Organspende - Der Bürger gehört nicht dem Staat – auch nicht nach dem Tod 

Karl Lauterbach unternimmt wieder mal einen Vorstoß - wie schon im Jahr 2020 -, jedermann automatisch zum Organspender zu erklären, der nicht ausdrücklich widerspricht. Das ist nicht nur undemokratisch, sondern auch übergriffig.

„So viele Organe könnten wir haben!“, scheint Lauterbach zu denken / dpa
Anzeige

Autoreninfo

Gideon Böss ist Roman- und Sachbuchautor und hat unter anderem über Religionen in Deutschland und Glücksversprechen im Kapitalismus geschrieben.

So erreichen Sie Gideon Böss:

Anzeige

Staaten haben die Tendenz, sich zu stark in das Leben der Bürger einzumischen. Während der Corona-Pandemie zeigte in dieser Hinsicht Deutschland eine besonders ausgeprägte Neigung zu autoritären Lösungen und eine ebensolche, Freiheitsrechte nur widerwillig zurückzugeben. So endete erst im Februar die Maskenpflicht im Fernverkehr, nachdem über Monate hinweg aus dem Ausland kommende Reisende an der Grenze darauf hingewiesen wurden, dass ab jetzt Mund und Nase bedeckt werden müssen.  

Kaum hat Corona seinen Schrecken so weit verloren, dass keine massiven Freiheitseinschränkungen mehr durchsetzbar sind, wendet sich Gesundheitsminister Karl Lauterbach dem nächsten Thema mit ungebrochener Lust an autoritären Lösungen zu. Es geht um das Thema Organspenden. Die Zahl der Freiwilligen ist zu gering und rückläufig. Lauterbach will das Problem lösen, indem er kurzerhand das bisherige System der Entscheidungslösung auf den Kopf stellt. Jeder soll demnach als Spender gelten, wenn er sich zu Lebzeiten nicht ausdrücklich dagegen ausgesprochen hat. Wer keinen „Anti-Organspenderausweis“ hatte, wäre demnach Organspender.  

Nun ist der menschliche Körper aber kein Organ-Steinbruch und auch kein Ersatzteillager, dessen Ausbeutung schriftlich widersprochen werden muss. Eine solche Sicht ist übergriffig und erklärt den Körper des Einzelnen zu einer Art Allgemeingut, das er nicht ist. Sie entspricht auch nicht der Würde des Menschen, die in Artikel 1 des Grundgesetzes festgeschrieben ist. Dass in anderen Ländern ähnliche Regelungen gelten, wie sie Lauterbach vorschweben, ist dabei unerheblich. Es ist eine ethische Frage, die jedes Land für sich beantworten muss, und Deutschland hatte bisher eine angemessene Lösung. Wenn weder eine Zustimmung noch eine Ablehnung vorliegt, können Angehörige des Verstorbenen die Organe grundsätzlich freigeben lassen. Damit wird diese Entscheidung von Menschen getroffen, die den Toten zu Lebzeiten kannten und wussten, wie er denkt und fühlt. Diese Regelung stellt einen angemessenen Kompromiss dar, und mögliche Ergänzungen und Reformen sollten den Geist dieser Regelung nicht verletzen.  

Lauterbachs Vorschlag entspricht seinem grundsätzlichen Politikverständnis

Lauterbachs radikaler Vorschlag wirkt auch auf einer Ebene fragwürdig, die nichts mit dieser Reformidee speziell zu tun hat. Sie betrifft viel mehr sein grundsätzliches Politikverständnis. In diesem folgt er der Strategie, viel Getöse zu verursachen, um von seinen Verfehlungen als Gesundheitsminister abzulenken. Eigentlich gibt es nämlich keinen Grund für ihn, solche Reformideen auszubreiten, er hat nämlich schon ein Reformpaket umzusetzen, das sich genau mit dem Thema der geringen Organspenderbereitschaft beschäftigt. Schon im Jahr 2020 wurde im Bundestag unter anderem beschlossen, dass auf den Ämtern verstärkt über Organspendeausweise informiert werden soll. Auch ein Organspenderregister sollte eingeführt werden. Bis 2023 wurden diese Reformen noch nicht umgesetzt, was den amtierenden Gesundheitsminister nicht etwa dazu anspornt, das nun zeitnah zu realisieren. Stattdessen erklärt er schlicht: „Das geltende Gesetz ist gescheitert.“

 

Das könnte Sie auch interessieren: 

 

Eine bemerkenswerte Aussage über ein Gesetz, das noch nicht in Kraft getreten ist. Es scheint, als hätte der Gesundheitsminister generell wenig Interesse daran, den Willen des Volkes zu respektieren, das sich 2020 durch seine Vertreter im Bundestag eindeutig gegen eine Änderung der geltenden Entscheidungslösung aussprach. Stattdessen möchte er lieber eine Reform durchführen, die er sich allein ausgedacht hat, für die es keine Mehrheit gibt und für die er eine vom Bundestag verabschiedete Reform übergehen will. Kompromisse sind im politischen Geschäft Alltag, Lauterbach aber bevorzugt den Alleingang.  

Dabei gibt es gute Gründe, anzunehmen, dass das Potenzial an Spendern längst noch nicht ausgeschöpft ist. So lag im Jahr 2021 die Zahl der Urnenbestattungen mit 77 Prozent klar vor den traditionellen Erdbestattungen. Wer seine Organe verbrennen lässt, dürfte grundsätzlich dafür offen sein, sie stattdessen zu spenden. An dieser Stelle könnten die Reformen aus dem Jahr 2020 tatsächlich eine positive Wirkung entfalten. Das sollte für den Gesundheitsminister Grund genug sein, sich mit aller Kraft um die Umsetzung dieser Gesetze zu bemühen. Stattdessen verbreitet er lieber alternative Ideen, als wäre er immer noch ein Twitter-Lautsprecher ohne tatsächliche Macht, wie zu Beginn der Corona-Pandemie.   

Für Spendenbereitschaft muss geworben werden

Die Politik, und der dafür anfällige Lauterbach im Besonderen, muss dem autoritären Drang widerstehen, über Druck und Zwang ans Ziel zu kommen. Zumal in diesem Fall ein demokratisch einwandfreies Reformpaket auf seine Umsetzung wartet. Wenn Lauterbach sich aber unbedingt als Schirmherr inszenieren will, könnte er sich dafür einsetzen, dass verstärkt an biogenetischen Lösungen für das Problem der Organknappheit geforscht wird. Immerhin werden seit Jahren ermutigende Fortschritte bei der Züchtung künstlicher Organe gemacht. Wenn in diesem Bereich ein Durchbruch gelingt, könnten in Zukunft dringend benötigte Herzen, Lebern oder Nieren passgenau gezüchtet werden.   

Bis es aber einen Forschungsdurchbruch gibt, muss weiter um eine möglichst große Spendenbereitschaft geworben werden. Wobei es ohne moralische Wertung zu akzeptieren ist, wenn sich jemand dagegen entscheidet. Wie der Mensch über seinen Körper und dessen mögliche „Weiterverwendung“ denkt, ist eine höchstpersönliche und intime Angelegenheit, in die sich niemand einmischen darf. Als allerletzter der Staat.     

Anzeige