Olaf Scholz im Spiegel-Interview - Des Kanzlers taktische Härte

Mit einem Interview für „Der Spiegel“ hat Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) für Aufsehen gesorgt. Er kündigt eine neue „Härte“ an, wenn es um die Abschiebung abgelehnter Asylbewerber geht. Am Ende werden allerdings die Grünen darüber entscheiden, ob er mit seiner Kehrtwende erfolgreich ist.

Bundeskanzler Olaf Scholz bei einer Regierungserklärung im Bundestag. /dpa
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Autoreninfo

Mathias Brodkorb ist Cicero-Autor und war Kultus- und Finanzminister des Landes Mecklenburg-Vorpommern. Er gehört der SPD an.

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Die Migrationspolitik ist längst zum Zankapfel der Republik geworden und auch zu einer existenziellen Bedrohung der SPD. Nach den Wahlerfolgen der AfD in Bayern und Hessen sowie den krachenden Niederlagen der Sozialdemokraten versucht der Kanzler, mit "Härte" die Deutungshoheit über seine Politik zurückzugewinnen. Hört man sich im Umfeld des Kanzlers um, will niemand etwas von einer „Kehrtwende“ wissen. Scholz habe schon immer so gedacht, verfolge eine lange strategische Linie. Das soll zum Beispiel eine Grundsatzrede aus dem Jahr 2014 belegen, die der heutige Kanzler als damaliger Erster Bürgermeister Hamburgs gehalten hat. 

Und tatsächlich, man kann darin Sätze finden, die sich von denen im Spiegel-Interview im Grunde nicht unterscheiden. Diese zum Beispiel: „Völlig offene Grenzen nach Europa hätten Konsequenzen (…). Deutschland könnte kein Sozialstaat mehr sein (…), weil der Sozialstaat nicht grenzenlos jedermann unterstützen kann und schon gar nicht auf dem heutigen Niveau.“

Die Entwicklung des Olaf Scholz

Und natürlich gibt es dennoch eine Kehrtwende. Vor rund 10 Jahren ging es in der Rede von Scholz vor allem um die Idee einer weltoffenen Hafenstadt mitten in Europa. Scholz nannte das seinen „Kosmopolitismus“. Er machte zum Beispiel Vorschläge, das wirtschaftliche Ausbluten Afrikas durch die westliche Welt zumindest zu begrenzen, um so Fluchtursachen zu bekämpfen. 

Und er argumentierte für „Perspektiven einer legalen Zuwanderung“. Dabei stand ausdrücklich nicht der Fachkräftemangel in Deutschland im Vordergrund. Derart eigennützig zu argumentieren erklärte er damals zu einer „falschen Rationalisierung“: „Nein, es muss darum gehen zu verhindern, dass Männer und Frauen wochen- und monatelang über Land reisen, teilweise Wüsten durchqueren, großen Gefahren ausgesetzt sind und dann unter Lebensgefahr die nicht legale Einreise nach Europa versuchen.“ Der Olaf Scholz von damals wollte Zuwanderung im Grunde gar nicht begrenzen, sondern nur anders gestalten.

Der Sound seiner Rede war durchweg weich, umarmend, den Weltschmerz inhalierend. Es war die Rede eines beliebten und generösen Landesfürsten. Das alles geschah aber noch vor der Flüchtlingskrise 2015/16 und den Hamburger G20-Krawallen im Jahr 2017. Olaf Scholz konnte es sich damals einfach leisten, den hanseatischen Kosmopoliten zu geben.

Handeln beginnt mit der Sprache

Heute ist die Lage ganz anders. Die SPD liegt mit Umfragewerten von 14 Prozent am Boden, die AfD sprintet von Umfrage- zu Wahlerfolg und Deutschlands Kommunen melden in Sachen Migration überall Land unter. Das Thema ist nach Umfragen unter Deutschlands Bürgern längst zum Problem-Bär Nr. 1 aufgestiegen. 

Scholz muss handeln, wenn er 2024 für seine SPD die Landtagswahlen im Osten und im Jahr 2025 seine eigene Bundestagswahl nicht zu einem Desaster werden lassen will. Und das Handeln beginnt in der Politik bekanntermaßen mit der Sprache.

Statt kosmopolitischer Großzügigkeit ist daher nun ausdrücklich „Härte“ angesagt: „Wir müssen endlich im großen Stil diejenigen abschieben, die kein Recht haben, in Deutschland zu bleiben.“ Und was die reguläre Zuwanderung angeht, geht es nun doch um „Rationalisierung“. Ein wenig riecht es plötzlich nach „Germany first“: „Natürlich haben wir als Staat das Recht zu definieren, wen wir hier aufnehmen wollen. Dringend benötigte Fachkräfte und Talente zum Beispiel.“ In seiner Rede aus dem Jahr 2014 sprach er nur ein einziges Mal von „Abschiebung“. Und das bloß, als er eine Szene aus einem Roman zum Besten gab.

Jusos gegen den Kanzler

Scholz sei sich sicher, sagt er heute, dass seine Partei „voll“ hinter seiner Linie stehe. Und er weiß natürlich, dass das nicht stimmt. Der Vize-Vorsitzende der Jusos in der SPD Philipp Türmer zum Beispiel findet Scholz Positionen einfach nur zum „Kotzen“ und kündigt für den Parteitag im Dezember harte Auseinandersetzungen an.  Der Juso-Verband insgesamt wirft dem Kanzler sogar schon mal vor, „Vokabular des rechten Mobs“  bedient zu haben.

Ein Insider aus dem sozialdemokratischen Regierungskomplex nimmt solche Ankündigungen gegenüber Cicero gelassen. Drei Gründe sprächen dafür, dass sich Scholz innerhalb der SPD durchsetzen werde. Erstens seien die Probleme im Land einfach zu groß, als dass man so weitermachen könne wie bisher. Zweitens würden Angriffe unterhalb der Gürtellinie Scholz diesen am Ende moralisch stärken. Und drittens seien die Umfragewerte der SPD derart katastrophal und die Gründe hierfür so offensichtlich, dass die Reihen geschlossen bleiben dürften. Olaf Scholz ist die einzige Chance, die die SPD noch hat.

Die Grünen und die neue „Härte“

Viel entscheidender wird am Ende die Rolle der Grünen sein. Bisher hat ihnen der Eintritt in die Ampel nicht geschadet. Obwohl sich die ganze Republik über sie in Rage redet, halten sie in Umfragen als einzige der Ampelparteien stabil ihr Wahlergebnis aus dem Jahr 2021. Eigentlich könnten sie einigermaßen gelassen den Kurs des Kanzlers unterstützen. Nach aktuellen Umfragen sind selbst 69 Prozent der Anhänger der Grünen der Meinung, dem Staat gelinge die Steuerung von Zuwanderung derzeit schlecht. 

Aber das Asylthema ist für die Grünen ähnlich emotional besetzt wie für die Anhänger der AfD, nur eben unter umgekehrten Vorzeichen. Sie dürften deshalb der Bremsklotz bei der Umsetzung einer neuen Politik der „Härte“ bleiben. Jürgen Trittin warf dem Bundeskanzler denn auch postwendend öffentlich vor, „ein Konjunkturprogramm für Rassismus und Rechtsradikale“ auf den Weg bringen zu wollen.

Söder ist Scholz' Druckmittel

Das Angebot des Bayerischen Ministerpräsidenten Markus Söder (CSU), FDP und Grüne aus der Regierung zu schmeißen und ohne Neuwahlen eine Koalition mit der Union einzugehen,  war zwar etwas plump. Wenn man so etwas ernst meint, spricht man es nicht öffentlich aus, sondern verhandelt hinter den Kulissen darüber. Aber für Scholz kam das Angebot wie gerufen.

 

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Der Kanzler kann den Druck auf die Grünen damit deutlich erhöhen. Plötzlich hat er eine andere Machtoption. Die wäre für das Land wahrscheinlich die bessere Wahl als die Fortsetzung der Ampel. Aber damit würde Scholz zugleich das Ende seiner Kanzlerschaft auf das Jahr 2025 festlegen. „Dass die SPD aus einem solchen Bündnis bei den kommenden Bundestagswahlen noch als stärkste Kraft hervorgehen könnte, glaubt bei uns niemand“, sagt dazu ein führender Sozialdemokrat.

Scholz bleibt damit vorerst an die Ampel und vor allem die Grünen gekettet. Wie das ausgehen dürfte, ist schon heute absehbar. Der Kanzler wird zumindest rhetorisch von seiner „Härte“ nicht mehr abrücken, sie aber nur homöopathisch in reale Politik verwandeln können.

Abschiebungen als Symbolthema

Das symbolisiert ausgerechnet kein Thema besser als Abschiebungen. Selbst wenn sich deren Zahl binnen kurzer Frist verzehnfachen ließe, wovon nicht auszugehen ist, würde die Zahl von Asylbewerbern und Flüchtlingen nach den Daten des Jahres 2023 um rund 300.000 zunehmen. Und das dann ähnlich Jahr für Jahr. Das Problem ist nicht in erster Linie, dass Abschiebungen nicht gelingen, sondern dass sie durch illegale Migration überhaupt nötig werden.

Nicht auf Abschiebungen müsste also der Fokus der Politik liegen. Stattdessen müssten die Ursachen dafür trocken gelegt werden, dass sie überhaupt erforderlich sind. Das allerdings würde auch einen Umbau der Sozial- und Sicherheitspolitik erfordern, der mit den Grünen definitiv nicht zu machen ist. Vielleicht nicht einmal mit den Sozialdemokraten.

Anspruch und Wirklichkeit in Sachen Migration werden in Zukunft also mutmaßlich noch mehr auseinander klaffen als bisher, weil Scholz seinen Anspruch einseitig erhöht hat. Dass damit Wähler für die SPD zurück gewonnen werden können, ist nicht sonderlich wahrscheinlich. Vermutlich braucht die Republik wohl doch noch das allseits befürchtete Wahl-Donnerwetter des Jahres 2024, um nicht nur in der Sprache, sondern auch im Handeln das nötige Maß an Härte zu entwickeln.

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