Staatsgeld für AfD-Stiftung? - Ein Lehrstück zum Verhältnis von Macht und Recht

Jahr für Jahr erhalten die politischen Stiftungen der Parteien mehrere 100 Millionen Euro aus der Staatskasse. Damit wird die politische Bildungsarbeit finanziert, die diese Stiftungen leisten (sollen). Eine Stiftung allerdings ist ausgeschlossen: die Desiderius-Erasmus-Stiftung, die der AfD nahesteht. Wenn es nach der Mehrheit im Bundestag geht, soll das auch so bleiben. Die AfD hat das Bundesverfassungsgericht angerufen. Wie stehen ihre Chancen?

Erika Steinbach, Vorsitzende der Desiderius-Erasmus-Stiftung, wartet im Bundesverfassungsgericht auf den Beginn der Verhandlung / dpa
Anzeige

Autoreninfo

Volker Boehme-Neßler ist Professor für Öffentliches Recht, Medien- und Telekommunikations- recht an der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg. Davor war er Rechtsanwalt und Professor für Europarecht, öffentliches Wirtschaftsrecht und Medienrecht an der Hochschule für Wirtschaft und Technik (HTW) in Berlin.

So erreichen Sie Volker Boehme-Neßler:

Anzeige

Die Stiftungen der politischen Parteien erfüllen wichtige Aufgaben. Vor allem engagieren sie sich professionell in der politischen Bildung. Das ist auch nötig. Demokratie ist eine anspruchsvolle Regierungsform. Sie setzt ein Minimum an politischem Wissen, Verständnis und Fähigkeiten bei den Bürgern voraus. Jedenfalls das Demokratie-Ideal verlangt, dass sich die Bürger mit ihren Angelegenheiten beschäftigen und sich informiert beteiligen, in welcher Form auch immer. Sie müssen auch miteinander reden und Kompromisse finden können. Das ist alles nicht selbstverständlich – und schon gar nicht angeboren. Die klassischen Bildungsinstitutionen allein können das nicht sicherstellen. Vor diesem Hintergrund ist es legitim, dass der demokratische Staat die Stiftungen finanziert. Aber im demokratischen Rechtsstaat des Grundgesetzes darf die Finanzierung durch Steuergelder keine willkürliche und intransparente Angelegenheit sein.

Politische Bildung in staatlicher Hand?

Das Grundgesetz hat eine bestimmte Vorstellung von der Demokratie. Es will eine offene und pluralistische parlamentarische Demokratie, in der alle Bürger frei ihre Meinung sagen können. Selbstverständlich ist in dieser Demokratiekonzeption auch Platz für harte und grundsätzliche Kritik an allem, auch und gerade am Staat. Eine herrschende Meinung, der alle Bürger – und Wähler – kritiklos folgen, ist dem Grundgesetz ein Gräuel. Diese Demokratievorstellung hat Folgen für die Finanzierung der politischen Bildung. Der Staat darf nicht willkürlich die Stiftungen finanzieren, die ihm kritiklos nahestehen. Er muss das gesamte politische Spektrum beachten.

Grundsätzlich passiert das auch. Der Staat fördert sowohl die linke Rosa-Luxemburg-Stiftung als auch die rechte Hanns-Seidel-Stiftung finanziell. Aber eine Ausnahme gibt es. Die Stiftung der AfD erhält keine Gelder, obwohl sie an sich die zwar ungeschriebenen, aber seit Jahrzehnten einvernehmlich angewandten Voraussetzungen erfüllt. Das Verfassungsgericht in Karlsruhe hat das in einem früheren Urteil einmal so formuliert: Die Finanzierung muss alle dauerhaften, ins Gewicht fallenden politischen Grundströmungen in der Bundesrepublik Deutschland angemessen berücksichtigen. Dass die AfD eine dauerhafte politische Grundströmung repräsentiert, die Gewicht hat, wird man von ihr sagen können. Dafür sprechen schon die Wahlergebnisse dieser Partei, die sie in den letzten Jahren regelmäßig erzielt.

Man muss die AfD nicht mögen oder ihre Ziele teilen (beides tut der Verfasser nicht), um es ganz ungeschminkt zu sagen: Die Stiftung wird von der staatlichen Finanzierung ausgeschlossen, weil ihre politische Ausrichtung der Bundestagsmehrheit nicht gefällt. Das widerspricht der Demokratie-Idee des Grundgesetzes. Die Verfassung will eine offene, gerne sehr streitbare und harte Auseinandersetzung über politische Inhalte, keine Bekämpfung durch die Hintertür finanzieller Regularien. Fazit in aller Kürze: Der für die Verfassung so grundlegende Gedanke der Gleichberechtigung wird verletzt, wenn die AfD-Stiftung von der Finanzierung ausgeschlossen wird.

Fairer Wettbewerb der Parteien

Auch wenn die politischen Stiftungen rechtlich selbständig sind: Sie stehen alle einer politischen Partei nahe und arbeiten eng mit ihr zusammen. Es gibt in allen Stiftungen inhaltliche Übereinstimmungen, gemeinsame Werte und personelle Verflechtungen mit ihrer jeweiligen „Mutterpartei“. Wenn Stiftungen unterschiedlich behandelt werden, werden deshalb auch politische Parteien benachteiligt. Das betrifft den Kern der Demokratiekonzeption der Verfassung. Das Grundgesetz will eine Parteiendemokratie, in der ein fairer, gleichberechtigter Wettbewerb politischer Parteien um die Meinungshoheit und letztlich die politische Macht herrscht. Wer aus politischen Motiven eine Stiftung von der Finanzierung ausschließt, verletzt die Gleichberechtigung der Parteien und schadet dem fairen Parteienwettbewerb. Das ist eine eklatante Missachtung der Verfassung.

Finanzierung von Demokratiefeinden?

Aber ist denn die AfD eine Partei wie alle anderen? Der Verfassungsschutz beobachtet die Partei. Im Parteiprogramm finden sich Inhalte, die demokratiefeindlich sind. Zahlreiche Äußerungen von prominenten Spitzenpolitikern der AfD – nicht nur von Björn Höcke – zeigen, dass sie die demokratische Ordnung der Verfassung ablehnen. Weite Teile der AfD wollen einen Staat und eine Gesellschaftsordnung, die sicher nicht der Verfassung entsprechen. Viele in der AfD verstecken das gar nicht mehr. Auch die politischen Seminare der Desiderius-Erasmus-Stiftung sind nicht immer mit dem Grundgesetz vereinbar. Das zeigt schon ein flüchtiger Blick auf die Seminarthemen und die Referenten der letzten Jahre. Um es zuzuspitzen: Soll der Staat eine Partei und eine Stiftung finanzieren, die ihn letzten Endes abschaffen wollen?

 

Das könnte Sie auch interessieren:

 

Die Antwort des Grundgesetzes ist eindeutig. Feinde der Demokratie – und der Verfasser hält die AfD für eine Feindin der Demokratie – müssen politisch bekämpft werden. Der demokratische Rechtsstaat wehrt sich mit guter Politik und hartem politischen Meinungskampf gegen seine Feinde. Haushaltsgesetze und willkürliche bürokratische Winkelzüge sind keine Instrumente, die die Verfassung erlaubt.

Eine Ausnahme sieht das Grundgesetz allerdings doch vor. Das Bundesverfassungsgericht kann auf Antrag eine politische Partei verbieten. Dann – und nur dann – wäre sie als offizielle Verfassungsfeindin aus dem politischen Wettbewerb ausgeschlossen. Die verfassungsrechtlichen Hürden für ein Parteiverbot sind allerdings hoch. Deshalb gab es in der Geschichte der Bundesrepublik bisher nur zwei Parteiverbote in den 1950er-Jahren: eine Nazi-Partei und die KPD. Selbst die NPD wurde 2017 nicht verboten.

Im Ergebnis heißt das: Solange die AfD nicht vom Verfassungsgericht verboten ist, muss sie rechtlich wie jede andere Partei behandelt werden. Das gilt auch für die Finanzierung ihrer Stiftung. Vor diesem Hintergrund spricht vieles dafür, dass Karlsruhe der AfD in diesem Fall recht geben wird.

Der Wert der Verfassung

Die Verfassung gilt für alle. Das macht ihren Wert und ihre Bedeutung aus. Sie ist gedacht als eine Begrenzung der (politischen) Macht durch das Recht. Es geht ihr darum, politische Übergriffe auf die Freiheiten der Bürger zu verhindern und die Ausübung politischer Macht vernünftig zu begrenzen. Wenn man sie ignoriert, weil man die Macht hat, beschädigt man die Verfassung. Zivilisatorisch gesehen ist das ein Rückschritt. Beim Streit um die Finanzierung der Desiderius-Erasmus-Stiftung geht es nicht nur um die Verwendung von Steuergeldern. Das Verfahren stellt auch die explosive Frage nach dem Verhältnis von Macht und Recht.

Anzeige