Radikale Klimaaktivisten - „Es gibt bereits Extremismus in der Klimaschutzbewegung“

Mitglieder der „Letzten Generation“ haben heute Morgen die Flughäfen Hamburg und Düsseldorf blockiert. Der Terrorismus-Experte Nicolas Stockhammer spricht im Cicero-Interview über das extremistische Potential der radikalen Klimaschutzbewegung, mögliche Reaktionen des Staates und die Rolle der Medien.

Sicherheitspersonal und Polizisten versuchen in Düsseldorf, Aktivisten vom Asphalt zu lösen / dpa
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York Herder ist ausgebildeter Journalist und hospitiert derzeit bei Cicero.

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Klimaaktivisten haben sich Zugang zum Gelände der Flughäfen Hamburg und Düsseldorf verschafft und sich auf den Start- und Landebahnen festgeklebt. Zudem wurde heute bekannt, dass in München eine Gruppierung als Protest Autos angezündet hat, da ihr die Aktionen der „Letzten Generation“ nicht weit genug gehen. Passend zu diesen Ereignissen stellte das Europäische Institut für Terrorismusbekämpfung und Konfliktprävention (EICTP) gestern einen Sammelband vor, in dem mehrere renommierte Extremismus- und Terrorismusforscher den aktuellen Stand und mögliche Entwicklungen der radikalen Klimaschutzbewegung untersuchen: „Zwischen zivilem Ungehorsam und Militanz. Die radikale Klimaschutzbewegung und ihr extremistisches Potenzial“. Cicero sprach mit dem Herausgeber Dr. Nicolas Stockhammer. Der Politikwissenschaftler hat seine Forschungsschwerpunkte in der Sicherheitspolitik und Terrorismusforschung. Er war unter anderem an der Humboldt- Universität zu Berlin tätig und forschte bis 2021 an der Universität Wien zu Polemogolie und Rechtsethik. Derzeit ist Stockhammer mit der Leitung und Koordination eines Forschungsclusters betraut, das sich mit der Bekämpfung von Extremismus und Terrorismus auseinandersetzt.

Herr Stockhammer, können Sie mir sagen, wie es zu der Idee für dieses Buch kam?

Ich hatte mich gewundert, dass es trotz der Ereignisse, insbesondere im letzten Jahr, keine Betrachtung dieser Thematik von Seiten der Extremismusforschung gab. Es gab zwar immer wieder Interviews mit vereinzelten Forschern für deutsche und österreichische Medien, aber wenig zusammengefasste wissenschaftliche Betrachtungen der Thematik. Deshalb kam ich auf die Idee einen  Sammelband herauszugeben. Das EICTP hat das dankenswerterweise ermöglicht.

Was zeichnet Ihr Buch aus?

Das müssen die Leser beurteilen. Meines Erachtens zeichnet das Buch aus, dass es verschiedene Perspektiven von renommierten Extremismusforschern eröffnet. So haben wir auch einen Beitrag aus dem Vereinigten Königreich von Andrew Silke, der sehr anerkannt ist und eine nicht deutschsprachige Perspektive eröffnet.
 
Wie radikal ist die Klimaschutzbewegung derzeit?

Nicolas Stockhammer / Martina Berger

Da muss man differenzieren. Die Klimaschutzbewegung ist kein geschlossenes Konstrukt. Es gibt Abspaltungen und verschiedene Zugänge. Manche Gruppen sind offensiver, andere haben einen weicheren Zugang zum Protest, und ein ganz kleiner Teil hat auch die potenzielle Bereitschaft, gewaltsamere Maßnahmen zu ergreifen, wenn die Anliegen bei der Politik kein Gehör finden. Wir haben in diesem Band Potenziale des Extremismus aufgearbeitet. Das Ziel des Buches war, auszuloten, unter welchen Bedingungen es eine Bereitschaft zum Klimaextremismus gäbe. Stefan Goertz ist in seinem Beitrag zu dem Schluss gekommen, dass man am Beispiel Lützerath sieht, dass es bereits Extremismus in der Klimaschutzbewegung gibt. Er ist der Ansicht, dass die Grundlage für die Gewaltausbrüche bereits im Vorhinein durch die aufgeheizte Rhetorik gelegt wurde. Meines Erachtens gibt es eine Radikalisierung hin zum Extremismus. Und auch beim Extremismus gibt es verschiedene Kategorien. Einerseits einen passiven Extremismus, der duldet, dass andere extremistische Handlungen durchführen. Dann den aktivistischen Extremismus, wo extremistische Handlungen bewusst gefördert werden und wo Personen schon teilweise involviert sind. Am Ende dieser Linie steht der gewalttätige Extremismus. Davon ist die Klimabewegung aber noch sehr weit entfernt, aber es ist potenziell möglich, dass deren Anhänger zu Extremisten werden.
 
Was wäre ein potenzielles Szenario, durch das die Klimaschutzbewegung in den Extremismus umschlagen könnte?

Das könnte ein unmittelbares Ereignis wie ein Vorkommnis bei einer dieser Protestaktionen sein. Wenn zum Beispiel einer der Aktivisten von einem Autofahrer überfahren wird, oder wenn jemand aufgrund der Aktionen ins Gefängnis kommt und dort in einen Hungerstreik tritt. Sobald in der Organisation eine Gruppe das Ruder übernimmt, die den anderen sagt: „Wir kommen mit unseren Methoden nicht mehr ans Ziel, wir müssen zu drastischeren Maßnahmen greifen“, besteht das Potenzial zum Extremismus. Eine andere Möglichkeit wäre ein äußerer Impuls. Sollte sich die Politik komplett ändern und beispielsweise eine rechtsorientierte Regierung an die Macht kommen – was zur Zeit in jedem Land in Europa möglich ist –, die dann Klimaschutzthemen an den Rand drängt, könnte das die Klimaschutzbewegung vielleicht veranlassen, noch radikaler vorzugehen.

 

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Wie kann denn der Staat gegen die Aktivisten vorgehen, ohne zu deren Radikalisierung beizutragen?

Dazu muss der Staat mit Augenmaß und Behutsamkeit vorgehen. Das gelingt, indem der Staat mit den moderaten Gruppierungen in den Dialog tritt und gemeinsame Lösungen sucht, ohne sich erpressen zu lassen. Auf Gruppierungen, die gewaltaffin sind, muss der Staat mit den Mitteln antworten, die das Gesetz zur Verfügung stellt, und bei strafrechtlichen Vergehen konsequent reagieren.
 
Gibt es „geistige Väter“ der Klimaschutzbewegung, die zur Radikalisierung beitragen?

Ja, die gibt es sicherlich. Meines Erachtens sind das Personen, die revolutionäres Denken mitbringen, die aus dem Leben von Che Guevara oder anderen ableiten, dass die Anwendung von Gewalt möglicherweise zum Ziel führen kann. Im deutschsprachigen Diskurs sehe ich noch keine konkreten Figuren, die das öffentlichkeitswirksam verkörpern. Aber es ist durchaus denkbar, dass sich jemand mittelfristig hier einspannen lässt oder dass man jemanden aus der Mottenkiste holt, der dann als Figur sinnbildlich für diesen Protest steht und eine weitere Radikalisierung vorantreibt.
 
Aus welchen gesellschaftlichen Schichten besteht denn die Klimaschutzbewegung? Bei den Videos der Protestaktionen der „Letzten Generation“ bekommt man den Eindruck, dass das eine homogene Gruppe von Akademikern ist.

Ich würde sagen, dass das ein Generationenphänomen von Personen mehrheitlich unter 30 ist, die sich Sorgen um die Zukunft machen. Berechtigterweise, das muss man ganz klar festhalten. Da die „Fridays-for-Future“-Generation jetzt an die Universitäten kommt, wird sich das vermutlich noch verstärken. Ich teile auch Ihre Einschätzung, was den Bildungsgrad betrifft. Das sind mehrheitlich Kinder, Jugendliche, Studenten aus mittelständischen und vielleicht sogar besser betuchten Familien. Wir haben es nicht mit einem Phänomen der unteren Schichten zu tun.
 
Ist der Klimaprotest bisher wirklich gewaltlos? Wenn sich Personen an der Straße festkleben, ist das doch auch ein gewaltsamer Eingriff, oder?
 
Gewalt wird definiert als Gewalt gegen Dritte. Also gegen andere Menschen. Das passiert in dieser Form, bis auf einzelne Vorkommnisse wie die Ausschreitungen in Lützerath, bisher nicht. Aber natürlich ist das eine grundlegende Frage: Wann wird die Schwelle von Gewalt gegen Sachen, gegen Gegenstände überschritten? Dass daraus ein Personenschaden resultieren kann, ist denkbar. Das grundlegende Problem: Wenn die Aktivisten irgendwann abstumpfen und sich immer weiter in die Idee vom Klimanotstand, in dieses Apokalyptische hineinsteigern, könnte die Bereitschaft wachsen, dass irgendjemand sagt: „Wir müssen einen Schritt weiter gehen.“
 
Wie sehen Sie die Rolle der Medien? Es sind fast immer Journalisten vor Ort, die die Aktionen direkt verbreiten. Sind Berichte über Farbattacken auf Boutiquen überhaupt relevant?
 
Was wir gerade beobachten, hat gesellschaftspolitische Implikationen, da hier Diskurse vermengt werden. Dem Klimaprotest wird ein sehr linksorientierter, antikapitalistischer beziehungsweise kapitalismuskritischer Aspekt hinzugefügt. Für mich ist das ein Indikator, dass hier prinzipiell eine große Affinität zu linksradikalen oder linksextremistischen Kräften gegeben ist. Deshalb ist aus meiner Sicht auch Medienberichterstattung notwendig, um zu zeigen, was gerade passiert, und zu fragen, wie man als Gesellschaft damit umgehen will. Dabei finde ich die Rolle der einzelnen Medien sehr interessant. Ich kann zwar nur für Österreich sprechen, aber bei uns ist zu beobachten, dass Medien, die ich eher im linken Spektrum sehe, sehr zurückhaltend in der Berichterstattung sind und Wörter wie Radikalisierung, Radikalität, oder gar Extremismus beziehungsweise Terrorismus nicht verwenden. Medien, die ich eher im rechten Spektrum sehe, greifen dahingegen genau diese Dinge zuerst auf und überbetonen diese vielleicht sogar. Die Rolle der Medien sollte sein, ausgewogen zu berichten und kritisch einzuordnen. Anstatt wie ein Pendel zwischen Abschwächen und Schönreden auf der einen und Stigmatisieren und Überbetonen auf der anderen Seite hin und her zu schwingen.

Das Gespräch führte York Herder.

Der Band Zwischen zivilem Ungehorsam und Militanz. Die radikale Klimaschutzbewegung und ihr extremistisches Potenzial“ lässt sich hier kostenfrei als PDF herunterladen.

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