Berlin-Wahl - „Der Wohnungsmangel wird nicht bekämpft“

Kurz vor der kommenden Berlin-Wahl lohnt es sich, den Berliner Wohnungsmarkt und die entsprechenden Wahlversprechen anzuschauen. Der Bauunternehmer Quirin Graf Adelmann hat den Eindruck, dass die Politik an der desolaten Lage gar nichts ändern will.

Baustelle in Berlin / dpa
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Autoreninfo

Felix Huber studiert Politikwissenschaften an der Freien Universität Berlin.

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Quirin Graf Adelmann ist Unternehmer und Investor in verschiedenen Bauprojekten. Unter anderem betreibt er auch das DDR-Museum in Berlin.

Herr Adelmann, seit dem Berlin-Boom und spätestens seit der Flüchtlingskrise fehlt es in Berlin an bezahlbarem Wohnraum. Warum ist das so?

Weil der natürliche Feind der Politik entweder Mathematik ist oder Umsetzungskompetenz oder beides. Der Wohnraummangel besteht natürlich, weil Berlins Bevölkerung von zirka 3,3 Millionen Einwohnern im Jahr 2011 auf 3,7 Millionen Einwohner heute gewachsen ist. Wenn 400.000 Menschen mehr in einer Stadt leben, gibt es einen Bedarf von ungefähr 200.000 Wohnungen. Dennoch werden zu wenige Wohnungen gebaut beziehungsweise immer weniger gebaut. Politik und Verwaltung übernehmen auch keinerlei Verantwortung und verstehen den Ernst der Lage für die gesamte Gesellschaft nicht.

Mit welchen Folgen?

Das Wohnungsproblem ist Gift für jeden Arbeitgeber und die Gesellschaft insgesamt. Wenn Arbeitnehmer für eine Wohnung 500 Euro mehr im Monat zahlen müssen, steigen Gehälter und steigen auch die Preise, ohne das Produkt oder die Dienstleistung zu verbessern, für die Menschen ihre Lebenszeit einsetzen. Kosten in Branchen wie in der Gesundheit steigen zu lassen, ist bei festgelegten Preisen wiederum ein großes Problem und senkt deren Qualität.

In anderen Branchen wie in Kultureinrichtungen werden Besuchergruppen ausgeschlossen und Private in Wettbewerb zu Staatseinrichtungen gesetzt, die schier endlos und ohne Leistungsbezug Druckgeld erhalten. In vielen innovativen Branchen und Neugründungen sind Wohnungspreise durch Knappheit ein Grund, nicht nach Berlin zu kommen. Wohnungsnot und Wohnungspreise sind also ein Kernproblem für jedes Unternehmen und damit für den Motor des Staates.

Woran liegt das – zu wenig Geld, zu wenig Bauland?

Tatsächlich ist das ein Teufelskreis: In Berlin gibt es zu wenige Wohnungen, und die Baupreise steigen. Was aber macht Berlin daraus? Berlin baut nicht! Berlins Verantwortungsträger sind ganz offensichtlich zu inkompetent und zu unqualifiziert. 2016 hat Michael Müller, der damalige Stadtentwicklungssenator, groß angekündigt, Wohnungsbau zu fördern. Was aber damit gemeint war und gemacht wurde, sind die Bauanforderungen wie mechanische Zwangsentlüftungen von Wohnungen, Digitalfunkauflagen und so weiter zu steigern. Man hat also Bauen verkompliziert und verteuert.

Aber es fehlt an Bauland?

Überhaupt nicht. In Berlin haben wir sieben Millionen Quadratmeter Bauland frei, und trotzdem wird seit drei Monaten nichts mehr von öffentlichen Wohnungsbaugesellschaften ausgeschrieben. Stattdessen gibt es immer mehr Regularien, und der Wohnungsmangel wird nicht bekämpft. Wir haben heute die höchsten Steuereinnahmen aller Zeiten der Bundesrepublik, also auch genug Geld für essentiellen wie auch sozialen Wohnungsbau.

Berlin braucht insgesamt 400.000 Sozialwohnungen. Aber wenn ein Philosoph wie Sebastian Scheel (Linke) Senator für Stadtentwicklung sein darf oder eine Politikwissenschaftlerin im Bund Bauministerin wie Klara Geywitz (SPD), dann fehlt schon in der Grundbesetzung die Qualifikation. Das ist ein generelles Problem aller Regierungen der vergangenen zwei Jahrzehnte. Besetzungen erfolgen oft fachfremd, und die Auswahlkriterien aller Parteien sind objektiv weitgehend schleierhaft.

Welche Folgen haben die politischen Fehlbesetzungen?

Die Folgen dieser Fehlbesetzungen sind, dass es grundsätzlich an exekutiver Umsetzungskompetenz zu Bautätigkeit fehlt. Das sehe ich an unseren eigenen Bauprojekten. In Steglitz-Zehlendorf werden Aufstockungen, die nach dem Geschmack der Stadtplanungen nicht ins Bild passen, untersagt. Deswegen baut man halt nur eine Etage drauf oder lässt das Bauvorhaben ganz sein. In Marzahn-Hellersdorf gibt es einen aktuellen internen Beschluss, dass man möglichst überhaupt keine Baugenehmigung durchwinken will.

Es ist krass: Hier werden aktuell Bebauungspläne anscheinend zur aktiven Verhinderung von Bauprojekten nebst Veränderungssperren verhängt. Zwischen Terminen zur Vorbesprechung von Vorhaben vergehen Monate. Baugenehmigungen – wenn man solche noch unterwürfig dankend erhält – dauern fast zwei Jahre.

Wieso sollte die Politik denn kein Bauen zulassen wollen?

Manchmal wirkt es so, als wollte man die Enteignungsvorhaben in Berlin dadurch fördern, dass die Menschen unter Druck stehen. Und viele denken, man könnte, wenn man dem Privateigentümer Wohnraum oder Immobilien wegnimmt und die Preise drückt, für soziale Gerechtigkeit sorgen. Hier zeigt sich, dass der natürliche Feind der Politik Mathematik und Logik sind.

Wie beurteilen Sie denn Alternativvorschläge zum Bauen?

Ich halte nichts davon, was die Grünen und Linken fordern. Es löst kein soziales Problem, wenn man gutverdienenden Altmietern in Friedrichshain oder Schöneberg eine Niedrigmietgarantie gibt. Dasselbe Problem würde hier nur verstaatlicht werden. Bevor man 100.000 Wohnungen also zu teuer enteignet, ist es einfacher, 100.000 Wohnungen nach aktuellen Umweltstandards und mit neuen Grundrissen zu bauen.

Ironisch gesagt, müsste doch vor Enteignung darüber nachgedacht werden, den großen Altbaubestand mit zu großen Wohnungen, typischerweise in Westbezirken, kleinteilig aufzuteilen. Dafür beginnt man damit, alte Menschen, Staatsdiener und Pensionäre zwangsweise umzusiedeln oder deren Wohnungen zu verkleinern. Aber da müssten wir mit den 300.000 öffentlich Bediensteten in Berlin anfangen zu prüfen, wer mehr Raum besetzt, als einem Menschen nach neuer ideologischer Vorstellung genormt zustehen soll. Nur so lassen sich doch theoretisch mehr Wohnungen schaffen, ohne neu zu bauen.
 

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Läuft dann wenigstens der Bau von Sozialwohnungen nach Plan?

Natürlich ebenfalls nicht! In Pankow bauen wir derzeit 200 Sozialwohnungen. Wir dürfen aber keine dritte Etage auf ein viertes Gebäude bauen, obwohl der Nachbar eine Etage höher baut. Behörden finden immer einen Grund, Bauen nicht zu erlauben. Die Baugenehmigung hat 18 Monate gedauert, und es lagen sechs Monate Abstimmungsprozess vor Einreichung der Baugenehmigung. Den gesetzlichen Bebauungsplan abzuändern, war wohl keine Option.

Das seit 2021 geltende Baulandmobilisierungsgesetz, das Überschreitungen der GFZ/GRZ ermöglicht, wird in Berlin überhaupt nicht beachtet. Es gibt vom Senat auch keine Anweisung an die Bezirke hierzu. Wie soll Bauen denn so funktionieren? Die Verwaltung ist völlig außer Kontrolle. Quiet Quitting ist in der Berliner Verwaltung schon lange angekommen. Die Krankheitsfehltage sind in der Verwaltung und allen Staatsbetrieben extrem hoch. Die zuständigen Verwaltungen entziehen sich lustlos ihrer Aufgabe, Menschen Wohnraumschaffung zu ermöglichen.

Gibt es zu wenige Mitarbeiter in den Behörden?

Das Problem hat entgegen der Behauptung des „Kaputtsparens“ nichts mit Unterbesetzung zu tun. Berlin hat einen Staatsbediensteten pro 13 Einwohner. Das ist eine Traumquote. Seit 15 Jahren wird zudem jegliche operative Verantwortung von Stadtplanung bis Brandschutzprüfung auf private Beauftragung umgelegt. Die Behörden müssen fast nur noch die Arbeit anderer abnicken. Man könnte auch darüber nachdenken, Prozesse zu digitalisieren. Also macht die Stadt schon lange nicht mehr ihre eigentliche Arbeit zur Infrastruktur. Dazu gehört eben auch der Bau von Sozialwohnungen, um den gesellschaftlichen Frieden zu wahren und die Chancengleichheit benachteiligter Menschen nach Geburt zu verbessern. Wenn der Staat nicht liefert, werden die Menschen rechtsextrem oder linksextrem wählen.

Aktuell sagen aber fast alle Parteien im Wahlkampf, dass sie Sozialwohnungen bauen wollen. Wie ernst kann man das nehmen?

Gar nicht. Das sind reine Lippenbekenntnisse, wenn sie nicht gleichzeitig konkret sagen, wie Bauen und Baugenehmigungen schnell ermöglicht werden sollen. Was werden die anderen Parteien denn besser machen? Die Besetzung ist auch bei der CDU im Bund in Zeiten von deren Regierung nicht sachbezogen gewesen. Also nichts. Es wird nichts passieren. Wir brauchen nicht noch mehr Arbeitskreise, Abgeordnete, Staatssekretäre und Behörden, um die Probleme zu diskutieren, sondern wir müssen endlich Lösungen umsetzen. Solche wie das Baulandmobilisierungsgesetz. Dieses Bundesgesetz würde den Bau unserer fünf Sozialwohnungen in Heinersdorf ermöglichen, wird in Berlin aber einfach dreist ignoriert!
 

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Können Sie Vergleiche zwischen Berlin und dem Ausland oder anderen Teilen Deutschlands ziehen?

Es gibt in Deutschland generelle Probleme im Baubereich. Wir brauchen heute für 20 Kilometer Straße 15 Jahre Genehmigungszeit, wir brauchen für Windräder 60 Untergenehmigungen und zwei Jahre Genehmigungszeit für Solardächer ab leicht erhöhter Stromproduktionskapazität. Der Staat ist Teil des Problems und nicht der Lösung. Wir müssen entbürokratisieren und den staatlichen Einrichtungen solange alles wegnehmen, bis er seine Infrastrukturaufgaben erfüllt. Immer weniger Menschen füttern einen immer größer werden bürokratischen Apparat. Wenn wir uns anschauen, wie schnell Häuser, Hochhäuser, Wohnhäuser in anderen Regionen der Welt entstehen, hinken wir in Deutschland Jahrzehnte hinterher. In der Wartezeit auf die Baugenehmigungen kommen natürlich auch Millionen Euro Mehrkosten hinzu, alle Baumaterialien werden teurer. Wir müssen jetzt bauen.

Was passiert, wenn Bauvorhaben weiter so eingeschränkt werden?

Irgendwann möchte niemand mehr bauen oder Eigentum erwerben! Denn mit steigenden Kosten lohnt es sich immer weniger, zu investieren. Vermögen muss aber investiert werden. Denn wenn Vermögen nicht mehr – vor allem in Unternehmen und Ideen – investiert wird und nur wenige Menschen dieses tote Vermögen noch halten, rollt ein riesiges gesellschaftliches Problem auf uns zu. Um Vermögen zu locken, muss Bürokratie abgebaut werden.

Aktuell steigen die Kosten, und leistbarer Wohnraum im absoluten Mietpreis (Nettokalt plus Betriebs- und Nebenkosten) bedeutet immer kleinere Lebensraumflächen. Menschen finden keinen bezahlbaren Wohnraum mehr und ziehen aus Berlin ins Umland oder gar in andere Großstädte. Der Nachwuchs an Fachkräften und Studenten wird so zwangsläufig zurückgehen. Wir verlieren hier also Investitionen und letztlich Fachkräfte, weil sich Arbeitsleistung und Innovation weniger persönlich lohnen, wenn 50% eines Einkommens durch Wohnen aufgefressen wird. Nur ist eine Zwangsdeckelung eben nicht die Lösung.

Quirin Graf Adelmann /
© Adrian Serini (www.adrianserini.com)

Was sind dann die Auswirkungen dieses Teufelskreises auf den einzelnen Bürger?

Die Menschen müssen mit steigenden Mietkosten natürlich auf andere Dinge verzichten. Der Einzelne kann sich dann vielleicht keine neuen Schuhe kaufen, und auch der kulturelle Aspekt des Lebens wird enorm leiden. Netflix statt Theater und seltener gut essen gehen. Einschränkungen folgen in den meisten Bereichen des Lebens, angefangen beim Mittelstand und wirtschaftlich Schwachen. Das ist die Konsequenz. Die Leute leiden unter der Dauernichtleistung vergangener und aktueller Politik. 

Wann wurden denn in Berlin die größten Fehler gemacht?

Die schlimmsten Verfehlungen sind in den letzten zehn Jahren passiert. In den 90er-Jahren hat man geglaubt, dass Berlin schnell wächst. 1997 waren die Bodenrichtwerte fast so hoch wie heute. Mit fast 20 Prozent Arbeitslosenquote und Stadtflucht war das Wachstum der Stadt ab 2011 nicht vorherzusehen. Erst ab 2011 kam die Erkenntnis, dass mehr Wohnungen benötigt werden, weil sich viele Menschen für die sexy Stadt interessieren, neue Berufschancen sehen und langfristig in Berlin wohnen wollen.

Auch die Flüchtlingskrisen konnte man natürlich so nicht prognostizieren. Jetzt sind aber acht Jahre seit 2015 vergangen, und dass das mehr als genug Zeit ist, um in Berlin zu bauen, zeigen die Bauprogramme der DDR aus den 70er- und 80er-Jahren. Es ist eine Frage der Reaktionszeit. Man muss in der Politik auf die Realitäten dynamisch reagieren. Dafür braucht man die besten Leute in den entscheidenden Positionen. Wie beim Sport: Die besten Trainer müssen bei Kindern und Jugendlichen sein, um die späteren Erwachsenen gut zu machen.

Was wäre ein konkreter Lösungsansatz, der sich realisieren ließe?

Der richtige Lösungsansatz wäre, dass man sämtlichen Bezirken die Herrschaft über Baugenehmigungen wegnimmt. Jede Baugenehmigung müsste zentral und transparent eingereicht und zur Bearbeitung offengelegt werden. Jeder Bürger muss live sehen können, warum in bestimmten Bezirken in Berlin nicht gebaut wird und woran die einzelne Baugenehmigung scheitert. Die „Entscheider“ in der Politik müssen sich öffentlich rechtfertigen, warum ein Antrag länger als acht Wochen liegt. Außerdem würde ich unternehmerische Entscheidungsträger in die Schlüsselpositionen setzen.

Architekten und Bauunternehmer beispielsweise, die ehrenamtlich arbeiten und vier Jahre lang in den Behörden Bauvorhaben schubsen. Verwaltungsmitarbeiter, die Wohnungsbau verantworten – einer der aktuellen Big Points in Berlin –, dürfen nicht mehr als zehn Tage pro Jahr krank sein. Sonst müssen sie woanders hin versetzt werden. Verwaltungsgerichte müssen über Ablehnungsbescheide von Genehmigungen täglich Sitzungen halten und damit sicherstellen, dass kein Verwaltungsgerichtsverfahren länger als sechs Monate dauert. Vier Jahre durchschlagendes, brutales Vorgehen und solche Konzepte sind besser als 20 Jahre politisches Nichtstun durch Leute, die weder qualifiziert noch kompetent sind.

Wie dunkel sieht die Zukunft von Berlin sonst aus?

Die Politiker und die politische Landschaft, die wir jetzt haben, und die Verwaltung werden das Problem nicht lösen. Aktuell überlässt man Berlin sich selbst und schaut, wie in den 20er-Jahren, wie die Leute dann damit vielleicht klarkommen. Vielleicht lässt die Politik ja aber ohne Krise Kompetenz an der Spitze zu. Wenn man die Schlüsselpositionen mit den richtigen Leuten besetzt, dann kann man auch in Berlin die Probleme lösen. Es leben sehr viele kompetente und motivierte Menschen in Berlin – auch Mitarbeiter im Staatsdienst –, deren Potential enorm ist, wenn man sie machen lässt.

Das Gespräch führte Felix Huber.


Von Quirin Graf Adelmann erschien Ende vergangenen Jahres das Buch „Schwach. Langsam. Ideenlos. Herrschaft der Mittelmäßigkeit“, Das Neue Berlin 2022, 224 S., 20 €.


 

 

 

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