Wahlniederlage der Grünen beeinflusst Haushaltsverhandlungen - Christian Lindners neue Stärke

Laut Steuerschätzung fallen in den Jahren 2023 bis 2027 die Einnahmen um rund 150 Milliarden Euro niedriger aus als im Oktober 2022 angenommen. Das ist allerdings keine Überraschung. Dennoch wird Bundesfinanzminister Christian Lindner versuchen, zusätzliche Ausgaben möglichst zu verhindern. Dabei hilft ihm die aktuelle Schwäche der Grünen.

Bundesfinanzminister Christian Lindner bei einer Pressekonferenz zum G7-Finanzministertreffen in Niigata am 12. Mai / dpa
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Mathias Brodkorb ist Cicero-Autor und war Kultus- und Finanzminister des Landes Mecklenburg-Vorpommern. Er gehört der SPD an.

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Als Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) vor wenigen Tagen die Mai-Steuerschätzung des Bundes vorlegte, zeigten sich zahlreiche Berichterstatter und Kommentatoren überrascht. Eigentlich hatte man offenbar mit üppig sprudelnden Steuereinnahmen gerechnet, um all die derzeit in der Ampel diskutierten Ausgabenwünsche für den Haushalt 2024 doch noch bedienen zu können.

Obwohl aber die gesamtstaatlichen Einnahmen weiter wachsen und im Jahre 2025 voraussichtlich erstmals die Grenze von einer Billion Euro überschreiten dürften, fallen in den Jahren 2023 bis 2027 die geschätzten Einnahmen um rund 150 Milliarden Euro niedriger aus als noch im Oktober 2022 angenommen.

Mai-Steuerschätzung ohne Überraschungen

Allerdings sind diese Daten weder eine Überraschung noch ein Schlag ins Kontor – auch nicht für den Bundesfinanzminister. Die im Mai und Oktober eines jeden Jahres vorgenommenen Steuerschätzungen basieren nämlich stets auf dem zu diesem Zeitpunkt geltenden Recht. Im Oktober 2022 waren dem Finanzministerium die möglichen Auswirkungen des Inflationsausgleichsgesetzes (Schleifen kalter Progression, Erhöhung des Kindergeldes etc.) für 2023 allerdings längst bekannt und gingen selbstverständlich als Vorsorgeposten in die Haushaltsplanung ein – aber eben nicht in die damalige Steuerschätzung.

Dass sich die Steuerschätzung des Mai 2023 also gegenüber dem Oktober 2022 für das Jahr 2023 um rund 17 Milliarden Euro und im Folgejahr um rund 31 Milliarden Euro verschlechtern würde, war allen Fachleuten bereits vor Christian Lindners Pressekonferenz, die er wegen des G7-Treffens der Finanzminister diesmal online aus Japan gab, klar.

Kein zusätzlicher Anpassungsbedarf im Haushalt

Und diese Daten produzieren genau deshalb auch keinen relevanten Anpassungsbedarf im Haushalt. Es ist nicht so, dass im Jahre 2024 tatsächlich 31 Milliarden Euro weniger als im Vorjahr oder im Vergleich zu 2022 zur Verfügung stehen werden. Für das Jahr 2023 wird vielmehr gesamtstaatlich mit einem Zuwachs an Steuereinnahmen um 25 Milliarden und für 2024 um weitere 40 Milliarden gerechnet – und das sind immerhin stolze Wachstumsraten von sieben beziehungsweise fünf Prozent pro Jahr. 

Die aktuelle Steuerschätzung bedeutet folglich nicht, dass es dem Staat in Zukunft schlechter gehen wird als bisher. Sie besagt nur, dass es ihm nicht um so viel besser gehen wird, wie auf Grundlage alten Rechts im Oktober 2022 noch gedacht. Aber genau das war ja mit dem Inflationsausgleichsgesetz auch ausdrücklich so gewollt. Der Staat sollte sich mit Hilfe der Inflation nicht noch weiter an den Bürgern „bereichern“.

Kein Wunder daher, dass Lindner auf die Frage, welcher Anpassungsbedarf für den Haushaltsentwurf 2024 aus der Mai-Steuerschätzung resultiere, bloß trocken sagte: „keine.“ Das schloss ausdrücklich auch Steuererhöhungen ein. Deutschland habe nämlich „kein Einnahmeproblem“, sondern als „Hochsteuerland“ vielmehr ein internationales Wettbewerbs- und Ausgabeproblem. Die aktuell schwächelnde Konjunktur machte er auch dafür mitverantwortlich.

Strategie der geräuschlosen Haushaltssanierung

Harte Einschnitte in staatliche Ausgabenprogramme sind daher von der Ampel eher nicht zu erwarten, nicht einmal von Christian Lindner. „Es geht doch nicht darum, vorsätzlich irgendjemandem Schmerzen zuzufügen“, sagte er ausdrücklich auf eine entsprechende Frage nach möglichen Einsparungen im Haushalt. Dafür sprudeln die Steuereinnahmen ja auch immer noch zu üppig. 

Worum es Lindner vielmehr geht: Er will die Rate des Wachstums der Ausgaben unter die der Einnahmen drücken und auf diese Weise den Haushalt politisch geräuschlos sanieren. Freilich heißt das, dass am Ende die Bürger die Party bezahlen müssen. Die im historischen Vergleich hohen Wachstumsraten der staatlichen Einnahmen sind trotz Inflationsausgleichsgesetz im Wesentlichen das Spiegelbild der Inflation. Je höher Preise und Einkommen steigen, umso mehr Einnahmen kann der Staat über Umsatz- und Einkommensteuer auch in seinen Kassen verbuchen.

Es geht also nicht um Ausgabenkürzungen, sondern bloß darum, zusätzliche Ausgaben möglichst zu verhindern. So ist auch Lindners ewig wiederkehrendes Mantra zu verstehen, ein „Mehr an Ausgabewünschen“  sei „gegenwärtig nicht (zu) realisieren“. Bisher hatte er für diesen Kurs aber nicht gerade gute Karten.

Lindners politisches Problem

In Wahrheit sind auch die Daten der Mai-Steuerschätzung für Lindner gar nicht allzu gut. Als er vor einigen Wochen die Verabschiedung von Haushaltseckwerten durch die Bundesregierung abblies, kam das einer stillen Kapitulation als Finanzminister gleich. Es gelang ihm offensichtlich nicht, sich rechtzeitig mit seinen Ministerkollegen auf einen finanziellen Gesamtrahmen für den Haushalt 2024 zu einigen. Er konnte die vielen Ausgabenforderungen der Fachministerien nicht aus eigener Kraft abwehren. Seine Autorität galt fortan als beschädigt.

An die Stelle der Eckwerte sollte deshalb die Mai-Steuerschätzung treten, um Lindner politisch den Rücken zu stärken und anschließend in die abschließenden Verhandlungen einzutreten. Nur: Auch daraus wird nichts. Dafür sind die Mai-Daten einfach viel zu harmlos. Inzwischen ist klar, dass das Kabinett seinen Termin für den Beschluss des Haushaltsentwurfes am 21. Juni 2023 nicht wird halten können. Die technischen Vorlauffristen sind längst abgelaufen. Zumindest kündigt Lindner für die nahe Zukunft eine Einigung auf Regierungsebene an.

Lindners Erfolgsfaktor: die Schwäche der Grünen:

Die SPD dürfte für Linder in den Haushaltsverhandlungen dabei nicht das Hauptproblem sein. Olaf Scholz wird die Ansprüche seiner eigenen Genossen schon auf das nötige Maß zurecht stutzen, schließlich war er einmal selbst Finanzminister – und hat die Richtlinienkompetenz inne. So begab es sich schließlich schon bei der Korrektur der kalten Progression. Viel Gefährlicher für Lindner waren von Anfang die Grünen, insbesondere die Milliarden schweren Träume von Familienministerin Lisa Paus die Einführung einer Kindergrundsicherung betreffend. 

Aber seit einstürzender Umfragewerte infolge der Heizungsdebatte, einer veritablen Wahlniederlage in Bremen und der anstehenden Versetzung von Staatssekretär Patrick Graichen in den einstweiligen Ruhestand sind die Grünen politisch schwer angeschlagen. Obwohl die Verzögerungstaktik Christian Lindner keine für ihn politisch nützliche Steuerschätzung beschert hat, könnte sie ihm also doch geholfen haben. Seine unverhoffte neue Stärke ist dabei durch bloßes Abwarten zustande gekommen und das Spiegelbild der aktuellen Schwäche des grünen Koalitionspartners. 

Geduld zahlt sich eben auch in der Politik aus – und manchmal kommt es einfach anders, als man denkt.

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