Rassismusvorwürfe gegen Kai Wegner - Mit Etiketten schwindeln und verschleiern

Böswillige Unterstellungen sind in der Politik immer unschön, aber längst geübte Praxis. Hanebüchene Rassismusvorwürfe werden heute aber so inflationär erhoben, dass man damit kaum mehr einen Blumentopf gewinnt. Auch in Berlin nicht.

Hat gut lachen – trotz hanebüchener Vorwürfe: Kai Wegner / picture alliance
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Autoreninfo

Ben Krischke ist Leiter Digitales bei Cicero, Mit-Herausgeber des Buches „Die Wokeness-Illusion“ und Mit-Autor des Buches „Der Selbstbetrug“ (Verlag Herder). Er lebt in München. 

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Es muss schier unerträglich sein. Da müht man sich tagtäglich ab, dem politischen Gegner eine böse Gesinnung zu unterstellen, aber irgendwie scheint das nicht mehr so richtig zu verfangen. Mal abgesehen von billigen Likes in den sozialen Medien vielleicht. „Glückwunsch zu einem rassistischen Regierenden Bürgermeister, Berlin“, twitterte jüngst ein gewisser Marvin Schuth, Sprecher der LAG Queer der Grünen in Nordrhein-Westfalen. In den sozialen Medien gibt es unzählige Beiträge wie diesen, in denen versucht wird, dem künftigen Regierenden Bürgermeister von Berlin Rassismus zu unterstellen, und seiner Partei, der CDU, gleich mit. 

Jeder halbwegs reflektierende Beobachter, der also nicht permanent zur Schnappatmung im politischen Meinungskampf neigt, erkennt mittlerweile gleichwohl auf den ersten Blick, dass dieser Vorwurf grober Unfug ist. Gibt es doch nicht einmal so etwas wie einen Mini-Verdacht, der sich auf Basis irgendwelcher konkreter Formulierungen Kai Wegners gegen ihn halbwegs begründet konstruieren ließe. Und die Sensibilität scheint zu wachsen, wann wirklich etwas dran ist an einem solchen Vorwurf – und wann nicht. 

Soziale Konflikte und Sicherheit

Man muss sich intellektuell daher arg verrenken, um den großen Begriff „Rassismus“ – der als Vorwurf alles andere als eine Lappalie ist – irgendwie aufzuladen, wenn es um Wegner geht. Ein schönes Beispiel hierfür lieferte eine taz-Redakteurin bereits Mitte Februar. Unter der Überschrift „Rassistische Rhetorik“ versuchte sie, der Berliner CDU zu unterstellen, sie würde „am rechten Rand fischen“. Und zwar so: „Der Berliner CDU-Chef Kai Wegner forderte im Wahlkampf vor allem mehr ‚Sicherheit‘ für die Stadt – statt sich den sozialen Konflikten zu stellen.“

Dass soziale Konflikte und Sicherheit zusammenhängen, der Gedanke ist ihr ebenso wenig gekommen wie jener, dass Sicherheit nach den Silvesterkrawallen in der Hauptstadt im Wahlkampf eben eines der ganz großen Themen war. Was an „Sicherheit“ überdies „rechts“ sein soll, blieb im Beitrag offen. Dafür wirft die Autorin dann CDU-Chef Friedrich Merz „rassistische Formeln“ vor, also Plural, um im Singular ein Beispiel zu bringen, das lächerlich ist: Merz spreche von „Ausland“, nicht von „Ausländern“ – und dann geht es plötzlich um das Kottbuser Tor: 

„Der CDU-Slogan zur „sicheren“ Stadt: „Ganz Berlin braucht die Polizei. Niemand diesen Senat.“ Gerade in Kreuzberg ist das unfassbar höhnisch, denn am Kottbusser Tor spricht sich die Kampagne „Kotti für alle“ seit Monaten dagegen aus, dass dort auf Wunsch der Innenministerin der SPD auf der Empore des Zentrum Kreuzberg eine Polizeiwache entsteht. Diese Woche eröffnet sie trotz aller Bedenken.“

„Hä?“, fragen Sie vielleicht. Der Autor dieser Zeilen auch. Die Innenministerin der SPD will eine Polizeiwache eröffnen, was die CDU irgendwie rassistisch machen soll, denn es spricht sich doch ein Bündnis dagegen aus? Da weiß man wirklich nicht, ob man lachen oder weinen soll, wenn derlei schräge Rassismusvorwürfe bierernst publiziert werden – und den Quatsch unter Umständen sogar noch jemand glaubt, zum Beispiel Tina und Malte von „Kotti für alle“. Oder Freunde der Jusos, die versuchten, in die gleiche Kerbe zu schlagen, um eine Großen Koalition in der Hauptstadt zu verhindern

Keine Antworten auf die drängenden Fragen

Um Logik geht es dabei aber auch nicht. Eingangs erwähnter Tweet, der taz-Artikel und die Proteste der Jusos sind nur drei anschauliche Beispiele für eine eingeübte Strategie, die sich bei vermeintlich Progressiven mit Hang zur Überdramatisierung großer Beliebtheit erfreut. Man schmeißt Rassismusvorwürfe in den Raum und hofft, dass schon irgendwas hängenbleiben wird. Das ist das eine.

Das andere ist, dass man sich dadurch einer Sachdiskussion, der man wahrscheinlich nicht standhalten würde, relativ einfach entziehen kann. Und damit auch der Gefahr, dass Menschen auf die Idee kommen könnten, dass der empörte Sender vor allem keine plausiblen Antworten liefern kann auf die wirklich drängenden Fragen unserer Zeit – und daher mit Etiketten schwindeln muss, um sich wenigstens ein bisschen besser, ein bisschen moralisch reiner als andere zu fühlen.  

Deshalb hielten gewisse Milieus der Empörungsrepublik Deutschland auch tagelang eine Debatte über die „kleine Paschas“-Aussage von Friedrich Merz am Laufen, statt sich ernsthaft mit den Realitäten in den deutschen Schulen auseinanderzusetzen. Denn dann würde man leider zu dem Ergebnis kommen, dass Merz möglicherweise nicht recht damit hatte, wie er etwas sagte, aber sehr wohl damit, was er sagte.

Nämlich, dass es an Respekt vor Lehrerinnen mangelt, wo viele schlecht erzogene Buben zur Schule gehen. Und dass es eher kontraproduktiv ist für den sozialen Frieden insgesamt, wenn man kleine Jungs zu kleinen Prinzen erzieht, statt ihnen sinnvolle Grenzen zu setzen, von denen am Ende alle profitieren würden: vom Kind über die Lehrkraft bis zur Gesamtgesellschaft, in die die kleinen Prinzen ja langfristig hineinwachsen sollen.  

Exakt das, was Merz sagt

Die inflationäre Anwendung von hanebüchenen Vorwürfen hilft auch dabei, zu verschleiern, dass die eigenen Konzepte, die man am Reißbrett entworfen hat, ebenfalls nicht funktionieren. Ein Beispiel: Ich habe einen guten Freund, der in München lange nach einer Kita für seine Tochter gesucht hat. Das Problem dabei war aber nicht nur, dass es an Kita-Plätzen insbesondere in den Großstädten einen akuten Mangel gibt. Sondern auch, dass er bei seiner Suche mit Kita-Konzepten konfrontiert wurde, in denen der Anspruch, Kinder müssten sich frei entfalten können, völlig ausartet.

Eine Struktur im Sinne eines halbwegs geregelten Tagesablaufs gibt es dann nicht mehr. Stattdessen schmeißt man jeden Morgen 60 Kinder in ein Gebäude, die dann tun und lassen sollen, was sie mögen – und nennt das „progressiv“ und „modern“. Bis hin zur akzeptierten Weigerung eines Kindes übrigens, mittags zu essen, wenn es beschließt, heute keinen Hunger zu haben. Dass die Kinder dadurch einen egozentrierten Knacks bekommen, den sie dann in die Schulen mitnehmen, scheint mir naheliegend. Die Frau dieses Freundes ist übrigens Lehrerin. Und die erzählt mir exakt das – und sie würde es auch Ihnen erzählen, wenn Sie sie danach fragen würden – was Merz sagte.
 

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Ja, sie würde es anders formulieren vielleicht als der CDU-Chef. Aber Kinder, die ihre Lehrkräfte beschimpfen, anderen Kindern Haarbüschel ausreißen, Stühle durchs Klassenzimmer werfen und Gleichaltrige „Hure“ nennen, um sie anschließend zu bespucken, sind halt das größere Problem als die Frage, wie man nun politisch korrekt wiedergibt, dass in vielen deutschen Klassenzimmern jeden Tag Krieg herrscht, während die politisch Verantwortlichen selbst lieber über „Inklusion“ reden. Nicht nur in Berlin. 

Will sagen: Reale Probleme bekommt man nicht in den Griff, wenn man Debatten nur ressentimentgeladen führt und nicht inhaltlich und realitätsbezogen. Weder die Probleme in deutschen Kitas und Klassenzimmern noch auf den Straßen Berlins. Und das ist vor allem für jene unschön, die tagtäglich ihren Kopf hinhalten müssen, weil gewisse Personen ihre nicht-funktionierende Symbolpolitik mit bösen Unterstellungen zu verteidigen versuchen, um sich nicht eingestehen zu müssen, dass ihre Vorstellungen von progressiver Politik weder mehrheitstauglich noch lösungsorientiert sind.  

Realitätsverzerrung und Unterstellungsdrang

Aber jetzt zur guten Nachricht: Realitätsverzerrung, Unterstellungsdrang und hanebüchene Rassismusvorwürfe mögen vielleicht auf Twitter und in deutschen Talkshows noch halbwegs funktionieren, sind aber bei der Mehrheit der Bevölkerung langfristig nicht anschlussfähig, weil die meisten Bürger nämlich deutlich vernünftiger und reflektierter sind als taz-Redakteur*innen und Queer-Sprecher*innen, die sich die eigene Utopie immer noch schönreden, obwohl dementsprechend passende Ansätze schlicht nicht funktionieren. Nirgends im Land. 

Ja, nicht einmal in einer Stadt wie Berlin können sich als „links“ bezeichnende Wokisten mittlerweile mehr richtig durchsetzen, weshalb die Hauptstadt künftig eben einen Regierenden Bürgermeister der CDU bekommt und nicht bis 2030 klimaneutral wird. Und die aktuellen Umfragen auf Bundesebene zeichnen ein ähnliches Bild, weil die Leute spätestens dann aufwachen, wenn gutgemeinte, weil der sozial-ökologischen Transformation dienliche Vorhaben ihre Sicherheit und ihren Wohlstand gefährden. Deshalb werden die Vorwürfe auch immer lauter und inflationärer. Deutsch-Wokistan steht mit dem Rücken zur Wand.

Keine Lust auf intellektuelle Tiefflieger

Kleine Anmerkung meinerseits: Restdeutschland würde es schon reichen, wenn unsereiner eine Hauptstadt hätte, für die man sich nicht schämen muss. Und schon gar nicht sind wir Nicht-Berliner bereit, dass ganz Deutschland zu Berlin wird. Da kann man einen Politikwechsel an der Spree eigentlich nur begrüßen – und auch, dass sich auf Bundesebene ebenfalls etwas bewegt.

Die Ampel, immerhin ein Bündnis aus gleich drei Parteien, würde Stand heute nicht einmal mehr eine Mehrheit im Bundestag bekommen, während sich die Grünen ihren Wunsch vom Kanzleramt – meine Prognose – für die kommenden Legislaturperioden abschminken können. Stabile irgendwas um die 18 Prozent laut aktuellen Umfragen sind schließlich ähnlich weit entfernt von einer parlamentarischen Mehrheit im Bundestag wie der Chiemsee von der Spree. Und zur Wahrheit gehört eben auch, dass irgendwas um die 82 Prozent der Deutschen nicht nur nicht die Grünen wählen, sondern auch immer weniger geneigt sind, das überhaupt in Betracht zu ziehen. Kilmawandel hin oder her.

Die sehr viel größere Mehrheit im Land hat wohl schlicht keine Lust (mehr), Leuten zu folgen, die sich selbst für besonders klug und aufgeklärt halten, aber über ihre Ideologie hinaus vor allem ziemlich ratlos sind. Ich bin überzeugt: In der Summe wollen die Menschen im Land daher echte Antworten auf echte Fragen und echte Probleme – und keine hyperventilierenden Unterstellungsschleudern, die ihnen permanent sagen, was sie über wen zu denken haben. Ob die Berliner GroKo diese Antworten für die Hauptstadt liefern kann, wird sich freilich noch zeigen müssen. 


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