Vom Ende des Diskurses - Nichts geht mehr

Zahllose Debatten und vermeintliche Skandale in Deutschland zeigen: Die gesellschaftspolitischen Debatten sind verhärtet. Nichts geht mehr. Gespräche über Schlüsselthemen sind nur noch um den Preis der Selbstaufgabe möglich. Zeit für das bürgerliche Lager, endlich die Konfrontation anzunehmen.

Rien ne va plus: Die Zeit gutwilliger Debatten ist vorbei (Edvard Munch: „Am Spieltisch“, 1891/92) / dpa
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Autoreninfo

Alexander Grau ist promovierter Philosoph und arbeitet als freier Kultur- und Wissenschaftsjournalist. Er veröffentlichte u.a. „Hypermoral. Die neue Lust an der Empörung“. Zuletzt erschien „Vom Wald. Eine Philosophie der Freiheit“ bei Claudius.

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Es war ein vollkommen harmloser, im Grunde vernünftiger, auf jeden Fall aber diskussionswürdiger Vorschlag, den Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer Anfang der Woche via Interview zu Besten gab: Die Zahl der Flüchtlinge sei zu hoch. Schulen und Kitas seien überlastet, es gebe keine Wohnungen. Man könne kaum noch Sprachunterricht anbieten. Man solle eine Kommission bilden, in der alle politischen und gesellschaftlichen Gruppen vertreten seien, um eine Lösung dieses drängenden Problems anzugehen. Und zwar auf allen Ebenen: Dazu gehöre auch eine Änderung des Grundgesetzes, die Senkung der Sozialleistungen für Flüchtlinge und die Rückführung illegaler Einwanderer und abgelehnter Asylbewerber.

Aber in diesem Deutschland mit seiner aufgeheizten politischen Atmosphäre gibt es keine harmlosen, vernünftigen Vorschläge mehr. Die Reaktionen auf Kretschmers Vorschlag waren also absehbar. Exemplarisch twitterte etwa Clara Anne Bünger, Abgeordnete der Linken, die Worte von Kretschmer seien ein „Brandbeschleuniger“. Und in feinstem politisch korrekt verdrehtem Deutsch fügte sie hinzu: „Dadurch wird es mehr Hass gegen Menschen geben, die als Geflüchtete identifiziert werden.“

Denn in der Welt der Frau Bünger gibt es gar keine Flüchtlinge, sondern nur Menschen, „die als Geflüchtete identifiziert werden“. Es wäre mal interessant, bei Frau Bünger nachzufragen, ob es eigentlich auch keine Nazis gibt – sondern nur Menschen, die als Nazis identifiziert werden. Aber das nur nebenbei.

Kritik an Kretschmer kam, ebenfalls wenig überraschend, auch von seinen Dresdner rot-grünen Koalitionspartnern. Schon anlässlich eines ganz ähnlich gelagerten Gesprächs Kretschmers mit dem Münchner Merkur wenige Tage zuvor hatte man dem Ministerpräsidenten vorgeworfen, die Linie der Sachpolitik zu verlassen – ebenfalls ein beliebter Schachzug, wenn man missliebige Positionen nicht einmal diskutieren möchte. Motto: Nur wir sind sie Sachlichen, alternative Vorschläge oder gar Widerspruch ist unsachlich.

Ganze Sprachcodes wurden umdefiniert

Rien ne va plus – nichts geht mehr in diesem Land. Die Diskurse sind inzwischen so verhärtet, dass sich kaum noch etwas bewegt. Die Themen sind einschlägig und reichen von Klima bis Diversitätspolitik. Doch am erstarrtesten sind die Fronten im Bereich Migration. Das hat auch damit zu tun, dass das Thema ein Symbolthema ist, in dem viele gesellschaftspolitische Themen zusammenfließen: Wie sollten wir mit Minderheiten umgehen? Was verstehen wir unter Toleranz? Was sind die moralischen Maßstäbe unseres Handelns? Was verstehen wir unter deutscher/europäischer Identität? Und: Welche Gesellschaft wollen wir in Zukunft?

Unübersehbar hat dabei in den letzten zwei Jahrzehnten eine Verschiebung des Diskurses stattgefunden. Ganze Sprachcodes wurden umdefiniert. Neutrale Bezeichnungen gelten nunmehr als diskriminierend. Schon Minderheiten „Minderheiten“ zu nennen oder Flüchtlinge „Flüchtlinge“, gilt als Form der Herabsetzung. Die politische Linke tritt auf, als hätte sie allein die Deutungshoheit darüber, was als human und moralisch legitim zu gelten hat. Andere normative Vorstellungen gelten als Ausdruck einer vorgeblich sexistischen und rassistischen Kultur.

 

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Wie diese Mechanismen konkret funktionieren, wurde Ende April an der Frankfurter Goethe-Uni deutlich. Dort hatte die Islamwissenschaftlerin Susanne Schröter zu der inzwischen zu trauriger Berühmtheit gelangten Konferenz „Migration steuern, Pluralität gestalten“ geladen. Die breite Medienöffentlichkeit wurde auf diese Veranstaltung durch die unkontrollierten Äußerungen Boris Palmers gegenüber hasserfüllten Demonstranten aufmerksam. In der folgenden Aufregung ging jedoch unter, dass im Umfeld (und erst recht im Nachgang) schon die ganze Fragestellung der Tagung als diskriminierend und damit menschenverachtend dargestellt wurde.

Denn wer, so die Logik, Migration steuern möchte, der identifiziert Menschen als Migranten, was an sich schon abwertend ist, und unterscheidet zudem zwischen gewünschten und nicht gewünschten Migranten, was eindeutig als rassistisch ist, da hier Menschen separiert werden. Ende der Debatte.

Alle Argumente unsagbar geworden

So läuft es immer. Bei Herrn Kretschmer. Bei Frau Schröter. Bei vielen anderen Personen und in unzähligen Artikeln, Vorträgen und Büchern. Und genau das ist auch das Ziel: ein Diskursklima schaffen, in dem alle Argumente, die der neulinken Politagenda entgegenstehen, unsagbar geworden sind. An den Universitäten hat man dieses Ziel weitgehend erreicht. Und der Rest der Gesellschaft ist auf einem guten Weg zu ähnlichen Verhältnissen.

Wenn nicht alles täuscht, ist es höchste Zeit, alle Illusionen fahren zu lassen. Begriffe wie „Verständigung“, „Konsens“ oder „Gesprächsbereitschaft“ waren in den letzten Jahren stets nur rhetorische Schachzüge, um das Spektrum des Tolerierten im Sinne einer linken Politagenda umzuschreiben. Und es ist eine Illusion zu meinen, man müsse der Linken nur noch weiter entgegenkommen, um endlich auf Augenhöhe und ohne Herabsetzung mit ihr reden zu können.

Bürgerliche Politik muss sich klar machen, dass die Zeit gutwilliger Debatten vorbei ist. Die Fronten sind verhärtet. Das gilt es zu akzeptieren. Gespräche über gesellschaftspolitische Schlüsselthemen sind nur noch um den Preis der Selbstaufgabe möglich. Höchste Zeit, nicht länger linken Begriffen hinterherzurennen, sondern eigene Konzepte und eine eigene Sprache zu entwickeln. Die Jahrzehnte des angeblichen Konsenses sind vorbei und Dissense müssen konfrontativ benannt werden – das muss auch die CDU verstehen.

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