Verfassungswidriger Haushalt - Der Kanzler ist verantwortlich und gescheitert

Ein deutlicherer Ausweis des Scheiterns einer Regierung und eines Kanzlers als das Verfassungsgerichtsurteil ist kaum vorstellbar. Wer solches zu verantworten hat, sollte nicht länger in Regierungsverantwortung stehen.

Bundeskanzler Olaf Scholz, 21.11.2023 / dpa
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Autoreninfo

Ferdinand Knauß ist Cicero-Redakteur. Sein Buch „Merkel am Ende. Warum die Methode Angela Merkels nicht mehr in unsere Zeit passt“ ist 2018 im FinanzBuch Verlag erschienen.

 

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Das Haushaltsurteil des Bundesverfassungsgerichts führt in Teilen der Ampelkoalition zu erstaunlichen Reaktionen. Eines jedenfalls vermisst man: Demut und schlichte Akzeptanz des Urteils in seinem Wesensgehalt. Was manche SPD-Politiker nun laut Süddeutscher Zeitung für einen Ausweg halten, wäre nicht nur eine Verhöhnung des Verfassungsgerichts, nämlich: Der Kanzler solle eine Notlage erklären, um dann einfach doch die 60 Milliarden Euro Schulden aufnehmen und ausgeben zu können. 

Wer solches fordert, der ruft offen zur Missachtung des Karlsruher Urteils und zum Verfassungsbruch auf. Denn als Notsituationen, die ein Überschreiten der Schuldengrenze gestatten, gelten allein solche, die sich der Kontrolle des Staates entziehen. Im Urteil steht sogar ausdrücklich – obwohl das eigentlich ohnehin unter halbwegs verantwortungsbewussten Finanzpolitikern selbstverständlich sein sollte –, dass darunter nicht jede wirtschaftliche Schieflage verstanden werden dürfte, und erst recht nicht die Folgen von Krisen, die, so das Bundesverfassungsgericht, „lange absehbar waren oder gar von der öffentlichen Hand verursacht worden sind“. Genau das letztere ist aber die Ursache der aktuellen Haushaltskrise. Man muss sich klarmachen, welche bizarre Idee da in der Ampel erwogen wird: Die durch eigenes Verschulden – sprich: Verfassungsbruch – selbst verursachte Not soll rechtfertigen, dass man die Verfassung trotz Verurteilung brechen darf. 

Diese sozialdemokratische Sturheit und auch die Reaktion des grünen Wirrschaftsministers und der grünen Parteivorsitzenden, deren hybride Transformationspläne das eigentliche politische Motiv der verfassungsbrecherischen Haushaltskonstruktion sind, zeigen: Diese Regierung wandelt argumentationslogisch und teilweise auch moralisch auf Abwegen. 

 

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Wenn Koalitionspolitiker wie Wirtschaftsminister Habeck oder SPD-Generalsekretär Kühnert nun so tun, als hätte das Urteil eine neue Haushalts- oder gar Wirtschaftswirklichkeit geschaffen, so ist das eine Verkehrung der Tatsachen. Habecks Aussage, durch das Urteil werde „Konjunkturgeld ... dem Land entzogen", offenbart ein völlig abstruses Verständnis von Staatsschulden und vom Verhältnis zwischen Staat und Wirtschaft. Nicht der Staat finanziert die Wirtschaft, sondern umgekehrt. 

Die Bürger sind klüger als die Ampel-Politiker

Ein großer und vermutlich wachsender Teil der Bürger weiß übrigens, was die meisten Politiker, vor allem jene der Grünen und der SPD, nicht wissen wollen: Ein Staat muss mit dem Geld der Bürger auskommen können, sonst ist er früher oder später am Ende, wie die Geschichte der Staatsbankrotte eindrucksvoll zeigt. Laut INSA-Umfrage will eine relative Mehrheit von 46 Prozent der Deutschen, dass die Regierung die 60-Milliarden-Euro-Lücke durch Sparen schließt. Es scheint sich herumzusprechen: Was Habeck „Konjunkturgeld" und Kühnert „Soziales" nennt, sind Schulden, die die Bürger und vor allem deren Kinder dereinst bezahlen werden müssen. 

Das Urteil ist nur ein offizielles Siegel für eine Tatsache, die als solche von Anfang an klar war. Die Verschuldungskonstruktion mit Sondermögen jenseits des offiziellen Budgets, die im einen Jahr verbucht und in späteren Jahren ausgegeben werden sollten und deren Zweck nachträglich geändert wurde, ist, was Finanzmanager euphemistisch kreative Buchführung nennen. Es war von Anfang an Täuschung, die nur den einen Zweck hatte, nämlich den Bruch der Schuldenbremse, also der Verfassung, oberflächlich und formaljuristisch zu verschleiern.

Man kann die hektischen Versuche, einfach ohne materielle Veränderungen weiterzuwursteln nach der größten vorstellbaren Peinlichkeit, die eine deutsche Nachkriegsregierung je verursachte, nur als Indizien dafür werten, dass diese Koalition längst an ihrem frühzeitigen Ende ist. Denn dieser Verfassungsbruch war kein Detail der Ampel-Regierung. Er war ihr Fundament.

Ein vermeintliches Wundermittel

Die Idee zu der nun als Verfassungsbruch verurteilten Neuverschuldungsverschleierungsoperation ist kurz nach der Bundestagswahl, als Scholz noch Finanzminister war, aufgekommen. Es war ein vermeintliches Wundermittel, um die Ampel zusammenzubringen, also den Sozialdemokraten ihre Sozialstaatserweiterungs- und den Grünen ihre Klimatransformationswünsche erfüllen zu können, und gleichzeitig Lindners FDP den Verzicht auf Steuererhöhungen zu ermöglichen. Die Schuldenbremse wurde dafür geopfert. Doch das Opfer wurde formaljuristisch verschleiert. Das Verfassungsgericht hat nur den Schleier beseitigt, mehr nicht. 

Ob Scholz persönlich den konkreten Plan ausgeheckt hat, wie nun Lindners Berater Lars Feld in der Frankfurter Allgemeinen andeutet, oder ein anderer, ist völlig nachrangig: Als Finanzminister und Jurist muss ihm die verfassungsbrecherische Wirklichkeit klar gewesen sein. Und die Verantwortung trägt er mit der Richtlinienkompetenz sowieso. Dass Lindner als neuer Finanzminister dieses Manöver mittrug, obwohl es von Anfang an öffentlich so kritisiert wurde, wie die Richter nun urteilten, ändert daran nichts. Aber es bleibt ein Makel für den Mann, der 2017 noch lieber nicht als falsch regieren wollte. 

Scholz trägt die Verantwortung

Der letzte Rückhalt der Ampel ist außer ihrer eigenen Uneinsichtigkeit nur noch eine Presse, die in weiten Teilen ihre politischen Ziele (abgesehen von denen der FDP) und ihr Zustandekommen mit Wohlwollen ersehnte und dann die offenkundigsten Fehltritte und selbst das jetzt offiziell gewordene Versagen mit großer Nachsicht behandelte.    

Zu dieser Nachsicht gehört vor allem, dass die Frage nach der Verantwortung kaum je gestellt wird. Dabei ist die Antwort eindeutig zu geben. Sie liegt bei Scholz. 

Verantwortung heißt genau das: Antworten auf Fragen nach dem eigenen Tun und dem der Untergebenen geben müssen. Wer das nicht glaubwürdig und überzeugend kann, weil sein Handeln als grundlegend falsch erkannt wurde, muss diese Verantwortung und damit auch die Macht abgeben. Scholz hat seine persönliche Integrität ohnehin schon durch sein Schweigen in der CumEx-Affäre verloren. Nun wird auch sein wichtigstes politisches Werk, nämlich die Schaffung der Ampelkoalition, als Verfassungsbruch in die Geschichte eingehen. 

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