Ministerien legen Eckpunkte für „Selbstbestimmungsgesetz“ vor - Trans: Über die Normalisierung des Unnormalen

Die Bundesregierung hat Eckpunkte für ein „Selbstbestimmungsgesetz“ vorgelegt, welches das bisherige Transsexuellengesetz ersetzen soll. Um diese Thematik ist ein gefährlicher Kulturkampf entstanden, der dem Anliegen nicht gerecht wird. Zwischen Pathologisierung und einer ideologisch-motivierten „Normalisierung“ braucht es mehr Differenzierungen. Entstanden ist aber ein gesellschaftspolitischer Scheinriese, der den Betroffenen nicht immer hilft, Kinder und Jugendliche verunsichern kann und eine gesellschaftspolitische Polarisierung erzeugt. 

Familienministerin Lisa Paus zusammen mit Aktivisten vor der Bundespressekonferenz. /dpa
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Volker Resing leitet das Ressort Berliner Republik bei Cicero. Er ist Spezialist für Kirchenfragen und für die Unionsparteien. Von ihm erschien im Herder-Verlag „Die Kanzlermaschine – Wie die CDU funktioniert“.

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Das Wort „Normalität“ spricht der Bundesjustizminister in Stakkato aus. „Wir sorgen ein Stück weit für Normalität“, sagt Marco Buschmann (FDP) vor der Bundespressekonferenz bei der Vorstellung der Eckpunkte für ein „Selbstbestimmungsgesetz“ zusammen mit Familienministerin Lisa Paus (Grüne). Das ist eigentlich verblüffend. Wird doch sonst bei allen Fragen nach der geschlechtlichen Identität und der sexuellen Selbstbestimmung gerade die Anerkennung von Abweichung eingefordert. Normativität hat doch an sich für einige inzwischen einen freiheitseinschränkenden Geschmack. Also bitte nicht so harmlos und „normal“ tun, liebe Ampel.

„Normal“ soll im alltagssprachlichen Sinne – für Buschmann – das bislang Unnormale werden, nämlich der Wechsel des Geschlechts. Die Ampelregierung will mit dem Selbstbestimmungesetz eine Änderung des Vornamens und des so genannten Personenstandes erheblich erleichtern, also normalisieren. Der Wechsel der amtlichen Geschlechtszuordnung solle so einfach werden „wie die Verlängerung des Reisepasses“, oder sogar noch einfacher, sagt Buschmann heute vor Journalisten, denn „man braucht ja kein Passfoto“. 

Für Über-18-Jährige soll gelten: Eine Erklärung vor dem Standesamt genügt und Mann wird Frau oder Frau wird Mann. Äußerliche körperliche Merkmale, Kennzeichen oder auch nur Begründungen sind für den Geschlechtswechsel völlig unerheblich, es sei lediglich ein Willensakt. Das Standesamt müsse lediglich prüfen, ob es ernst gemeint sei, das sei aber auch bei anderen Erklärungen vor dem Amt so. Nichts Neues im Staate Deutschland. „Wer besoffen ist, den schickt der Standesbeamte nach Hause“, so Buschmann. Eine Sperrfrist von zwölf Monaten soll Missbrauch verhindern. Ein Geschlechts-Ping-Pong, wie es Buschmann nannte, sei nicht zu erwarten. „Man macht das nicht aus Jux und Dollerei“, glaubt der Minister.

Gegen die Diskriminierung von Trans-Personen 

Bisher gilt das Transsexuellengesetz aus dem Jahre 1981. Dies sei „seit mindestens 20 Jahren reformbedürftig“, so Justiz- und Familienministerium. Bislang seien inter- und transsexuelle Menschen häufig Diskriminierungen ausgesetzt gewesen, erklärt Ministerin Paus. Nur mit erheblichem Aufwand und unwürdigen Verwaltungsprozeduren und zwei Gutachten sei es möglich gewesen, seinen Vornamen zu ändern und den Eintrag seines Geschlechts zu wechseln. Diese Pathologisierung der betroffenen Menschen sei „menschenverachtend und entwürdigend“ gewesen. Die vorliegenden Eckpunkte und die daraus sich ergebende Gesetzgebung beträfe nicht die Regelung von körperlichen Veränderungen, einer medizinischen geschlechtlichen Transition, sondern vielmehr lediglich den Eintrag im Personenstandsregister, also eine „soziale Transition“, wie derlei im Fachjargon heißt.

Doch warum redet Buschmann das Vorhaben klein? Warum betont er diese Normalität, die es längst gäbe, die nur jetzt gesetzlich umgesetzt würde. Es ist eine beunruhigende zwiespältige politische Kommunikation, die einerseits die Größe des Projekts schrumpft, gar unnötige Aufregung konstatiert, wie es Buschmann gestern tat, und andererseits den Befreiungsakt nicht groß genug bejubeln kann. Es wird von dem großen Freiheitsversprechen unserer Gesellschaft geschwärmt, das nun ein Stück weiter Realität werde. Tatsächlich wird durch diese Doppelargumentation eine gesellschaftliche Debatte vermieden. Denn die allerwenigsten Menschen sind für die Diskriminierung von Minderheiten und kaum jemand hat etwas gegen die „Normalität“ unserer freien Gesellschaft. Das vorliegende Eckpunktepapier aber verdient kontroverse Debatte und keine Verharmlosung der Materie. Das gilt insbesondere bei den Regelungen, die die Regierung für Kinder und Jugendliche vorsieht. 

 

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Geschlechtswechsel ab 14 Jahren

Ab dem 14. Lebensjahr soll jeder Jugendliche künftig seine geschlechtliche Identität unabhängig von biologischen Gegebenheiten frei wählen können. Stimmen die Eltern dem nicht zu, kann das Familiengericht entscheiden. Wir ahnen es schon, der Bundesjustizminister hält das für total normal. Schon heute gebe es Konflikte zwischen Eltern und Kindern, die im schlimmsten Fall vor Gericht landeten. Bei den meisten Familien sei es aber glücklicherweise so, dass man sich bei Streit ohne Gericht einigen würde.

Warum aber soll die geschlechtliche Identität vor dem 18. Lebensjahr änderbar sein, wo doch gerade in der Phase der Pubertät häufig von einer festen und dauerhaften Entscheidung noch nicht auszugehen sei? Auf die Frage gab es heute keine befriedigende Antwort von Paus und Buschmann. Sexuelle Selbstbestimmung beginne eben nicht mit dem 18. Lebensjahr. Der Justizminister erläuterte das Phänomen mit dem schlichten Satz, dass es eben passiere, dass die geschlechtliche Identität vom biologischen Geschlecht abweiche. Dieses biologische Geschlecht werde, so heißt es in einem erläuternden Text, bei der Geburt beurkundet, „in der Regel nach den Genitalien“. Ob dies also durch die Eltern schon vor dem 14. Lebensjahr geändert werden könne, blieb unklar.

Den heiklen Punkt der medizinischen und chirurgischen Eingriffe umschifften die Ministerin und Minister. Dies sei nicht Teil dieses Gesetzesvorhabens. Zu diesen Fragen müsse Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) noch etwas vorlegen. Buschmann versuchte auch die Aufregung zu dämpfen. Nach bisheriger ärztlicher Praxis seien Geschlechtsumwandlungen vor dem 18. Lebensjahr nicht angeraten. Zu den sogenannten Pubertätsblockern, die ja gerade nur bei Jugendlichen Sinn machen, äußerte er sich nicht. Wenn aber nun amtliche Geschlechtsänderungen für Jugendliche möglich sind, wie bitte soll die Argumentation dann laufen, wenn es darum geht, irreversible medizinische Eingriffe zu reglementieren? Warum auch hier keine offene Debatte?

Grenzen der Gleichberechtigung?

Schließlich wird Ministerin Paus auf das Problem angesprochen, dass Frauen sich unwohl fühlen könnten, wenn etwa in Umkleidekabinen von Fitnessstudios Transfrauen auftauchen, die aber optisch als Männer zu erkennen wären. Auch etwa bei der Frauenquote oder beim Sport könnte es Probleme mit Transpersonen geben. „Transfrauen sind Frauen“, lautete die knappe Antwort. Deshalb sehe sie da keinen weiteren „Erörterungsbedarf“. Tatsächlich seien auch mit diesem Gesetz nicht alle Fragen der Gleichberechtigung geklärt, räumte sie ein. Und ob sie denn konkrete Lösungsvorschläge habe, wurde sie gefragt. „Nein“, so die Antwort.

Das hohe Pathos von Buschmann und Paus läuft ins Leere, wenn die Gesellschaftspolitik wie hier beim „Selbstbestimmungsgesetz“ in großen Symbolen verharrt und Konsequenzen für eben doch radikale Veränderungen und Neuerungen überhaupt nicht anerkannt und nicht reflektiert werden. Der Geschlechterwechsel ist nicht harmlos, das wissen auch die wirklich Betroffenen. Kann eine Politik also dem Problem gerecht werden, die eine „Normalität“ herbeiredet, die es im menschlichen Leben biologisch, lebenspraktisch und wahrscheinlich auch kulturell so nie völlig geben wird?

Vielleicht muss das Transsexuellengesetz abgeschafft werden, vielleicht waren die Hürden für einen Geschlechtswechsel für erwachsene Betroffene bislang zu hoch. Ein Massenphänomen wird es ohnehin nie werden, das beteuern auch Paus und Buschmann. Vielleicht aber gibt es zwischen Pathologisierung und einer ideologisch-motivierten „Normalisierung“ noch Differenzierungen und Mittelwege, die den Betroffenen helfen, anstatt das Ganze nur mit einem modischen Freiheits- und Befreiungsdiskurs aufzublasen. Entstanden ist bei der Trans-Thematik ein gesellschaftspolitischer Scheinriese, der den Betroffenen eben nicht immer hilft, Kinder und Jugendliche verunsichern kann und teilweise verführt und eine gesellschaftspolitische Polarisierung erzeugt, die nicht der „Normalität“ nützt, sondern Extremisten an allen Ufern. 

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