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Finanzpläne - Mehr Redlichkeit in der Großen Koalition!

Ein Mindestlohn, aber keine Steuererhöhungen: Darauf werden die Koalitionsverhandlungen zwischen Union und SPD wohl hinauslaufen. Doch die Frage, wie das finanziert werden soll, bleibt offen

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Christoph Schwennicke war bis 2020 Chefredakteur des Magazins Cicero.

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Als sich die Union und die SPD das letzte Mal zu einer Koalition zusammentaten und ihre Wünsch-dir-was-Kataloge fusionierten, da wurden aus zwei Prozentpunkten mehr Mehrwertsteuer (Union) und null Prozentpunkten mehr Mehrwertsteuer (SPD) am Ende drei Prozentpunkte. Politische Bescherungen haben ihren Preis. Allein deshalb ist höchste Vorsicht geboten, wenn die beiden Volksparteien sich in den kommenden Wochen wieder auf eine gemeinsame Linie für die nächsten vier Jahre verständigen.

Bisher sieht es so aus, als würde aus beiden Wunschwelten die beste aller realen Welten herauskommen. Ein flächendeckender Mindestlohn von 8,50 Euro wird eingeführt – aktuellen Umfragen zufolge ein Wunsch einer überwältigenden Mehrheit im Land, und schön für all jene, die derzeit noch für 6,50 die Stunde in einem Taxi sitzen, für das ihnen der Chef in der Frühschicht den Zündschlüssel gegeben hat.

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Und Steuererhöhungen für Besserverdienende sollen nicht kommen – schön für all jene, die schon fürchteten, dass ihre Jahreseinkommen von 100.000 Euro oder mehr bald nicht mehr hinreichen könnten für den wöchentlichen Edel-Sushi-Abend mit Gattin und rundum versorgtem iPhone-Töchterlein sowie das Tenniscamp auf Fuerteventura in den Herbstferien.

Es braucht mehr Redlichkeit


Taxifahrer und Besserverdiener im Glück vereint, wunderbare Groko, was will man mehr?

Mehr Redlichkeit zum Beispiel. Und mehr Realitätssinn. Angela Merkel und Sigmar Gabriel sind dabei, es sich in ihrem gemeinsamen Wohnzimmer der Großen Koalition behaglich einzurichten. Aber für diese politische Wohligkeit wird es eine Rechnung geben, die bezahlt werden muss.

Von uns allen.

Vorweg: Ich halte die Einführung eines flächendeckenden Mindestlohns für überfällig. Es gibt eine Untergrenze, die allein schon die eine Stunde Lebenszeit vergelten muss, die der Beschäftigte für seine Arbeit drangibt, wie gering qualifiziert diese auch immer sein mag.

Aber: Alle müssen wissen, dass die 8,50 Euro ihren Preis haben werden – für alle. Beim Friseur, im Restaurant, im Taxi. Diese Dienstleistungen werden teurer werden, auch das gehört zur Wahrheit. Zum Haareschneiden, Mittagessen und Taxifahren reist niemand nach China oder nach Bangladesch.

Und noch mehr Realitätssinn sollte man walten lassen eingedenk der Ansage, dass von einer schwarz-roten Bundesregierung keine Steuern erhöht würden. Vorweg: Auch als Angehöriger der Zielgruppe eines höheren Spitzensteuersatzes kann man zu der Auffassung gelangen, diese Maßnahme wäre strukturell richtig – auch wenn sie individuell schmerzt.

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Aber unabhängig davon, ob man diese Einstellung teilt oder nicht: Keiner sollte glauben, dass die Große Koalition nicht dennoch zulangen werden wird im Verlauf der nächsten vier Jahre. In Deutschland gibt es bekanntlich neben den Steuern auch Abgaben. Und wenn die Steuern nicht erhöht werden, dann langt die Regierung eben bei den Abgaben zu. Wobei es für die meisten Arbeitnehmer auf dasselbe hinausläuft. Steuern wie Abgaben werden direkt vom Lohn oder Gehalt abgezogen. Durch das Überlaufventil namens „versicherungsfremde Leistungen“ sind die beiden Geldbecken des Staates ohnehin miteinander verbunden.

Erhöht werden die Lohnnebenkosten


Tatsache wird also sein: Wenn die Regierung die Steuern nicht anheben will, aber zum Beispiel die Pflege in Deutschland auf finanziell solidere Füße stellen möchte, dann muss sie sich das Geld von seinen Bürgern woanders holen. Also wird der Beitrag zur Pflegeversicherung angehoben. Erhöht werden nicht die Steuern, sondern die Lohnnebenkosten. Aber die werden ebenso in Euro und Cent abgerechnet. Und es gehört nicht viel Fantasie dazu, um von der Erhöhung der Renten auf die Erhöhung der Rentenversicherungsbeiträge zu schließen.

Deshalb gilt: Solange die beiden Koalitionäre nur ihre beiden Wohltaten zusammenschmeißen und die Zumutungen weglassen, gibt es keinen Grund, Vorschusslorbeeren zu verteilen. Bislang reden CDU, CSU und SPD nur über den kleinsten gemeinsamen Wohlfühlnenner.

Interessant und spannend wird es dann, wenn sich Schwarz und Rot darauf verständigen müssen, wo Geld für Leistungen eingespart werden kann, um es an anderer Stelle zur Verfügung zu haben. Und da ist der größte Posten bekanntlich der Etat des Arbeits- und Sozialministers. Nicht jeder Euro, der im Namen des Sozialstaates ausgegeben wird, erfüllt seinen Zweck. Aber die Kürzung von Sozialleistungen will die SPD nicht akzeptieren. Sollte die SPD, sollte persönlich Parteichef Sigmar Gabriel dieses Amt in der nächsten Bundesregierung übernehmen – und danach sieht es aus –, beginnt genau dann der große Tanz auf den Eiern.

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