Wahlsieg der AfD in Sonneberg - Wie man in den Wald hineinruft

Die Wahl von Robert Sesselmann zum ersten AfD-Landrat der Bundesrepublik ist der nächste laute Warnschuss für die etablierte Politik. Wer nicht will, dass die AfD Mehrheiten gewinnt, sollte mehrheitsfähige Angebote machen – und Andersdenkende nicht beschimpfen.

AfD-Politiker Björn Höcke (l.), Robert Sesselmann und Tino Chrupalla / dpa
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Autoreninfo

Ben Krischke ist Leiter Digitales bei Cicero, Mit-Herausgeber des Buches „Die Wokeness-Illusion“ und Mit-Autor des Buches „Der Selbstbetrug“ (Verlag Herder). Er lebt in München. 

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Demokratie ist kein Objekt, kein Ding, das man verteidigen, stützen, schützen kann. Demokratie ist ein Prozess, ein Regelwerk, das besagt: Die Mehrheit entscheidet. Und wer die Mehrheit auf seiner Seite wissen will, der muss ihr ein mehrheitsfähiges Angebot unterbreiten. Das ist den etablierten Parteien im thüringischen Landkreis Sonneberg, das ist seit Sonntag gewiss, nicht gelungen. 

Mit Robert Sesselmann bekommt die Alternative für Deutschland (AfD) deshalb den ersten Landrat ihrer Parteigeschichte. Wenig überraschend nicht in Baden-Württemberg oder im Saarland, sondern im Osten der Republik, wo die Partei wohl tatsächlich „auf dem Weg zur Volkspartei“ ist, wie Sesselmann nach seinem Wahlsieg selbstbewusst verlauten ließ. 

Eine fortschreitende Entfremdung

Folgt man den aufgebrachten Reaktionen auf diese Wahl, man könnte meinen, dieser Wahlsieg für die AfD sei vom Himmel gefallen. Dabei ist er mit Blick auf die Umfragewerte der Partei – die im Osten schon lange hoch sind und sich auch im Rest Deutschlands im Steigflug befinden – nur die logische und längst absehbare Konsequenz einer seit Jahren fortschreitenden Entfremdung zwischen der etablierten Politik und großen Medienhäusern auf der einen und zunehmend angefressenen Bürgern auf der anderen Seite. Nein, diese Wahl hat nicht die AfD für sich entschieden, sondern der politische Mainstream und angeblich linke Kulturkämpfer gegen sich. 

Allen gegenteiligen Verlautbarungen vom Sonntag zum Trotz, sind die steigenden Umfragewerte für die AfD und die Wahl Sesselmanns genauso Ausdruck einer lebendigen Demokratie, wie es die Nicht-Wahl Sesselmanns und sinkende Umfragewerte für die AfD wären; unabhängig davon, ob der einzelne Bürger das eine oder das andere bevorzugt. Denn Sesselmann hat sich ja nicht zum Landrat geputscht, sondern wurde ganz demokratisch gewählt. Grundfalsch ist in dem Zusammenhang deshalb, was Grünen-Chefin Ricarda Lang am Sonntag mitteilte: „Spätestens jetzt ist die Zeit, wo – bei allem Streit in der Sache – alle demokratischen Kräfte zusammen die Demokratie verteidigen müssen.“
 

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Es ist schlicht nicht die Aufgabe einzelner Politiker oder einzelner Parteien, die Demokratie „zu verteidigen“ oder die AfD aktiv zu schwächen, sondern innerhalb des demokratischen Systems ein Angebot an die Wähler zu machen, das diese für ausreichend überzeugend halten, um nicht die AfD zu wählen. Politische Parteien sind Dienstleister der Demokratie, nicht ihre Rettung. Sie sind auch nicht einer höheren Sache verpflichtet, sondern den Bürgern. 

Das hat das politische Establishment in den vergangenen Jahren zunehmend vergessen. Und das rächt sich jetzt in Sonneberg und womöglich schon bald in anderen Regionen des Landes, wo die AfD weitere Male als Gewinner aus einer Wahl hervorgehen könnte. Der ehemalige AfD-Politiker Marcus Pretzell brachte es am Sonntag richtig auf den Punkt: „In Sonneberg gibt es nicht plötzlich 54% Nazis. Aber es gibt eine Mehrheit der Wähler, die die Schnauze voll hat und verdammt viele Nichtwähler, denen es inzwischen egal ist. Beschimpfung wird es nicht richten.“ 

Ordentlich Wut im Bauch

Die Definition von Wahnsinn ist, immer wieder das Gleiche zu tun und andere Ergebnisse zu erwarten. Seit Jahren pflegen die etablierten Parteien eine „Brandmauer“- und Ausgrenzungsstrategie gegen die AfD und haben die Partei damit nicht etwa entzaubert, sondern sie in den Augen nicht weniger Menschen im Land zur letzten echten Oppositionspartei der Bundesrepublik werden lassen. Dass sich die AfD dabei bisweilen auch drehen kann wie ein Fähnchen im Wind, um immer schön den Gegenwind mitzunehmen, und programmatisch wie personell kaum überzeugen kann, hat dem keinen Abbruch getan.   

Gleichzeitig scheinen viele Spitzenpolitiker nicht mehr fähig zu sein, mit Sachargumenten auf Kritik an ihren politischen Ideen und Vorhaben zu reagieren, sondern selbstherrlich, besserwisserisch und stigmatisierend. Die Grünen, die angeblich die Demokratie retten wollen, machen es längst vor. Ihnen reicht mittlerweile schon legitimer Protest gegen ein Heizungsgesetz aus, um Menschen per se als „Verschwörungsideologen“ und „Rechtsextremisten“ zu diffamieren – unter fleißiger Mitwirkung nicht weniger Journalisten. 

Doch wie man in den Wald hineinruft, so schallt es auch wieder heraus. Das weiß nicht nur Großmutter, das sagt einem auch der gesunde Menschenverstand. Dass ausgegrenzte Andersdenkende ordentlich Wut auf das politische Establishment entwickeln und sich abwenden, liegt auf der Hand. Dass sie sauer werden und aus ihrer Sicht mangels echter Alternativen ihr Kreuz am Ende bei der AfD machen, auch. Anders formuliert: Wenn sich „die da oben“ permanent benehmen wie „die da oben“, braucht man sich nicht zu wundern, wenn man von Teilen der Bevölkerung auch als „die da oben“ wahrgenommen wird. 

Mit Sachargumenten überzeugen

Der AfD spielen derlei Entfremdungsprozesse in Zeiten von Energiekrise, Inflation, Migrationskrise und sozialökologischen Transformationsexperimenten – Heizungsverbot, Genderei, „Transfrauen sind Frauen“ – voll in die Karten. Schließlich lebt die AfD maßgeblich von ihrer Erzählung, es gebe die Blockparteien auf der einen und die AfD auf der anderen Seite; es gebe, wenn man so will, den blauen David und den bunten Goliath.

Es entbehrt daher nicht einer gewissen Ironie, dass die etablierten Parteien sehr viel dazu beitragen, dass sich dieser für sie unangenehme Narrativ hartnäckig hält. Alle außer der AfD permanent unter „die demokratischen Parteien“ zu subsummieren, die gegen die eine nicht-demokratische Partei, also die AfD, zusammenstehen müssten, ist das beste Beispiel dafür. Mag sein, dass derlei im Stuhlkreis der Grünen Jugend supergut ankommt, in Thüringen aber eher nicht, wie wir jetzt wissen. 

Dass man von Union bis Grüne und auch in großen Teilen der Medienlandschaft immer noch nicht verstanden hat, dass man mit seiner derzeitigen Strategie genau das Gegenteil dessen provoziert, was man eigentlich bezweckt – nämlich die AfD stärkt statt schwächt – lässt sich keinem halbwegs vernünftigen Geist auch nur ansatzweise vermitteln. Mit, sagen wir, noch mehr Meldestellen, noch mehr Regenbogenflaggen und noch mehr Selbstherrlichkeit wird man den Aufstieg der AfD jedenfalls nicht verhindern. Und dass Teile der Union sich mittlerweile für alle ersichtlich den Grünen anbiedern, dürfte auch nicht gerade zur Schwächung der AfD beitragen.

Ein Kreuz bei der AfD 

Wer nicht möchte, dass die AfD noch weitere Teile Deutschlands erobert, sollte dringend mehr kritische Selbstreflektion zulassen, die eigene Politik kritisch hinterfragen – die miserablen Zustimmungswerte für die Ampelregierung sprechen für sich –, sich bemühen, mit Sachargumenten und politischer Weitsicht zu überzeugen, und den ganzen ideologiegetriebenen Firlefanz, mit dem die Menschen im Land heute permanent gequält werden, endlich beenden. Vor allem aber sollte er aufhören, Andersdenkende in politische Ecken zu schieben, wo die gar nicht hingehören. Denn im Zweifelsfall gehen die dann gar nicht mehr zur Wahl – oder machen ihr Kreuz halt bei der AfD. 

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