Sahra Wagenknecht kündigt Parteigründung an - Populismus mit menschlichem Antlitz

Das „Bündnis Sahra Wagenknecht – für Vernunft und Gerechtigkeit“ will im Januar eine Partei gründen. Welche Folgen hat das? Die Namensgeberin gibt sich handzahm und wirtschaftsfreundlich. Eine Regierungsbeteiligung in Sachsen und Thüringen schließt sie nicht aus.

An Selbstbewusstsein mangelt es nicht: Vereinsvorsitzende Mohamed Ali und Namensgeberin Wagenknecht / dpa
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Volker Resing leitet das Ressort Berliner Republik bei Cicero. Er ist Spezialist für Kirchenfragen und für die Unionsparteien. Von ihm erschien im Herder-Verlag „Die Kanzlermaschine – Wie die CDU funktioniert“.

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Die „Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft“ (INSM) hatte sich neben dem Haus der Bundespressekonferenz aufgestellt, um an diesem Morgen gegen die Gründung der neuen Wagenknecht-Partei zu demonstrieren. „Gründet Firmen, nicht Parteien“, stand auf dem Plakat. Doch gegen die umarmende Geste von Sahra Wagenknecht und ihren einst linken Mitstreitern kam selbst die Lobby-Organisation der deutschen Wirtschaft heute nicht recht an. Der einstige Star der Linkspartei macht sich nun – mit großem Bahnhof – politisch selbstständig. Heute wurde der Verein vorgestellt, der im Januar zur Parteigründung führen soll.

„Bündnis Sahra Wagenknecht – Für Vernunft und Gerechtigkeit“, so lautet der Name des Projekts. Und der Aufschlag mutete inhaltlich fast harmlos an, alle sollen glücklich werden. Wagenknecht plädierte für eine „gerechte Leistungsgesellschaft“, Mittelstand und Industrie müssten gestärkt werden. Sagt das so ähnlich nicht die INSM auch? Statt Leistung zu belohnen, werde von den Fleißigen nach oben umverteilt, heißt es im ersten inhaltlichen Skript des Wagenknecht-Bündnisses, das gestern verteilt wurde. Und die Erbschaftssteuer, die sie planten, würde selbst den Villenbesitzer in Münchens Umland nicht unbedingt treffen. Jeder soll sich angesprochen fühlen, erklärte die Namensgeberin, frustrierte Ampel-Wähler und sogar Unions-Anhänger seien willkommen. Auch wolle sie verhindern, dass Wähler aus Frust zur AfD gingen. Und bei ihr habe sich schon ein CSU-Mann gemeldet und Unterstützung signalisiert, berichtet sie.

An Wagenknechts Seite saßen heute allerdings fast nur Ex-Linke. Die frühere Linken-Fraktionschefin Amira Mohamed Ali erklärte auf der Pressekonferenz ihren Parteiaustritt aus der Linken, ebenso wie Fraktionskollege Christian Leye, Wagenknecht selbst und sieben weitere Linken-Abgeordnete. Damit endet ein jahrelanger innerparteilicher Kampf. Die Folgen sind noch nicht absehbar. Zunächst haben die Abtrünnigen beantragt, in der Bundestagsfraktion zu bleiben. Dies würde verhindern, dass die Linksfraktion kurzfristig ihren Fraktionsstatus und damit erhebliche staatliche Zuschüsse und parlamentarische Rechte verliert. Der Vorsitzende der Linksfraktion im Bundestag, Dietmar Bartsch, erklärte dazu heute: „Unsere Fraktion wird souverän und in großer Ruhe darüber entscheiden.“ Den Schritt der zehn Abgeordneten nannte er „unverantwortlich und inakzeptabel“.

Wagenknecht war bemüht, allem die Spitze zu nehmen

Wagenknecht erklärte, mit dem neuen Bündnis solle eine Lücke im Parteienspektrum geschlossen werden. Während die Linkspartei in die politische Bedeutungslosigkeit abrutsche, fühle sich „eine Mehrheit der Wähler politisch heimatlos“. Sie habe für eine andere programmatische Ausrichtung ihrer Partei gekämpft, habe sich nicht durchsetzen können, deswegen wolle sie nun einen Neustart. Wo aber ist die Lücke, die sie schließen will: neben der AfD, neben der Linkspartei, neben der Mitte? Es hat den Anschein, dass Wagenknecht überall dazwischengehen will. Ihr Auftritt heute zeigte einen größeren Anspruch, der vor allem auch auf ein irgendwie klassisch sozialdemokratisches Wählerspektrum zielt. Dazu hat sie zu brisanten Streitthemen versuchsweise mildere Töne angeschlagen.

Wagenknecht wehrte sich dagegen, dass man ihr eine Nähe zu Russlands Präsident Wladimir Putin unterstellt. Die bisherige Sanktionspolitik gegenüber Russland sei aber wirkungslos und schade der Wirtschaft. Deutschland brauche günstige Energie. Derzeit würde über Indien russisches Öl importiert, das nur teurer sei und die politische Wirkung der Sanktionen auch noch unterlaufe. Was bedeutet das? Was für Folgen hat das für die Ukraine? Wagenknecht erklärt, sie wolle mehr europäisches Selbstbewusstsein auch gegenüber den USA. Zugleich wünscht sie sich mehr europäische Kooperation, ein Zusammenwachsen (Schüleraustausch), aber weniger „Brüssel“, weniger Zentralismus und weniger Macht für die Europäische Kommission. Bei Wagenknecht hört sich das dann immer ganz einfach und plausibel an.

 

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Wagenknecht spart Zuspitzungen aus und belässt es bei politsicher Lyrik. In der internationalen Politik brauche es mehr Diplomatie und Vermittlung. „Die Lösung von Konflikten mit militärischen Mitteln lehnen wir grundsätzlich ab.“ Der harmlose Satz aus dem Programm birgt dann eben doch Sprengstoff, wenn man angegriffen oder überfallen wird. Doch Wagenknecht war bemüht, allem die Spitze zu nehmen.

Zur aktuellen Lage in Israel und im Gazastreifen erklärte Wagenknecht zunächst, dass sie die „barbarischen Angriffe der Hamas-Terroristen“ auf Israel verurteile und dass Israel ein Recht zur Verteidigung habe. Gaza bezeichnete sie dann als „Freiluftgefängnis“, sparte aber eine direkte Schuldzuweisung an Israel aus. Vielmehr beklagte sie, dass die israelische Regierung eine Zweistaatenlösung nicht genug vorantreibe. Sagt das Außenministerin Baerbock nicht auch irgendwie so ähnlich?

Im Juni bei der Europawahl will man bereits antreten

Wagenknecht erweist sich einmal mehr als eine Meisterin im Aufspüren der vermeintlichen politischen Erfolgsfährte, die vorbei an allem vermeintlichen Mainstream zu „Vernunft und Erfolg“ führen soll. Doch dabei wandelt sie gekonnt durch das politische Unterholz, offenbar ohne sich schmutzig zu machen. Wagenknecht erfindet einen Populismus mit menschlichem Antlitz. Das Ergebnis ist dann so etwas wie ein politisches Traumwunderland: eine AfD ohne Rechtsextreme, eine FDP ohne kalten Kapitalismus, eine Sozialdemokratie ohne Sachzwänge und eine CDU ohne die Mühen der Ebene. Wie heißt es in dem politischen Programm so verheißungsvoll: „Unser Ziel ist eine Gesellschaft, in der das Gemeinwohl höher steht als egoistische Interessen und in der nicht Trickser und Spieler gewinnen, sondern diejenigen, die sich anstrengen und gute, ehrliche und solide Arbeit leisten.“

Bislang ist das „Bündnis Wagenknecht“ noch ein Verein. Im Januar solle dann die Parteigründung erfolgen. Man wolle langsam wachsen, wisse um die Gefahren, die es bei Parteineugründungen gebe, so Wagenknecht. Im Juni bei der Europawahl plane man bereits anzutreten. Ob sie selbst bei der Europawahl kandidieren wolle, ließ sie noch offen.

Vorsitzende des Vereins ist Mohamed Ali, nicht die Namensgeberin. Ziel sei es ebenfalls, bei den Wahlen in Sachsen, Thüringen und Brandenburg  dabei zu sein. Doch Wagenknecht erklärte, dies sei noch nicht entschieden und hänge davon ab, wie gut die Gründung von Landesverbänden voranschreite. Es sei qualifiziertes Personal nötig, so sagte sie vor zahlreichen Kameras, denn wenn es zu einer Regierungsbeteiligung käme, müsse man auch gut aufgestellt sein. An Selbstbewusstsein mangelt es ihr und ihren Mitstreitern nicht.

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