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Große Koalition - Sigmar Gabriel sollte draußen bleiben

Wenn die Große Koalition die Kabinettsposten verteilt, sollte sich SPD-Chef Sigmar Gabriel unbedingt zurückhalten. Für ihn wäre es besser, unter Angela Merkel weder Vizekanzler noch Finanzminister zu werden

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Hartmut Palmer ist politischer Autor und Journalist. Er lebt und arbeitet in Bonn und in Berlin.

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Wer sagt eigentlich, dass Sigmar Gabriel unbedingt Vizekanzler und Minister werden muss?

Die meisten Kommentatoren behaupten und schreiben es. Fast alle „politischen Beobachter“ in Berlin gehen davon aus, dass es so kommen wird und kommen muss. Wenn die SPD schon in die Große Koalition gehe, so wird argumentiert, dann müsse ihr Vorsitzender auch Merkels Stellvertreter und Chef eines einflussreichen Ressorts werden. Nach dieser Logik funktioniert die Große Koalition, die Sigmar Gabriel anstrebt. Aus so genannten „informierten Kreisen“ wird kolportiert, Gabriel selbst sei geradezu versessen darauf, in die Regierung zu gehen und Vizekanzler zu werden.

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Er selbst hat sich – aus gutem Grund und klugerweise – öffentlich bisher noch nicht erklärt oder festgelegt. Aber wenn es stimmt, was kolportiert wird, wenn er tatsächlich in die Regierung strebte, wäre dies keineswegs klug oder logisch. Im Gegenteil: Gabriels Einfluss auf die deutsche Politik würde sinken, wenn er sich in die Kabinettsdisziplin der schwarz-roten Regierung begäbe. Sein politisches Gewicht nähme zu, wenn er „draußen“ bliebe und stattdessen neben dem Parteivorsitz auch den Vorsitz der SPD-Fraktion übernähme. Das Argument, die Vorsitzenden der Koalitionsparteien müssten Verantwortung in der Regierung übernehmen, um dem Projekt Glaubwürdigkeit zu verleihen und es zum Erfolg zu führen, ist mit einem Blick nach Bayern widerlegt. Horst Seehofer denkt gar nicht daran, sich einbinden zu lassen. Er bleibt als CSU-Chef auf Augenhöhe mit der CDU-Vorsitzenden Merkel. Sigmar Gabriel wäre gut beraten, es ihm gleichzutun.

Hausaufgabe: Die SPD-Parteizentrale entrümpeln


Er könnte dann nämlich das machen, was er am besten kann: Der Partei erklären, wozu sie gebraucht wird und wie sie ihre Ziele erreichen kann. Reden kann er, die Genossen begeistern kann er auch, seine Auftritte auf Parteitagen haben es bewiesen: Er ist ein begabter Wegweiser, Mitreißer und Sinnstifter – der erste eigentlich seit Oskar Lafontaine und Willy Brandt. Und so einer wird auch im Bundestag gebraucht – gerade in den Zeiten der großen Konturenverwischung, in denen die Unterschiede zwischen den Volksparteien immer weniger erkennbar werden.

Als Parteichef müsste er dann allerdings auch – mit Hilfe eines tüchtigen Generalsekretärs – eine Herkulesaufgabe übernehmen, die seit langem überfällig ist: Die personelle Entrümpelung des Willy-Brandt-Hauses in Berlin. Denn die Parteizentrale ist verludert. Jeder der zahllosen Vorsitzenden, die seit Willy Brandts Rücktritt dort das Amt des Vorsitzenden übernahmen, brachte eine Handvoll Vertrauter mit. Die Vorsitzenden gingen, die Vertrauten blieben. Aber nicht, um miteinander die Kampagnenfähigkeit der SPD zu verbessern, sondern um gegeneinander zu intrigieren und schlecht übereinander zu reden.

Schon Gerhard Schröder kannte das Problem. Weil er sich auf die schlecht organisierte Parteizentrale nicht verlassen mochte, heuerte er Vertraute an, die außerhalb der Bonner „Baracke“ seine Kampagne steuerten. Reibereien mit den eigentlich dazu vorgesehenen Partei-Funktionären blieben nicht aus. Daran hat sich bis heute nichts geändert. Das Willy-Brandt-Haus, hat kürzlich jemand formuliert, der sich auskennt, sei wie eine „zerstrittene Erbengemeinschaft kurz vor dem Gang zum Notar“. Genau so ist es.

Es gibt aber im Vorfeld der Regierungsbildung noch andere Gerüchte, Vorurteile und Dogmen, die sich hartnäckig halten und den Blick auf das Wesentliche verstellen. Eines dieser Dogmen heißt: Um in der Großen Koalition wirklich Einfluss zu nehmen, müsse der kleinere Partner den Finanzminister stellen. Denn das Finanzministerium sei wichtiger als alle anderen Ressorts.

Es gab schon einmal einen Finanzminister, der auf dieses Gerücht  hereinfiel. Es war Oskar Lafontaine, der meinte, es könne ihm egal sein, wer unter ihm Kanzler sei – solange er Chef des Finanzressorts bleibe. Man weiß, wie es endete. Der Finanzminister hat viel zu sagen – gewiss. Aber er kann nur mit, nicht gegen die Kanzlerin Erfolg haben (das hat zuletzt Finanzminister Peer Steinbrück bewiesen). Die SPD sollte sich also auch von diesem Dogma lösen: Wenn die Union behauptet, sie könne alle innenpolitischen Reformen, die sie im Wahlkampf versprochen hat, ohne Steuererhöhungen finanzieren, dann sollte die SPD so klug sein, ihr den Finanzminister zu überlassen. Denn der muss letztendlich die Quadratur des Kreises bewerkstelligen und beweisen, dass es wirklich ohne Steuererhöhungen geht.

Große Koalition verteilt Posten schon im Bundestagspräsidium


Und noch ein Gerücht hält sich hartnäckig: Das Gerücht, dass über Personalien erst am Ende der Verhandlungen geredet wird. Schon bei der Konstituierung des Bundestages konnte man gestern sehen, dass das nicht stimmt. Hier wurden zum ersten Mal nach groß-koalitionärer Logik Posten verteilt. Zwei Vizepräsidenten für die Union, zwei für die SPD – Augenhöhe! 

Aber es ging gar nicht um Augenhöhe. Die Postenvermehrung war auch nötig, um die personell starken Landesverbände ­ Nordrhein-Westfalen, Bayern und Niedersachsen vorsorglich ruhig zu stellen. Bundestagspräsident Norbert Lammert und sein Vize Peter Hintze (beide CDU) kommen ebenso wie die SPD-Vizepräsidentin Ulla Schmidt aus Nordrhein-Westfalen, Edelgard Bulmahn (SPD) aus Niedersachsen, Johannes Singhammer (CSU) aus Bayern. Und man kann jetzt schon darauf wetten, dass deren Wahl ins Bundestagspräsidium bei der späteren Kabinettsbildung verrechnet werden wird.

Mit anderen Worten: Ein Landesverband, der vorab großzügig bedacht wurde, wird sich später bei der Regierungsbildung mit weniger Posten zufrieden geben müssen. Offiziell wird das niemand zugeben – aber so läuft es eben hinter den Kulissen.

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