Silvesterausschreitungen in Berlin - „Über die Aggressivität und Gewaltbereitschaft geschockt“

In Berlin kam es in der Silvesternacht zu brutalen Ausschreitungen: Attacken mit Sprengstoff auf Polizisten, brennende Straßenbarrikaden, Übergriffe auf die Feuerwehr. Die Politik zeigt sich entsetzt, doch sie hat diese Verhältnisse selbst mit herbeigeführt. Deswegen werden die Ursachen der Gewalt lieber gar nicht erst benannt.

Ausgebrannter Reisebus in Berlin während der Silvesternacht / dpa
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Alexander Marguier ist Chefredakteur von Cicero.

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Wenn in Berlin Silvester „gefeiert“ wird, dann weiß die Polizei schon im Voraus, dass die Feierlichkeiten die Anmutung eines Bürgerkriegs annehmen könnten – zumindest in einigen Stadtteilen. Was natürlich nichts mit der jeweiligen Bewohnerschaft zu tun hat, weil die Rituale zum Jahreswechsel offenbar seit Jahrhunderten fest in die Traditionen der unterschiedlichen Bezirke eingeschrieben sind: Während in Niederschönhausen das Bleigießen oder der Heringssalat dazu gehören mögen, ist es in Neukölln eben der gepflegte Beschuss von Einsatzkräften der Feuerwehr mit allerlei Pyrotechnik.

Die Welt ist bunt, Berlin zumal, und sollte es hier oder dort etwas bunter zugehen als anderswo, dann ist das alles zunächst einmal Ausdruck einer gewachsenen Diversität – und insofern begrüßenswert aus Sicht einer Politik, die existierende Probleme beschweigt, um gleichzeitig die Polizei dazu zu vergattern, Täterbeschreibungen möglichst unspezifisch zu formulieren, weil bestimmte äußere Eigenschaften ohnehin nur soziale Konstrukte seien.

Brennende Straßenbarrikaden in Kreuzberg

Einigkeit scheint beim Spitzenpersonal der rot-rot-grünen Hauptstadtregierung immerhin dahingehend zu bestehen, dass die Bilanz der jüngsten Silvesternacht nicht ebenfalls konstruiert wurde, sondern den hässlichen Tatsachen entsprach. Als da wären: Einsatzkräfte mit illegalen Kugelbomben angegriffen; brennende Straßenbarrikaden in Kreuzberg; Feuerwehrleute so lange mit Böllern beschossen, bis diese Polizeischutz bekamen; ein in Flammen stehender Reisebus in Neukölln; immer wieder der gezielte Missbrauch von Silvesterraketen als Waffen gegen Ordnungshüter. Und so weiter und so fort.

„Selbst erfahrene Einsatzkräfte waren über die Aggressivität und Gewaltbereitschaft durch zum Teil vermummte Gruppen geschockt“, so das Fazit des Berliner Feuerwehrchefs nach der „ereignisreichsten Nacht des Jahres“. Die deutsche Hauptstadt hat ihrem Ruf als chaotische Metropole mal wieder voll und ganz Genüge getan und die Erwartungen diesmal sogar übererfüllt. Da kann man nur gratulieren.

 

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Und weil sich die Gewaltexzesse auf den Straßen Berlins diesmal leider nicht komplett unter den Asphalt kehren lassen, weil die Bambule selbst für ansonsten berufsblinde Kommunalpolitiker und deren Wählerschaft nicht zu übersehen oder zu überhören war, zeigt sich die Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey (SPD) „zutiefst erschüttert“ über das Ausmaß an Zerstörung und fordert gemeinsam mit ihrer grünen Verkehrssenatorin Bettina Jarasch eine Ausweitung der Böllerverbotszonen.

Für das ihnen anvertraute Gemeinwesen ist das eine Drohung von nachgerade ultimativer Qualität: Der Rechtsstaat fährt seine Klauen aus und untersagt demnächst womöglich sogar Pyro-Riots am Hermannplatz. Das ortsansässige feuerwerksaffine Milieu dürfte sich zwar diskriminiert fühlen, aber Sicherheit geht vor.

Berlins Kultursenator Klaus Lederer von der Linken plädiert gar für ein bundesweites Böllerverkaufsverbot, weil die Proliferation von Silvesterkrachern aus Bayern oder Baden-Württemberg in die deutsche Hauptstadt ein nach wie vor ungelöstes Problem zu sein scheint. Höchste Zeit, dass die Politik durchgreift und der ganzen Bundesbevölkerung das Knallen verbietet, weil in Kreuzberg auf „inakzeptable“ Weise (Jarasch) Polizisten damit attackiert wurden.

Soziale Totalverwahrlosung

Auf die Idee, dass die Gewaltfestspiele in manchen Berliner Kiezen weniger mit dem Material als mit der Gesinnung und sozialen Totalverwahrlosung derer zu tun haben, die Böller gezielt auf Feuerwehrleute werfen und Polizisten mit Raketen unter Beschuss nehmen, kommt in diesem Senat der politischen Rohrkrepierer natürlich niemand.

Es fällt ja jetzt schon schwer genug, Argumente dafür zu finden, warum die Zerstörungswut der Antifa-Linken zum 1. Mai regelmäßig als rustikal-folkloristisches Event halboffiziell hochgehalten wird (bis zuletzt unter reger Teilnahme der Grünen-Ikone Hans-Christian Ströbele), während der nahöstlichen Partyszene der Spaß am Feiern genommen werden soll. Jeder Jeck ist anders, und ausgerechnet in Berlin reagiert man plötzlich mit (gespieltem) Entsetzen, weil die Polizei ihre Arbeit unter Einsatz von Leib und Leben tun muss?

Das ist schon deswegen verlogen, weil dieselben Politiker, die ihre als Fassungslosigkeit verbrämte Ignoranz jetzt auf Twitter herausblöken, sonst gar nicht genug tun können, um die Staatsgewalt und ihre ausführenden Kräfte in Verruf zu bringen. Was Giffey, Jarasch oder Lederer in Reaktion auf die jüngste Silvesternacht an hilflosem Gestammel aufbieten, ist Ausdruck einer politischen Verantwortungslosigkeit, die in Berlin als Lifestyle gefeiert wird.

Grassierende Verantwortungslosigkeit

Das zeigt sich übrigens auch im Umgang mit den vergeigten Wahlen zum Abgeordnetenhaus und den Bezirksparlamenten, die in knapp sechs Wochen aufgrund himmelschreiender Inkompetenz einer amateurhaften Landesregierung wiederholt werden müssen. Bis zum heutigen Tag weigern sich Giffey oder der (inzwischen ins Bauressort gewechselte) damalige Innensenator Andreas Geisel, auch nur die geringsten Konsequenzen aus diesem Desaster zu ziehen – zumindest für sich persönlich.

Es ist ein Elend, und die Aufarbeitung der bürgerkriegsähnlichen Silvesternacht wird nach demselben Muster verlaufen: Keiner kann etwas dafür, wenn in der überforderten Hauptstadt mal wieder alles aus dem Ruder läuft. Hauptsache, das rot-rot-grüne Wolkenkuckucksheim bleibt unangetastet. Beim nächsten Mal einfach die Böllerverbotszonen ausweiten, und dann herrscht der ewige Frieden. In einer funktionierenden Demokratie würde ein derart dilettierender Senat wie dieser schlicht abgewählt. In Berlin dagegen werden auch Straßenkämpfe unmittelbar vor der vom Verfassungsgerichtshof verordneten Wahlwiederholung nichts an den bestehenden Verhältnissen ändern.

Vorausgesetzt, dass es diesmal mit dem Urnengang wenigstens organisatorisch klappt, dürfte spätestens am Abend des 12. Februar feststehen: Berlin hat exakt die Regierung, die es verdient. Die Ansage an den Rest der Republik lautet damit sinngemäß: Wir können es hier nicht nur nicht besser – wir wollen es auch gar nicht. Böllerverbotszonen natürlich ausgenommen.

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