Wahlkampf in Almanya - Die Mobilisierung der Deutsch-Türken

Bei der Stichwahl zwischen Präsident Erdogan und seinem Herausforderer Kilicdaroglu setzt Erdogans AKP auf die Türken in Deutschland. In Bussen werden sie von Moscheen in die Konsulate gefahren, damit sie dort die AKP wählen.

Türkische Wähler stehen Schlange vor der Grugahalle in Essen, um ihre Stimme bei der Stichwahl um das türkische Präsidentenamt abzugeben / dpa
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Ilgin Seren Evisen schreibt als freiberufliche Journalistin über die politischen Entwicklungen in der Türkei und im Nahen Osten sowie über tagesaktuelle Politik in Deutschland. 

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Die Chancen auf einen Regierungswechsel in der Türkei sind so hoch wie selten in den vergangenen 20 Jahren. Während sich konservative Wähler in der Türkei von der AKP abwenden, findet der autoritäre Regierungskurs Erdogans bei Deutsch-Türken große Zustimmung. Zum Unmut liberaler Deutsch-Türken betreiben AKP-nahe Vereine und Moscheen in Deutschland seit Herbst 2022 Wahlkampf für den amtierenden Präsidenten Erdogan. In Nürnberg wurden sogar 25 Wahlplakate Erdogans aufgehängt – mit Genehmigung der Stadtverwaltung.  

Von den fast drei Millionen türkeistämmigen Bürgern in Deutschland durfte rund die Hälfte wählen. In AKP-Hochburgen wie Essen, Münster und Düsseldorf erreichte Recep Tayyip Erdogan bei den Wahlen am 14. Mai mehr als 70% der Stimmen. Insgesamt wählten 65 % der stimmberechtigten Türken in Deutschland einen Politiker, dem Kritiker den größten Brain-Drain der türkischen Geschichte sowie das islamistischste sowie frauenfeindlichste Bündnis in der türkischen Parteiengeschichte anlasten. 

Erdogan-Wahlplakate in Nürnberg 

„Dogru Zaman, Dogru Adam“ („Die richtige Zeit, der richtige Mann“) steht auf den Wahlplakaten, auf denen ein lächelnder Erdogan zu sehen ist. Die Stadt Nürnberg hatte das Anbringen von 25 AKP-Plakaten erlaubt, nach kritischen Kommentaren auf Twitter und Protesten wurden sie wieder entfernt. Dass das passieren konnte, obwohl Wahlwerbung ausländischer Politiker in Deutschland verboten ist, zeigt, wie aktiv und erfolgreich Erdogans Anhänger in Deutschland sind. In Bussen werden sie von Moscheen in die Konsulate gefahren, damit sie dort die AKP wählen. Längst ist bekannt, dass türkische Politiker viel öfter als offiziell verkündet in Deutschland um Stimmen werben. Meist geschieht dies in Form von Besuchen in Moscheen, ohne dass diese Termine zuvor – wie vorgeschrieben – als Wahlkampfauftritte bei deutschen Behörden beantragt und genehmigt wurden. 

Die Indoktrinierung der Deutsch-Türken 

Die Türken in Deutschland beziehen ihre Informationen und Interpretationen der aktuellen Ereignisse meist aus muttersprachlichen Zeitungen, Fernsehkanälen und lokalen türkischsprachigen Moscheen und Vereinen, die meist islamistisch-nationalistisch geprägt sind. Viele dieser Zeitungen und Kanäle sowie „Influencer“ agieren aus ihrem einstigen Heimatland und repräsentieren die offizielle Staatslinie. Die Haltung ihrer Medien, die Stellungnahmen ihrer Politiker und ihrer Verbände zu aktuellen Ereignissen sind ausschlaggebend für ihre eigene politische Positionierung. Seit dem Putschversuch von 2016 hat Präsident Erdogan die türkische Medienfreiheit eingeschränkt. Wenige Sender wie HALK TV, Fox TV sowie kemalistische Zeitungen wie Cumhuriyet und Sözcü führen ihre regierungskritische Berichterstattung fort. Ihre Journalisten werden in regelmäßigen Abständen angeklagt, nicht selten erhalten sie von dem Obersten Rundfunk- und Fernsehrat („RTÜK“) Sendeverbote oder Geldstrafen wegen regierungskritischer Berichte.

 

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In den türkischen, von Kritikern als gleichgeschaltet bezeichneten Medien erlebte die türkische Bevölkerung in den vergangenen 20 Jahren die schrittweise Islamisierung der Sendeinhalte. Ehemals säkulare Serien zeigten verstärkt muslimisch-konservative Ideale: Westliche Kleidung wich einem als muslimisch bezeichneten Erscheinungsbild, statt der Gleichstellung der Geschlechter sind nun patriarchale Familienverhältnisse die Norm. In diesen mehrheitlich staatstreuen Medien werden Regierungsgegner als Terroristen bezeichnet und zur Zielscheibe gemacht. Mit seinen Hasstiraden gegenüber der Opposition bewirkt Erdogan bei Deutsch-Türken Ressentiments gegenüber liberalen Türken sowie Feministinnen, die er in Reden als „Schlampen“ bezeichnete. Die türkische Nation wird sowohl von regierungstreuen Medien, seien es Zeitungen oder Fernsehsender, als auch von Erdogan und anderen AKP-Politikern als Schicksalsgemeinschaft eingeschworen, die sich gemeinsam gegen die PKK, die Gülen-Bewegung und Regierungskritiker gleichermaßen zur Wehr zu setzen habe.  

Moscheen als AKP-Wahlhelfer 

„Die Moscheen sind die Hochburg der AKP“, erklären liberale Deutsch-Türken den Erfolg der AKP in Deutschland. Anders als konservative Funktionäre aus AKP-nahen Kreisen verfügen säkulare und westlich orientierte Parteien aus der Türkei und ihre Vertreter in Deutschland über keine Zugänge zu Moscheen. Die Mehrheit der AKP-Befürworter in Deutschland wählt die örtliche Moschee als Quelle der Informationen über die Türkei, dort sozialisieren sie sich und bilden sich ihre Meinung zu aktuellen politischen Entwicklungen. Meist bestimmen von türkischen Medien und der türkischen Regierungspartei präsentierte Feindbilder wie die Gülenisten, PKK-Anhänger, queere Menschen, Feministinnen eine Projektionsfläche für Lebensmodelle und politische Einstellungen, die sie grundsätzlich ablehnen.

Auch die Union internationaler Demokraten, die UID, spielt bei der Mobilisierung der AKP-Wähler in Deutschland eine große Rolle. Sie gilt als Lobby-Organisation der AKP in Deutschland und wird vom deutschen Verfassungsschutz beobachtet. Kritische türkische Journalisten wiesen in der Vergangenheit mehrfach auf die gute Vernetzung der DITIB-Moscheen, der Union internationaler Demokraten und der türkischen Konsulate in Deutschland hin und glauben, dass diese mit der erwarteten Wiederwahl Erdogans an Einfluss gewinnen und Erdogan-Kritiker in Deutschland denunzieren und einschüchtern könnten.  

Levent Taşkıran, Präsident des Vereins türkischer Studenten und des Vereins türkischer Akademiker in Köln, ist sich sicher, dass der hohe Grad an Vernetzung und Organisation der AKP-nahen Moscheen und Verbände den Wahlerfolg Erdogans in Deutschland erklärt: „Grundsätzlich kann man sagen, dass die AKP in Deutschland sehr gut organisiert ist, auch in verschiedenen Moscheeverbänden wie innerhalb der DITIB und in den Moscheen der Islamischen Gemeinschaft Milli Görüs (IGMG). Darüber hinaus spielt die Union internationaler Demokraten (UID) eine zentrale Funktion bei der Koordinierung des Wahlkampfes.“

„Es gibt aber auch innerhalb dieser Gemeinden Interessendivergenzen, denn nicht alle Moscheegemeinden lassen sich pauschal als AKP-nah oder Befürworter Erdogans bezeichnen“, sagt Taşkıran. „In Bezug auf die Wahlmöglichkeiten in Deutschland wissen wir auch, dass viele Menschen durch zur Verfügung gestellte Busse zu den Konsulaten gebracht wurden. Bei diesen Wahlen haben wir außerdem gesehen, dass nicht wenige der Wahlhelfer aus der Türkei eingeflogene Imame und somit türkische Beamte sind. Die hohe Wahlbeteiligung in Deutschland kann man aber auch nicht nur der Mobilisierung der AKP zurechnen, denn auch die Opposition, insbesondere die CHP-Vereinigungen in Deutschland, treten hier sehr organisiert auf und haben aus den Fehlern aus der Vergangenheit gelernt.“  

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