Räumung von Lützerath - Die Grünen sind eine gespaltene Partei

Federführend beim RWE-Deal, der zur Räumung des Dorfes Lützerath führt, waren zwei grüne Politiker: Robert Habeck und Mona Neubaur. Das ändert nichts daran, dass viele Grüne dennoch auf der Seite der Blockierer und Demonstranten stehen.

In Lützerath wird eine Klimaaktivisten von Polizisten weggetragen / dpa
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Dr. Hugo Müller-Vogg arbeitet als Publizist in Berlin. Er veröffentlichte zahlreiche Bücher zu politischen und wirtschaftlichen Fragen, darunter einen Interviewband mit Angela Merkel. Der gebürtige Mannheimer war von 1988 bis 2001 Mitherausgeber der Frankfurter Allgemeinen Zeitung.

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Wie immer man zur Energiepolitik der Bundesregierung und der Landesregierung von Nordrhein-Westfalen stehen mag: Der Energiekonzern RWE hat das Recht, Braunkohle in Lützerath abzubauen. Das alles ist demokratisch legitimiert und juristisch durch mehrere Gerichtsbeschlüsse abgesichert. Federführend waren zwei grüne Politiker: Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck und seine nordrheinwestfälische Amtskollegin Mona Neubaur.

Man sollte also annehmen, die Grünen-Politiker dürften bei dem Deal – Abbau in Lützerath bei Vorziehen des Kohleausstiegs auf 2030 – wenigstens Rückendeckung von der eigenen Partei bekommen. Weit gefehlt. Vor Ort machen viele Grüne, allen voran die Grüne Jugend, gemeinsame Sache mit zahlreichen Umweltorganisationen sowie auf Krawall und Gewalt gebürsteten Linksextremisten. Dabei hatte sogar der Grünen-Parteitag im Oktober 2022 die Forderung der grünen Jugendorganisation nach einem Moratorium für Lützerath abgelehnt, wenn auch nur mit knapper Mehrheit. Doch eigentlich gilt in demokratischen Parteien der Grundsatz „Mehrheit ist Mehrheit“.

Eine gespaltene Partei

Nicht so bei den Grünen. Die Grünen sind eine gespaltene Partei. Die Front verläuft zwischen Regierungs-Grünen und Verteidigern der reinen grünen Lehre, also zwischen Realos und Fundis. Dabei fällt auf, dass aus der Bundestagsfraktion kaum jemand deutlich für Habeck Partei ergreift, wenn man von den Parteivorsitzenden Omid Nouripour und Ricarda Lang einmal absieht. Viele Abgeordneten sehen, dass an der Parteibasis in ihren Wahlkreisen viele mit Habecks Kurs, den Gasmangel auch im Widerspruch zur grünen Programmatik zu bekämpfen, nicht einverstanden sind. Mit denen wollen sie es sich nicht verderben. 
 

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Ebenso fürchten viele Grünen-Politiker, dass ihnen Teile der Umweltaktivisten von der Fahne gehen. Luisa Neubauer von „Fridays for Future“, selbst Parteimitglied der Grünen, macht aus der Entfremdung von Teilen der Umweltbewegung und den Grünen keinen Hehl. „Die Grünen machen einen großen Fehler“, schrieb sie auf Twitter. Das las sich wie eine Warnung und sollte wohl auch eine sein. Wenn am Sonntag Bundestagswahl wäre, ließe Neubauer wohl kaum ihre Aktivisten bundesweit als Wahlhelfer für die Öko-Partei aufmarschieren wie vor der Bundestagswahl 2021.

Die Grünen lassen ihre Minister Habeck und Neubaur mehr oder weniger allein. So eindeutig wie der Co-Bundessprecher der Grünen Jugend, Timon Dzienus, macht zwar kein Politiker aus der ersten Reihe Front gegen die eigenen Minister. Aber selbst Bundestagsvizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt bekundet auf Twitter ihre unverhohlene Sympathie für alle, die am Rand des rheinischen Braunkohlereviers verhindern oder zumindest verzögern wollen, was in rechtsstaatlich einwandfreien Verfahren beschlossen worden ist.

„Ich teile die Hartnäckigkeit, mit der die Demonstrierenden mehr Klimaschutz fordern,“ verkündete Göring-Eckardt am Mittwoch auf Twitter. Und: „Die Proteste in Lützerath weisen auf die Dringlichkeit hin, mit welcher wir den Kampf gegen die Klimakrise 2023 vorantreiben müssen.“ Natürlich fehlt nicht der pflichtschuldige Hinweis, der Protest dürfe sich nicht „durch unbedachte Aktionen delegitimieren.“ Als Göring-Eckhardt das schrieb, waren schon Barrikaden gebaut und nach Angaben der Polizei ein Molotow-Cocktail, Steine und Pyrotechnik in Richtung der Beamten geflogen. Das freilich ist genau das Gegenteil des von der Spitzen-Grünen geforderten „friedlichen Protests, hart in der Sache, ohne Gewalt in der Form“.

Das Bergrecht sei schuld

Göring-Eckart ist nicht die Einzige, die herumschwurbelt, um die Gegner Habecks in der eigenen Partei wie in den Umweltorganisationen ja nicht zu verprellen. Die Grünen-Bundestagsabgeordnete Kathrin Henneberger machte sich im „Morgenmagazin“ geradezu lächerlich, als sie Habeck und Neubaur kritisieren, aber nicht allzu deutlich werden wollte. Die ehemalige Pressesprecherin der gewaltbereiten Organisation „Ende Gelände“ schwadronierte bei der Frage nach der Verantwortung der Grünen für die beschlossene Räumung von Lützerath hilflos herum: „Das liegt am Bergrecht. Das Bergrecht kennt die Klimakrise nicht.“ Und weiter: „Es liegt an RWE.“ 

Folgt man der Grünen-Abgeordneten, dann muss wohl „das Bergrecht“ den Vertrag mit RWE unterzeichnet haben. Jedenfalls wich sie der Frage des Moderators zur Rolle Habecks aus: „Das wurde dort ausgehandelt, aber ich finde es immer viel zu einfach, nur auf die Grünen raufzuhauen. Weil wir haben ein gesamtes Problem.“

Ein Problem hat die Grüne offensichtlich bei der Frage, wie es in Lützerath weitergehen sollte. Henneberger, die nach eigenen Angaben als „parlamentarische Beobachtung“ vor Ort war, sagte auf die entsprechende Frage: „Was ich möchte ist, dass ein Innehalten passiert.“ Noch schwammiger geht’s wohl nicht. Immerhin fühlte sich die Politikerin bei den Demonstranten „natürlich willkommen“. Klar, aus deren Sicht ist jeder Habeck-Gegner ein guter Grüner.

Klare Leseempfehlung aus Bayern

Von den in Nordrhein-Westfalen mitregierenden Grünen bekommt die eigene Ministerin Neubaur ebenfalls keine große Unterstützung. Tim Achtermeyer, Co-Landessprecher, behauptet in einem siebenteiligen Tweet, die Grünen hätten die umkämpfte ehemalige Siedlung „nicht geopfert“, verschanzt sich hinter Gerichtsurteilen und gibt RWE die Hauptschuld. 

Wenn im „Fall Lützerath“ alles gerichtlich geklärt war, drängt sich natürlich die Frage auf, warum seine Ministerin und Habeck überhaupt mit RWE noch verhandelt haben. Dazu schweigt der Grüne, der unter anderem darauf hinweist, dass „Steine schmeißen und Molotow-Cocktails kein legitimes Mittel des zivilen Ungehorsams“ seien. Klare Kante gegenüber den gewaltbereiten und gewalttätigen Klima-Krawallos sähe anders aus. Katharina Schulze, Fraktionsvorsitzende der Grünen im Bayerischen Landtag, stimmte Achtermeyer dennoch auf Twitter zu und teilte seine Tweets mit nur einem einzigen englischen Wort: „this“. Klare Leseempfehlung, sollte das heißen. 

Habeck genießt wenigstens bei den beiden Bundesvorsitzenden seiner Parte mehr Rückhalt. Den hat er auch bitter nötig. Schließlich mutet er seiner eigenen Partei ungewöhnlich viel zu. Vor dem Kohleausstieg kommt der Wiedereinstieg bei der Kohle. Stillgelegte Kohlekraftwerke wurden reaktiviert, mehr Steinkohle wird importiert, der Braunkohletagebau ausgebaut. Zudem lässt ausgerechnet der grüne Klimaminister durch Fracking gewonnenes Flüssiggas importieren. Obendrein nahm er es ohne nennenswerte Gegenwehr hin, dass drei Atommeiler wenigstens bis April dieses Jahres weiterhin Strom produzieren dürfen. So viel Pragmatismus geht den meisten grünen Öko-Ideologen zu weit – Ukrainekrieg hin, Energiekrise her.

Joschka Fischer lässt grüßen

Habeck befindet sich in einer ähnlichen Lage wie Joschka Fischer zu Beginn der rot-grünen Regierungszeit 1998/99. Der grüne Außenminister brachte die Grünen im Bundestag dazu, den ersten Kampfeinsatz der Bundeswehr im Kosovo-Krieg mitzutragen. Die Parteibasis rebellierte, die den Grünen zugetanen pazifistischen Gruppierungen liefen dagegen Sturm, auf einem Parteitag flog Fischer ein Farbbeutel an den Kopf. 

Fischer setzte sich schließlich gegen die „Fundis“ in den eigenen Reihen durch, vertraute auf die Kraft des Faktischen. Auch Habeck scheint bereit zu sein, den Kampf durchzustehen. „Das tut weh“, sagte er mit Blick auf die eigene, in Lützerath demonstrierende Klientel. Aber er stellt auch klar: „Ich finde den Protest, wie er jetzt aufgesetzt wird, nicht richtig“. Auch wenn er dafür in seiner gespaltenen Partei keine Mehrheit bekommen dürfte. 
 

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