Politik als Simulation - Erfolgreich habecken - jetzt erst recht!

Es läuft zwar derzeit nicht so gut für den Wirtschaftsminister. Aber der mediale Hype verstummt keineswegs - ist Robert Habeck der bessere Kanzler, kann er gar über Wasser gehen? Alle Probleme, alle Niederlagen scheinen hinter seiner breit zur Schau gestellten Diskursbereitschaft nebensächlich zu werden. Handelt es sich dabei lediglich um einen Habitus - oder muss man in dieser Strategie eine für die Demokratie bedenkliche Entwicklung sehen?

Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck als digitale Reproduktion / picture alliance
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Autoreninfo

Professor Dr. med. Matthias Schrappe ist Internist und war Vorstandvorsitzender der Universitäts-Klinik Marburg, Dekan und wiss. Geschäftsführer der Univ. Witten/Herdecke, Generalbevollmächtigter der Frankfurter Universitäts-Klinik, Dir. Institut Patientensicherheit Universität Bonn (in den Jahren 2002 bis 2011).

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Zuerst hört man nur den Motor, der Propeller rotiert immer schneller, und plötzlich erscheint ein Abbild des Propellers, als würde er stillstehen. So verhält es sich auch mit der öffentlichen Wahrnehmung von Bundeswirtschaftsminister und Vizekanzler Robert Habeck. Zu Beginn allseitige Vorfreude auf den Start in ungeahnte Höhen, die Aufmerksamkeitsspirale dreht sich immer schneller, und plötzlich ergibt sich ein unerwartetes Bild, das alle vorherigen Projektionen infrage stellt.

Gewiss hatte man schon zu Beginn gelegentlich den Verdacht, dass es sich bei der Habeck’schen Sympathie-Vereinnahmung vielleicht auch um eine Masche handeln könnte, aber diese löste keinen Ärger aus. Denn im Vordergrund stand ganz die positive Wertung, so sehr wurde sein Kommunikationsstil gelobt, der einschließt und nicht ausschließt, der Nachfragen großen Raum zu lassen scheint. So sehr transportieren seine Mimik und der Sprachstil die Intensität des Nachdenkens (aber „wir werden das Problem lösen“), die gewaltige Verantwortung (weil „alle sehr unter Druck stehen“), die großen Zweifel (die „kann man verstehen“).

Die Zweifel müssen aber unabdingbar immer wieder zur Seite geschoben werden, denn es handelt sich grundsätzlich um eine „unangenehme Entscheidung, aber eine notwendige“. Zu Beginn der Corona-Krise musste man bei Jens Spahns Sentenz über die Fehler, die man sich wird verzeihen müssen, noch an eine antizipierte Selbstentschuldigung denken. Doch Wirtschaftsminister Robert Habeck macht das echte Leiden des Berufspolitikers sichtbar, der nicht anders kann, als sich seiner Verantwortung zu stellen. Zuletzt sah er sein Ministerium sogar im institutionellen Burn-Out, und – so muss man mutmaßen – auch er selbst scheint davon nicht mehr weit entfernt zu sein. Also eine Perfektionierung, ja geradezu Überhöhung der repräsentativen Demokratie, die Selbstaufopferung der handelnden Repräsentanten mit eingeschlossen.

Ein unsicherer Kandidat

Dann aber begann sich das mediale Rad immer schneller zu drehen, und Habeck stand selbst am Gashebel. Er kam nicht mehr aus den Schlagzeilen, und zwar nicht als erfolgreicher und zielstrebiger Pilot in schwerem Wetter, sondern als unsicherer Kandidat, der seine Projekte nicht durchdenkt, der seine Allianzen nicht klärt. Aber die positive Wertung hielt stand: jemandem, der sich so abquält, kann man die Schlagzeilen, sogar seine Fehler nicht wirklich übelnehmen.

Dass ein Wirtschaftsminister beim Konzept einer „Gasumlage“ wirklich übersehen kann, dass man damit auch die niedrigpreisig hergestellten Rohstoffe subventioniert und auf diesem Wege die Extraprofite dieser Anbieter sogar noch stabilisiert, das lässt einen zwar sprachlos zurück. Aber er erklärte es so nett, dass niemand es ihm übelnahm. Und der Eindruck, der Minister müsse sich die Sachverhalte bei jedem TV-Auftritt zugleich immer wieder selbst erklären, steigerte das Mitleid der Zuschauer ins Unermessliche. Man wollte ihn nur zu gerne anrufen und ihm die umfangreiche Literatur aus den 70ern vorbeibringen, die bereits damals Windfall-Profits und Merit Order als Charakteristikum der Rohstoff-Ökonomie in allen Facetten erklärt hat. Wir hatten ja schon mal eine Energiekrise.

 

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Aber die Aufmerksamkeits-Drehzahl war längst nicht am Limit. So wurde auch das Überbordwerfen der Grundsätze, wofür man ihn bzw. seine Partei gewählt hat, vom Publikum leicht verziehen – oder versagte schlichtweg die Wahrnehmung?

Gas-Fracking (USA) steht plötzlich hoch im Kurs (zerstört ganze Landschaften und kommt jetzt per Schweröl-betriebenen LNG-Frachter über den Atlantik), AKW laufen weiter (unter wechselnden begrifflichen Verklausulierungen), der Kniefall in lupenreinen Diktaturen (Scharia-Staat Katar) bei der Beschaffung von fossilen Energien muss als unvermeidlich erscheinen, der Restbestand pazifistischer Grundprinzipien wird gleich mit entsorgt (jetzt auch Waffenlieferungen in Kriegsgebiete). Weitere Themen stehen auf der Long List, „grüne“ Gentechnik, digitale Überwachung à la China zur Erzielung erwünschter Verhaltensweisen (kalt duschen), Einsatz der Bundeswehr im Inland (natürlich nur gegen sogenannte Querdenker und „Delegitimierer“).

Schlechtes Wetter

Nun hat es der Wirtschaftsminister auch nicht leicht, er fliegt sozusagen bei schwerem Wetter. Der Ukraine-Krieg schließt nahtlos an die Corona-Krise an, beide überlappen sich in ihren wirtschaftspolitischen Auswirkungen, die demographischen und weltpolitischen Rahmenbedingungen mal ganz außen vor. Innerparteilich hat er es mit einer Rivalin Baerbock zu tun, die nach einigen Skandalen (z.B. Plagiatsvorwürfen, Corona-Zuschüsse) als Außenministerin im wahrsten Worte Stich-Worte liefert, die von „Volksaufständen“ bis hin zur Irrelevanz-Erklärung ihrer Wähler reicht.

Zwar hat Habeck, sollte die Beschlusslage Bestand haben, gute Karten in einer innerparteilichen Urabstimmung zur Kandidatenkür für die Bundestagswahl 2025, aber in der „Fortschrittskoalition“ namens Ampel gibt es nicht weniger Streit. Geradezu paradigmatisch mutet die Konkurrenz mit dem Finanzminister (Thema Schuldenbremse, AKW-Betrieb) an, und die von den Medien bereits ja angetönte Rivalität mit dem Bundeskanzler, der – bedrängt von Cum-Ex und anderen Dingen – ganz anders kommuniziert, quantitativ und qualitativ, zehrt an den Kräften.

Authentizität darf nicht gespielt wirken

Von größerer Bedeutung ist jedoch noch der Vergleich mit dem Bundesgesundheitsminister, Karl Lauterbach. Zunächst gibt es kaum Zweifel, dass sich Habeck gegenüber dessen Arroganz in jeder Hinsicht wohltuend abhebt. Lauterbach predigt die absolute Wahrheit der Wissenschaft, „seiner“ Wissenschaft, und hat immer eine Studie parat, die scheinbar alle anderen Aspekte hinwegfegt. Aber auch wenn er noch so viele Komikerauftritte absolvieren würde (die sich in diesem Kontext als armselige Anstrengungen entpuppen), nie käme er an das kommunikative Format von Habeck heran. Dieser braucht nämlich nicht auf eine externe, mit dem Begriff (nicht der Methodik) „Wissenschaft“ gelabelte Instanz zurückzugreifen, sondern macht durch sein Auftreten selbst die Komplexität der Situation deutlich. Er nennt Alternativen, er lässt Ambivalenzen zu und lädt zu Nachfragen ein.

Von mehreren Seiten, so durch Armin Nassehi in der Wochenzeitung Die Zeit, wurde deutlich hervorgehoben, dass diese Form der Kommunikation in unsicheren, krisenhaften, kaum zu begreifenden Situationen wie der heutigen durchaus eine sinnvolle Herangehensweise darstellen kann. Nur so sei Authentizität zu generieren (nicht durch Faktenreiterei), nur so sei ein lernendes System zu skizzieren.

Allerdings funktioniert all dieses nur unter einer Bedingung: es darf nicht der Verdacht aufkommen, dass alles nur gespielt ist, dass es sich lediglich um gestellte Authentizität handelt. In den Medien wird ja bereits diskutiert, ob es Habecks eigene Eitelkeit ist, oder ob fachliche Defizite zugrunde liegen – Tatsache ist, dass er die Drehzahl der Habeck‘schen Aufmerksamkeitsökonomie immer weiter hochzieht. Bis zu dem Augenblick, und da befinden wir uns jetzt, dass sich plötzlich ein ganz anderes, aber klares Bild präsentiert. Und die Unterschiede zu seinem linear denkenden Kollegen aus dem Gesundheitsministerium verschwinden wie auf einen Schlag. 

Home-Schooling und warme Schokolade

Dieses Bild ist nicht günstig, sondern stellt die soziale Herkunft und Verbundenheit von Habecks Partei ins grelle Scheinwerferlicht. So wie die Haus- und Ferienhausbesitzer kaum unüberwindbare Schwierigkeiten hatten, während der Corona-Lockdowns Home-Office, Gartenparties und Kinderbetreuung zu organisieren, so wenig wird diese Bevölkerungsschicht Schwierigkeiten haben, ihre Home-Büros, Wohnräume und Kinderzimmer im kommenden Winter zu heizen und die teuren Induktionsherde in der Designerküche zum Wummern zu bringen. Sollten die Schulen aus Corona- und/oder Energiegründen geschlossen werden, kein Problem mit Home-Schooling und warmer Schokolade, vielleicht für den Privatlehrer gleich mit.

Den „kleinen Leuten“ wird die Zimmertemperatur beim Homeoffice auf 17 Grad runtergedreht, warum denn nicht mit Ohrenschützern und Skisocken in der Zoom-Konferenz sitzen, so wird es heißen. Ganz abgesehen von dem schon vorbestehenden sozialen Gradienten, der bei uns mittlerweile Gesundheit und Lebenserwartung als zwischen reich und arm ungleich verteiltes Gut differenziert, wird Corona-„Resilienz“ (um dieses Modewort nicht auszulassen) genauso wie die Verfügbarkeit knapper natürlicher Ressourcen zu einer reinen Frage des Geldbeutels.

In komplexen Systemen steuern zu können

Man kann es in höherer Abstraktion auch so sagen: an dieser Stelle zeigt sich die zentrale Schwäche der heute so angesagten Systemtheorie mit ihrem Lieblingsthema der Komplexität. Klar, es gibt eine unübersehbare Zahl von Einflussfaktoren, deren Interaktionen wir nicht erfassen können (manchmal können wir sie erahnen), es gibt auch Regeln dahinter – die wir allerdings nicht kennen und nur ansatzweise kennenlernen können. Auch in der Gesundheitsversorgung und in der Beurteilung der Effekte sowohl medizinischer als auch struktureller Eingriffe spielt dies eine wichtige Rolle.

Die zentrale Fähigkeit von Führungspersonal besteht immer wieder darin, in komplexen Systemen steuern zu können. Doch eine Leerstelle bleibt, auch für die Systemtheoretiker, nämlich die Frage: for what? Was ist der letztendliche Output, wie sieht das relevante Ergebnis aus, für wen ist das Ergebnis konkret relevant – und welcher Standpunkt ist zur Beurteilung einzunehmen? Wer profitiert, wer hat Nachteile, wessen Perspektive wird zur herrschenden Doktrin?

Sozial-ökologische Transformation

Habecks Credo tritt plötzlich offen zutage, er verfolgt den Plan der „großen, sozial-ökologischen Transformation“. Diesen Begriff wurde nicht zuletzt vom Wiener Politologen und Soziologen Ingolfur Blühdorn in seinem neuen Reader „die Nicht-Nachhaltigkeit der Nicht-Nachhaltigkeit“ geprägt. Sein Kollege Daniel Hausknost sekundiert und problematisiert hierzu die „gläserne Decke der Transformation“, die letztlich aus der Unbeweglichkeit der demokratischen Strukturen und dem Egoismus der Wähler gestrickt ist.

In einem vorangegangenen Werk mit dem Titel „Simulative Demokratie“ hat Blühdorn hierzu bereits im Jahr 2013 die Grundlage gelegt. Er geht vom Begriff der Modernität aus und differenziert das gängige Konzept der „Post-Moderne“ dahingehend, dass es nach der Moderne mit ihrer technischen Orientierung (das Individuum ist eine Rädchen und nicht mehr) zunächst zur Betonung der individuellen Identität kommt (2. Moderne), die jedoch von einer 3. Moderne mit dem Kennzeichen der inszenierten Identität gefolgt wird. Das wirkliche Ausleben der eigenen Identität wird zu anstrengend, erst recht im Hinblick auf die Ausübung der politischen Rechte, und im Selfie-Zeitalter erlauben die digitalen Endgeräte die Illusion einer endlosen, aber eben nur virtuellen Existenz. 

Diese Differenzierung legt Blühdorn auf den Begriff der Demokratie um und zieht die Konsequenz, dass einzig die Simulation der Demokratie aus dem Dilemma herausfinden kann: man solle die Demokratie nicht eliminieren, aber man muss sie derart umgestalten, dass es mehr um das simulierte Verfahren als um die harten Sachentscheidungen geht. Die Bürger sollen sich beteiligt fühlen und diese gefühlte Beteiligung auch ausüben, also Bürgerräte ohne Ende, aber bitte die Sachentscheidungen hinter verschlossenen Türen. Er scheut zunächst vor den Konsequenzen zurück und entschuldigt sich fast für diese Analyse, im aktuellen Reader zur „Nicht-Nachhaltigkeit“ sind seine Zweifel jedoch verflogen und er plädiert klar für die Simulation demokratischer Verfahren als Grundlage für die angestrebte Transformation.

Politik als Simulation

An diesem Punkt gibt der rasend sich drehende Propeller plötzlich das Muster frei, rasch vergänglich, aber deutlich erkennbar: Bedenken, Zweifel, Authentizität als Simulation, klare Ansage der Transformation als Hintergrund. Anders als der lineare Top-Down-Durchgriff Lauterbachs, der immer durch die begrenzte antizipatorische Kapazität des „oben“ begrenzt ist und daher in komplexen Systemen nur Anfangserfolge erzielen kann, wird der simulative Zugang gerade durch die vorgespiegelte Ambiguität eine viel größere Wirkmacht erlangen. Diskurssimulation im Vordergrund, im Hintergrund eine Kombination von technologischem und neoliberalem Ansatz.

Letztlich sollen es die finanziellen Anreize richten, eine gerechte Chancenverteilung wird der identitätspolitisch abgesicherten, aber nie verwirklichten Gleichstellungsprosa geopfert. Wer wird noch nach den 400.000 neu zu errichtenden Wohnungen fragen, die im Koalitionsvertrag stehen, gleichzeitig werden die Innenstädte durch die teuren Energiesanierungen weiter gentrifiziert.

Es bleibt in diesem Sinne keine andere Wahl, ein Umkehren ist nur schwer vorstellbar: „jetzt erst recht“ erfolgreich habecken, das dürfte die Losung für das weitere Vorgehen großer Teile des politischen Personals der Zukunft sein. Der Schritt zur geführten Demokratie, zur illiberalen Demokratie ist dann nicht weit, denn bohrende, richtig ins Mark der Führenden treffende Nachfragen und Recherchen darf es nicht geben – zu groß ist die Gefahr, dass in der raschen, rasenden Bewegung das reale, auch verräterische Muster zu deutlich erkennbar wird. Die zunehmende Verengung des Diskursraumes ist schon zu verspüren, die Entwicklung ist bereits im Gange.
 

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