29.01.2020, Berlin: Der Regierende Bürgermeister und SPD-Landeschef Michael Müller (li) begründet gegenüber Journalisten seinen Verzicht auf den SPD-Landesvorsitz. Geht es nach dem Willen der Parteiführung soll Bundesfamilienministerin Franziska Giffey das Amt übernehmen.
„Das Rote Rathaus soll rot bleiben“: Kann Franziska Giffey die Berliner SPD retten? / picture alliance

Wechsel an der Berliner SPD-Spitze - Giffeys Gesellenstück

Als neue Landesvorsitzende der Berliner SPD übernimmt Franziska Giffey eine Partei mit schlechter Regierungsbilanz und schwachem Profil, geringer Akzeptanz und innerer Zerstrittenheit. Wie will sie die aus ihrem Sumpf ziehen, wo noch nicht einmal alle mitziehen?  

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„Berlin“, gab Franziska Giffey im April letzten Jahres vor der örtlichen Industrie- und Handelskammer im Jugend-Jargon der Neunzigerjahre zum Besten, „ist einfach geil.“ Es klang wie die zeitgemäße Erneuerung von Wowereits Gassenhauer „arm aber sexy“, dessen Schmuddelimage sich mittlerweile überlebt hat – mancher würde auch sagen, es wurde gentrifiziert. Offen ist, ob sie damals schon ihr künftiges politisches Betätigungsfeld im Auge hatte. Tatsache ist, dass ihre Gefühlswallung nicht nur Gegenliebe hervorruft, seit sie verkündet hat, dass sie Landesvorsitzende der SPD und deren Spitzenkandidatin für die kommende Abgeordnetenhauswahl 2021 werden will.

Natürlich wolle sie, gab sie damals zu Protokoll, „dass das Rote Rathaus rot bleibt“. Worunter sie weder die Fassadenfarbe, geschweige denn symbolisch den Einzug eines Linken-Bürgermeister verstand, sondern die Kontinuität sozialdemokratischer Regentschaft in dem Waesemann-Bau. Das ist nun die Elle, an der sie selbst in den kommenden Monaten gemessen wird. Konkret bedeutet dies: Die Umfragewerte der SPD müssen mindestens wieder eine Schlagdistanz zu den Grünen aufzeigen. In Anbetracht der Tatsache, dass die SPD derzeit bei 15 Prozent liegt und die Grünen bei 24 Prozent, ist das ein durchaus ambitioniertes Ziel.

Nicht für alle Linken ist sie eine Hoffnungsträgerin 

Wie schwer es für Giffey werden wird, aufzuholen, macht eine Allensbach-Analyse der SPD-Lage deutlich, die passgenau zur Ankündigung des Revirements an der Landespitze veröffentlicht wurde. Demnach fällt nicht nur die Sonntagsfrage für die SPD katastrophal aus, auch ihr weitester Wählerkreis, also die Zahl derjenigen, die sich überhaupt noch vorstellen können, die Partei zu wählen, ist mittlerweile auf 20 Prozent geschrumpft. Union und Grüne liegen da (im gesamten Bundesgebiet) bei 36 und 33 Prozent, wobei traditionell die Union dieses Potenzial weitaus besser an die Urnen bewegen kann als SPD und Grüne. Handlungsfähigkeit wird der SPD nur noch von 13 Prozent der Wählerschaft attestiert, auch unter ihren Anhängern sind davon nur 36 Prozent überzeugt. 

Vor diesem düsteren Hintergrund gewinnen Giffeys persönliche Werte ein besonderes Gewicht. Knapp die Hälfte der Berliner fanden bei einer Umfrage vom November ihre Kandidatur für das Bürgermeisteramt gut, von den SPD-Anhängern waren es mehr als drei Viertel. Dieser enorme Zuspruch dürfte ihr zunächst einmal helfen, ihre Position im traditionell linken Berliner Landesverband zu stabilisieren. Denn nicht für jeden dieser Linken ist sie eine Hoffnungsträgerin. Giffey weiß das, deshalb ist sie nach dem klassischen Realo-Fundi-Muster der Grünen eine Doppelspitzen-Bewerbung mit dem linken Fraktionsvorsitzenden Raed Saleh eingegangen.

Raed Saleh ist nur zweite Wahl 

Saleh war mit seinen Führungsambitionen schon einmal 2013 gegen den jetzigen Regierenden Bürgermeister Michael Müller gescheitert. Er gilt zwar als bestens in der Partei vernetzt, ist aber selbst in der Fraktion nicht unumstritten. Für das Regierendenamt ist er gegenüber Giffey eindeutig die zweite Wahl, weshalb dieser das Schicksal wohl erspart blieben wird, das ihre Bundeskabinettskollegin Monika Grütters im Berliner CDU-Landesverband erfahren hat. Grütters war ebenfalls wegen ihrer Bundesprominenz und Beliebtheit an die Parteispitze gehoben worden, wurde aber, als sich das nicht in Umfragewerte der Partei ummünzte, kühl abserviert. 

Auch wenn dieses Schicksal Giffey nicht blüht, wird die entscheidende Frage der kommenden Monate sein, ob es gelingt, ihre Beliebtheit auf die SPD zu übertragen. Mit noch so vielen Besuchen bei Sozialeinrichtungen und Basisinitiativen alleine wird das nicht zu schaffen sein. Sie wird der Partei nicht nur Zuversicht vermitteln, sondern ihr auch auf zentralen politischen Feldern ihren Stempel aufdrücken müssen. Denn dass die Person an der Spitze und die Programmatik der Partei auseinanderklaffen, hat der SPD schon so manche Performance im  Wahlkampf zerhauen. Diesen typischen sozialdemokratischen Fehler gilt es zu vermeiden.

Innerkoalitonäre Opposition zu den Grünen

Das Erscheinungsbild der SPD war in der rot-rot-grünen Koalition nie das der führenden Kraft, wie es den Mehrheitsverhältnissen entsprochen hätte. Der Regierende Bürgermeister ließ im Senat die Zügel schleifen, als die Bausenatorin der Linken Katrin Lompscher den Wohnungsbau zunehmend ausbremste, die Verkehrssenatorin der Grünen, Regine Günther mit dem Radwegeausbau und der Verkehrswende nicht vorankam und die Schulsenatorin der SPD Sandra Scheeres bei Schulausbau, Lehrereinstellung und Bildungsniveau weit hinter den Planzahlen zurückblieb. Er verlegte sich stattdessen auf das Repräsentieren der Hauptstadt und gelegentliche erratische Initiativen wie das 365 Euro-Ticket, die weder bei Experten noch in der eigenen Partei ungeteilten Anklang fanden. Zuletzt verfielen Müller und Saleh auf eine seltsame innerkoalitionäre Opposition zu den Grünen – Auswirkung der Nerven, die mittlerweile bei den Genossen blank liegen. 

Giffey wird an dieser Misere nichts Wesentliches ändern können, zumal Müller bis zum Ende der Legislaturperiode als Bürgermeister regieren will. Deshalb wird man ihr umgekehrt diese Misere auch nur begrenzt anlasten können, wenn sie bei der nächsten Abgeordnetenhauswahl antritt. Nicht voll eingebunden zu sein, dürfte für sie vor allem beim zentralen politischen Vorhaben des Senats, der Mietpreisbremse, von Vorteil sein. Scheitert diese vor den Gerichten und kommt der Wohnungsbau weiter zum Erliegen, ist noch nicht einmal ausgemacht, dass die Koalition bis zu ihrem Ende durchhält. Es wäre dann an Giffey, die die Wohnungspolitik bereits zu einem ihrer Kernanliegen erkoren hat, eine Wende einzuleiten – hin zu einer Wohnungsbauförderung, wie sie in Hamburg erfolgreich praktiziert wird. 

Baustelle: Bildungspolitik 

Der zweite von ihr bereits benannte Schwerpunkt, die Sicherheits- und Ordnungspolitik, eröffnet die Möglichkeit, das Profil der SPD gegenüber der permissiven Haltung der beiden Koalitionspartner in dieser Frage zu schärfen und in einer breiten Wählerschaft zu punkten. Es sei denn, die Linke in der SPD kommt ihr dabei in die Quere. Die Verbesserung der Bildungspolitik, womöglich die Auswechslung der jetzigen Senatorin, ist schon allein deshalb notwendig, weil diese Misere und damit auch ihre Behebung seit Jahren in der Verantwortung der SPD liegt und zudem das politische Profil Giffeys eng mit den Fragen der Bildungsgerechtigkeit und des sozialen Aufstiegs verbunden ist.

Nachdem die Wirtschaftssenatorin der Grünen, Ramona Pop, ausgebremst von der eigenen Partei, die Förderung von Unternehmensansiedlungen und entsprechenden Infrastrukturen dem Regierenden Bürgermeister überlässt, eröffnet sich damit der SPD ein viertes Feld einer positiven Eigenprofilierung. Es wäre eine neue Profilierung der Berliner SPD, die sich nicht in Zuwendungen und Subventionen, Umverteilungen, Verboten und Regulierungen erschöpft, sondern die Politik daran misst, wie effektiv sie in ihren Strukturen und effizient in ihren Ergebnissen ist, was sie ermöglicht, was sie befördert und was sie den Bürgern im Gegenzug abverlangen kann. Bei einer solchen Politik könnte das Rote Rathaus tatsächlich rot bleiben.

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Bernd Muhlack | Do., 30. Januar 2020 - 17:14

Es gibt eine Broschüre der A-A-Stiftung, eine Anleitung für KiTa-Mitarbeiter(innen), wie sie sich am besten verhalten.
Unter anderem wird erklärt, wie man erkennt, ob Kinder aus einem "völkischen Elternhaus" stammen.
Mädchen mit Zöpfen, Kleidchen/Röcken sowie eher gehorsame, sportliche (?) Jungs seien ein eindeutiges Zeichen ob des Elternhauses.
Frau Giffey schrieb dazu ein Vorwort und lobte diese Anleitung in den höchsten Tönen.
Sie sieht bis heute keinen Grund, sich davon zu distanzieren.
Meine Mutter ist Schneidermeisterin; sie nähte damals für unsere Fruchtzwergin wunderschöne Klamotten, natürlich auch Kleider.
Die Nachfrage war spontan sehr groß!
Alles völkisch geprägte Elternhäuser!?

Ich hoffe inständig, dass Frau Giffey nach Berlin wechselt.
Nach ihr und ihrer Vorgängerin Frau Schwesig kann es im FamMin nur besser werden.
Kristina Schröder (CDU; 2009-2013) war nicht die Schlechteste!

Ich schrieb es bereits: solche Dauerlächler wie die Damen Giffey und UvdL sind mir suspekt!

Günter Johannsen | Fr., 31. Januar 2020 - 13:41

Reputation im A...; Dr.- Grad in Frage gestellt; ebenso Kompetenz und Demokratieverständnis: ab nach Berlin … mehr sog i ned!