Ukraine-Krieg - Was will Friedrich Merz in Kiew?

Oppositionsführer Friedrich Merz fährt heute nach Kiew - als erster deutscher Politiker seit Beginn des Krieges gegen die Ukraine. Damit betritt er die Bühne, die Bundeskanzler Olaf Scholz ihm überlässt. Damit will sich Merz vor allem innenpolitisch profilieren, denn nach seiner Wahl zum CDU-Vorsitzenden ist es ihm bisher nicht gelungen, die Umfragewerte seiner Partei in die Höhe zu treiben.

Vom CDU/CSU-Spitzentreffen in Köln zum Sonderzug nach Kiew: Friedrich Merz / dpa
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Autoreninfo

Thomas Jäger ist Professor für Internationale Politik und Außenpolitik an der Universität zu Köln. Er ist Mitglied der Nordrhein-Westfälischen Akademie der Wissenschaften und der Künste.

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Eine Reise nach Kiew erzielt derzeit große mediale Aufmerksamkeit. Und zwar für beide Seiten. Präsident Selenskyj, der die Macht von Bildern und Worten einzusetzen weiß wie kein zweiter Staatspräsident, empfängt seine Gäste, um die große Unterstützung für die Ukraine zu dokumentieren. Dazu gehört dann auch das, was die ausländischen Gäste an materieller Unterstützung mitbringen. Und diese häufig unangekündigt und mit dem Zug Angereisten können sich mit einem Staatspräsidenten zeigen, der in weiten Teilen der Welt sehr hohes Ansehen und überall auf der Welt eine große Bekanntheit genießt. Das sind dann auch Bilder für das heimische Publikum. Daran ist nichts anstößig, denn das gehört zum politischen Geschäft dazu. In der Netzwelt ist der Wert von Bildern kaum zu überschätzen.

Außenministerin Baerbock suchte ein Treffen mit Präsident Selenskyj noch vor Beginn des Krieges Anfang Februar 2022. Ihre Reise in die Ukraine stand schon programmatisch dafür, wie sie in dieser Phase ihre Politik und deren Kommunikation anlegte. Selenskyj verwehrte ihr das Treffen jedoch, weil er die deutsche Position: ja zu Nord Stream 2 und nein zu Waffenlieferungen (das war Anfang Februar noch so) ablehnte. Termingründe wurden damals noch vorgeschoben, zumindest nach außen die Höflichkeit gewahrt, ein CNN-Reporter dann aber über die wahren Gründe informiert.

Beim zweiten Besuch, der aus Deutschland kommen sollte, wurde die höfliche Form nicht einmal mehr beachtet. Bundespräsidenten Steinmeier wollte Selenskyj ebenfalls nicht sehen und verhinderte dessen Reise in die Ukraine, die er zusammen mit dem polnischen Präsidenten und den Präsidenten der drei baltischen Staaten antreten wollte. Dass die vier Präsidenten trotzdem fuhren, zeigte, wer ihnen wichtig war: Selenskyj. Nicht Steinmeier. Um nicht ganz so hart zu erscheinen, lud die ukrainische Führung umgehend Bundeskanzler Scholz ein, der aber – Gott sei Dank, wird er sich gedacht haben – nun eine Ausrede hatte. Wenn schon der Bundespräsident nicht erwünscht ist, dann wird der Bundeskanzler auch nicht reisen. Der halb-wirkliche Grund war hingegen, dass Scholz angeblich zu wenig Unterstützung hätte anbieten können. Der wirkliche Grund war, dass die SPD gerade an der Russland- und Ukrainepolitik und dem Umgang mit dem Krieg zu schlucken hat und das niedrigste Profil in diesen Fragen ihr immer noch zu hoch ist.

Die gesamte Richtung wurde von Scholz nur widerwillig mitgetragen

Während Steinmeier draußen blieb, wurden drei Bundestagsabgeordnete empfangen, die von dem Besuch ausgehend die Debatte in Deutschland dann nicht nur bestimmten, sondern in eine Richtung trieben, die dem Bundeskanzler missfiel. Weil er selbst aber keine Richtung vorgab, nutzten sie diese Lücke, um die Zeitenwende auf die Forderung, der Ukraine schwere Waffen zu liefern, zu fokussieren. Das war eine starke kommunikative Leistung, die über Bande mit dem ukrainischen Botschafter – einem sehr effektiven Kommunikator – lief. Für Scholz war ungünstig, dass die drei Abgeordneten den Regierungsfraktionen angehören. Der SPD-Mann in diesem Kreis hielt sich dabei auffällig zurück, wohl weil er um die wirkliche Meinungsbildung in Fraktion und Partei wusste.

Scholz fuhr immer noch nicht nach Kiew, selbst als die Entscheidungen – abgesprochen im Kreis der Verbündeten – Deutschland nicht mehr im Abseits stehen ließen. Er weiß, dass seine Partei in den mit dem Krieg zusammenhängenden Fragen gespaltener ist als andere Parteien, die sich rascher damit befasst haben. Sieht man seine Kehrtwenden an, scheint es, dass die gesamte Richtung von ihm nur widerwillig mitgetragen wird. Im Dezember 2021 war Nord-Steam 2 für ihn noch ein „privatwirtschaftliches Vorhaben“, vor seiner USA-Reise wies er darauf hin, dass es Deutschlands gute Tradition verbiete, Waffen in Konfliktgebiete zu liefern; und Tage bevor er der Lieferung schwerer Waffen zustimmte, hielt er dies noch für den Weg in den Dritten Weltkrieg. Scholz bleibt deshalb Kiew fern, weil er sich und die SPD in dieser Politik mitnehmen muss.

Es gibt bisher keinen Merz-Effekt

Das will nun Oppositionsführer Merz nutzen, um die Bühne zu betreten, die ihm der Bundeskanzler überlässt. Den Anstieg in den Umfragewerten, den sich viele in der Union erhofft hatten, als Friedrich Merz zum Parteivorsitzenden und später auch zum Fraktionsvorsitzenden gewählt wurde, gab es nicht. Die Umfragewerte der Unionsparteien (die CSU ist gerade auch gedämpft) gehen nicht in die Höhe. Es gibt keinen Merz-Effekt. Der neue Vorsitzende hat zudem sein Thema (noch) nicht gefunden, mit dem er sich der Öffentlichkeit neu präsentieren könnte. Das ist in einer Phase, in der äußere Krisen das weitgehende Beisammenstehen der demokratischen Parteien erfordern, auch schwer. Der Krieg ist das dominante Thema, hier muss er seinen Platz finden. Merz unterstützt Scholz beim Sondervermögen Bundeswehr; er unterstützt ihn bei der Lieferung von Waffen in die Ukraine – nur hat die CDU davon bisher nichts. Außer dass es Merz ganz gut gelingt, davon abzulenken, dass der Zustand der Bundeswehr das Ergebnis von CDU- und CSU-Ministern ist. Was liegt da näher, als die Kritik am zaudernden Kanzler durch einen Besuch in Kiew und Bilder mit Präsident Selenskyj (wenn es sie denn gibt, denn der weiß auch, wie sehr das Scholz ärgern würde) zu unterstreichen. Was die Reise Merz und der Union bringt, wird man sehen.

Schon jetzt ist zu sehen, wie sehr sich die Außenministerin windet, würde sie doch am liebsten umgehend nach Kiew reisen, um den Besuch beim ukrainischen Präsidenten nachzuholen. Jetzt, so wird man mutmaßen dürfen, würde er sie empfangen.

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