ämtern im Vatikan (außer Priester, Bischof und Papst) zugelassen. Franziskus hat die Kirche enteuropäisiert und entzentralisiert. Ein Bischof aus der Mongolei ist nun Kardinal und der Erzbischof von Mailand ist es nicht mehr.

Keine Institution der Welt ist so international, so groß, so prosperierend wie die Katholische Kirche. Merkt das in Deutschland eigentlich jemand? Und vor allem hat Franziskus der Kirche eine neue Sprache und eine neue Attitüde verordnet, er hat die Kirche auf ihren Kern zurückgeführt. Wer in dieser Welt wissen will, was Christentum ist, braucht nur ein paar Predigtworte von Franziskus hören – und er weiß ganz klar, woran er ist. Das ist bei deutschen Bischöfen leider nicht immer der Fall.

Polarisierer auf beiden Seiten 

Deswegen ist der Brief aus Rom jetzt eine große Chance und keineswegs – wie manche schreiben oder nachplappern – ein Rückschlag. Die deutschen Bischöfe und alle Katholiken in Deutschland können von Franziskus und aus diesem Brief zusammen mit den anderen Schreiben des Papstes drei Dinge lernen.

Erstens: Wer eigene Probleme nicht gelöst kriegt, sollte nicht im Konflikt „mit Rom“ seinen Ausweg suchen. Die dramatische Lage der Kirche in Deutschland ist auch hausgemacht. Und es sind nicht Gremien und Räte, die der Kirche fehlen. Zweitens: Die Moralisierung des Reformprozesses ist genauso falsch, wie die Sakralisierung der Bewahrung des Status Quo. Weder hilft eine „Demokratisierung“, noch ein Einigeln im Vertrauten. Mit ritualisierten Streit und Konflikt wird es keine Entwicklung und keinen Erfolg geben. Der Brief aus Rom kann also dazu dienen, die Mitte zu stärken – gegen die Polarisierer auf beiden Seiten. 

Und schließlich Drittens: Es verändert sich in der franziskanischen Weltkirche mehr, als es von Bonn aus betrachtet manchmal scheint. Nur wenn die Bischöfe wieder selbst glaubhaft, optimistisch und versöhnend von ihrer Kirche und ihrer Botschaft sprechen, wird ihnen noch jemand zuhören. Der falsche und unehrliche Umgang mit dem römischen Brief und mit den Konfliktlinien mit der vatikanischen Kurie kann sich viel selbstzerstörerischer auswirken, als  kurzfristiges mediales Lob oder eine gewisse Genugtuung „in der Blase“ es erscheinen lassen. Begreift endlich, Ihr seid alle Römer!

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