Weihnachten - Mein politischer Wunschzettel 2022

Moralisch abrüsten, Demokratie verteidigen, Journalismus statt Aktivismus, mehr Meinungsfreiheit und Politik für die Mehrheit - die Liste der Wünsche ist auch in diesem Jahr wieder lang. Aber wann, wenn nicht zu Weihnachten, darf man noch hoffen und wünschen?

Nimmt noch Wünsche entgegen: Das Nürnberger Christkind Teresa Winschall / dpa
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Autoreninfo

Dr. Hugo Müller-Vogg arbeitet als Publizist in Berlin. Er veröffentlichte zahlreiche Bücher zu politischen und wirtschaftlichen Fragen, darunter einen Interviewband mit Angela Merkel. Der gebürtige Mannheimer war von 1988 bis 2001 Mitherausgeber der Frankfurter Allgemeinen Zeitung.

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Liebes Christkind,

vor einem Jahr hatte ich darüber geklagt, dass wir Weihnachten nicht wieder so feiern konnten wie vor der Pandemie: auch außerhalb der Familien, mit Freunden und Kollegen. Wenn ich jetzt wählen könnte zwischen Corona-Beschränkungen und einem Weihnachten ohne den schrecklichen Krieg Russlands gegen die Ukraine mit allen seinen Folgen – ich würde wohl ein Fest ohne Weihnachtsmärkte vorziehen.

Aber es ist nun mal, wie es ist. Dennoch bleibt die Hoffnung, dass 2023 ein etwas normaleres Jahr wird als die vergangenen drei Jahre. In diesem Zusammenhang habe ich ein paar Wünsche – für unser Land und für mich als Bürger.

Bitte moralisch abrüsten

Deutschland spielt sich in Europa und anderen Teilen der Welt gerne als höchste moralische Instanz auf. Wir neigen dazu, allen anderen zu erklären, was gut und böse ist, gerieren uns als höchste irdische Instanz für Moral, akzeptieren keine abweichenden Haltungen und Kulturen. Und wundern uns, dass wir als überhebliche Besserwisser überall immer unbeliebter werden.

Deshalb wünsche ich mir Politiker, die endlich begreifen, dass die Welt keineswegs am deutschen Wesen genesen soll oder gar will.

Nicht mit dem Erreichten zufriedengeben

Deutschland ist wirtschaftlich leistungsfähig und verfügt über ein belastbares soziales Netz. Aber die Erfolge der vergangenen Jahrzehnte haben uns träge gemacht; andere Länder haben aufgeholt und uns teilweise überholt. Ja, Arbeit ist nicht alles. Aber viele jüngere und mittlere Jahrgänge empfinden „work“ zunehmend als lästige Störung von „life“. Die „balance“ zwischen beiden Teilen unseres Lebens stimmt zunehmend nicht mehr. Die jungen Menschen in vielen anderen Ländern sind hungriger als bei uns – und leistungsbereiter.

Deshalb wünsche ich mir Politiker, die klar sagen, dass mit weniger arbeiten noch kein Land vorangekommen ist – allenfalls auf dem Weg zu weniger Wohlstand.

Unsere Defizite endlich erkennen

Wir sind – leider – nicht mehr das Land, das sehr vieles sehr viel besser kann als andere Länder. Unsere Infrastruktur ist zerschlissen, bei der Digitalisierung hinken wir hinterher, beim Ausstieg aus Kernkraft und Kohle waren wir schneller als beim Einstieg in erneuerbare Energien, uns fehlen die Facharbeiter, die Finanzierungslücken im Rentensystem wachsen, das Gesundheitssystem kränkelt. Kurz: Der Lack am einstigen Modell Deutschland blättert an vielen Stellen.

Deshalb wünsche ich mir Politiker, die gemeinsam nach neuen Wegen suchen und ehrlich eingestehen, dass der aktuelle Zustand kein Schicksalsschlag ist, sondern das Werk der Politik.

Unsere Demokratie verteidigen

Wir haben eine großartige Verfassung, sind ein freiheitliches Land. Aber unsere Demokratie wird bedroht – von Rechtsextremisten wie von Linksextremisten. Nicht zuletzt von Gruppierungen, die ihre Ziele verabsolutieren und meinen, sich über Recht und Gesetz hinwegsetzen zu dürfen, nein: zu müssen. Tatsächlich ist Demokratie „die Notwendigkeit, sich gelegentlich den Ansichten anderer Leute zu beugen“ (Winston Churchill).

Deshalb wünsche ich mir Politiker, die ihrem Amtseid folgen und dem Gesetz zu seinem Recht verhelfen, ganz gleich, ob das in den Medien beklatscht oder verdammt wird.

Mehr Journalismus, weniger Aktivismus

Den Medien kommt in der Demokratie eine wichtige Aufgabe zu. Sie berichten und kommentieren, jedenfalls theoretisch. Immer mehr Journalisten verstehen sich jedoch weniger als Berichterstatter, sondern als politische Aktivisten. Sie wollen nicht informieren, sondern überzeugen, nicht analysieren, sondern agitieren. Dies trifft zunehmend auf die öffentlich-rechtlichen Sender als linksgrünes Sprachrohr zu. ARD, ZDF oder DLF genießen das Privileg, dass die Gebühreneinnahmen fließen, ganz gleich, wie sie ihre Möglichkeiten gebrauchen – oder missbrauchen.

Deshalb wünsche ich mir viel mehr Journalisten, die ganz altmodisch zur Meinungsbildung beitragen, nicht Meinung machen wollen.

Mehr Meinungsfreiheit wagen

Bei uns kann jeder alles sagen, sofern er dabei nicht gegen das Straf- und Zivilrecht verstößt. Das ist auch gut so. In einer liberalen Demokratie müssen wir den Menschen selbst verrückte oder verschwörungstheoretische Positionen zugestehen. Allerdings gleicht der Meinungskorridor einer zweispurigen Straße, auf der die rechte Spur schmaler ist als die linke. Das heißt: Wer sich politisch „nicht korrekt“ äußert, wer nicht auf der „Woke“-Welle mitschwimmt, findet sich im Zentrum eines heftigen Shitstorms wieder und landet in der ganz rechten Ecke.

Deshalb wünsche ich mir mehr Bürger, die sich nicht einschüchtern lassen, die sagen, was sie denken, die Stellung beziehen. Denn die Freiheit stirbt immer zentimeterweise.

Mehr Politik für die Mehrheit

Sie bilden die Mehrheit: Bürger, die arbeiten und Steuern zahlen, für die familiäre Bande keine Leerformel sind, die sich ehrenamtlich engagieren, die von der Politik in erster Linie solides, an den echten Problemen orientiertes Handeln erwarten. Die Politik orientiert sich jedoch zunehmend an Minderheiten, an tatsächlichen oder vermeintlichen Opfergruppen. In diesem Land soll und darf jeder nach seiner Façon selig werden. Aber viele Einzelmaßnahmen zugunsten von Minderheiten dienen nicht automatisch dem Gemeinwohl.

Deshalb wünsche ich mir ein Deutschland, das in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft gegenüber der Mehrheit, ihren Vorstellungen und Wünschen ebenso tolerant ist wie gegenüber diversen Minderheiten.

Liebes Christkind,

es ist wie alle Jahre wieder ein bisschen viel, was ich mir so wünsche. Aber wann, wenn nicht an Weihnachten, darf man noch träumen, hoffen und wünschen?

In diesem Sinne: Frohes Fest!

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