Montagsdemo in Leipzig - Der schmale Grat der Linkspartei

Die Linkspartei ruft zur Großdemo nach Leipzig. Sozialproteste sind legitim. Aber wird es der Partei gelingen, sich von den Rechtsextremen zu distanzieren?

Demonstranten mit einem Transparent der rechtsextremen Kleinstpartei „Freie Sachsen” / dpa
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Autoreninfo

Moritz Gathmann ist Chefreporter bei Cicero. Er studierte Russistik und Geschichte in Berlin und war viele Jahre Korrespondent in Russland.

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„Heißer Herbst gegen soziale Kälte! Energie und Essen müssen bezahlbar sein!”, steht auf einem Banner, mit dem Die Linke zur heutigen Großdemo nach Leipzig ruft, illustriert – so viel Folklore muss sein – mit der starken roten Arbeiterfaust.

Die Linke hat heftig mit sich gerungen, um eine gemeinsame Position zum Ukraine-Krieg zu finden: Die Partei verurteilt den russischen Angriffskrieg, lehnt aber sowohl die Aufrüstung der Bundeswehr als auch die Lieferung schwerer Waffen ab – und fordert eine diplomatische Lösung für den Krieg. Die Fraktion um Sahra Wagenknecht, die die Schuld Moskaus am Konflikt relativiert und für die Aufhebung der Russland-Sanktionen eintritt – inklusive Öffnung von Nord Stream 2 – konnte sich auf dem Parteitag Ende Juni in Erfurt nicht durchsetzen.

Die Wurzeln des Protests

Das Protestieren will sich Die Linke dennoch nicht nehmen lassen. Angesichts der Energiekrise, die schon jetzt auf vielen Ebenen spürbar ist, ist das ihr gutes Recht. Es ist vielleicht sogar die Pflicht einer Partei, deren Wählerschaft besonders verletzlich ist, wenn die Energiekosten explodieren. Angesichts von Milliardengewinnen einiger Energiekonzerne ist bei vielen Bürgern zudem der Verdacht gewachsen, dass manche Akteure die Krise nutzen, um sich zu bereichern – und die Politik nur zuschaut. Dass es dann – anders als in anderen Ländern – keine Übergewinnsteuer geben soll, aber stattdessen – eine deutsche Ausnahme – eine Gasumlage, befördert das Vertrauen in die Regierung nicht unbedingt.

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Zugleich scheint man in der Partei, die in den letzten Jahren vor allem mit Flügelkämpfen beschäftigt war, die bei der letzten Bundestagswahl um ein Haar aus dem Parlament geflogen wäre, und die in Umfragen weiter bei fünf Prozent dümpelt, das Potenzial dieser Krise erkannt zu haben, nämlich sie zur eigenen Wiedergeburt zu nutzen. Wir erinnern uns: Die Wurzeln der Linkspartei als ernstzunehmender politischer Kraft lagen auch vor zwei Jahrzehnten in den Sozialprotesten gegen eine von der SPD geführten Regierung – damals gegen die Hartz-IV-Reformen.

Populistische Dichotomie

Doch wandelt Die Linke dabei auf einem sehr schmalen Grat: Es besteht die Gefahr, dass sich das berühmte Hufeisen – laut der Theorie berühren sich linksextreme und rechtsextreme Positionen – am heutigen Abend auf dem Augustusplatz in Leipzig schließt. Denn neben der Linkspartei haben auch verschiedene rechtsextreme Gruppierungen ihren Protest für heute Abend angemeldet, allen voran die „Freien Sachsen“, ein Sammelsurium von Gegnern der Corona-Maßnahmen bis zu eingefleischten Neonazis.

Es muss dabei gar nicht so weit kommen, dass sich das Publikum der Veranstaltungen vermischt – obwohl Sahra Wagenknecht schon vorab die Parole ausgegeben hat, man werde „selbstverständlich keine Gesinnungsprüfung für Demonstranten“ machen. Schlimm genug wäre es, wenn heute Abend von den verschiedenen Bühnen in Leipzig die gleichen Parolen und Forderungen erklingen würden: Frieden mit Russland, Schluss mit den Sanktionen (weil sie unser Land zerstören), Nord Stream 2 öffnen, NATO raus aus der Ukraine.
 

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Dieser Eindruck wäre mit einer klar verständlichen Formel zu verhindern: „Sanktionen UND Arbeitsplätze“ sollten die Redner dem Publikum zurufen, und sich eben nicht auf die populistische Dichotomie „Sanktionen ODER Arbeitsplätze“ einlassen. Deutschland ist ein wirtschaftlich starkes und diversifiziertes Land: Trotz aller Härten, die dieser Winter mit sich bringen könnte, sollte es uns gelingen, die Auswirkungen der Sanktionen und des russischen Gasstopps abzufedern, sozial wie wirtschaftlich. Die Linke sollte ihren Zuhörern vermitteln: Russland hat diese Sanktionen mit seinem brutalen Angriffskrieg provoziert, und das (von Wagenknecht über RT bis zur AfD erzählte) Märchen, sie würden uns mehr schaden als Russland, ist schlicht falsch. Das zeigen sogar die offiziellen Zahlen zum russischen BIP 2022.

Selbstverschuldetes Dilemma

Und schon gar nicht sollten die Redner auf den Zug aufspringen, der gerade im Osten sehr populär ist: das Lamentieren über „die da oben“ oder „in Berlin“, die nichts von den Nöten des Volkes verstünden und nur noch den Banken und Großkonzernen dienten. Zum einen versteckt sich die Regierung nicht: Ob nun der Grüne Michael Kellner, der sich im brandenburgischen Schwedt den Fragen der besorgten Arbeiter der Ölraffinerie stellt, oder die SPD-Bundestagsfraktion, die ihre Klausurtagung nach Dresden verlegt und in Unternehmen fährt, um sich ein Bild von der Lage zu machen. Zum anderen hat die Ampelregierung mit dem sogenannten „Dritten Entlastungspaket“ gezeigt, dass sie die Probleme sieht und Lösungen bietet. Aber natürlich kann man diese Lösungen kritisieren.

Zum Teil hat sich Die Linke selbst in das heutige Dilemma hineinmanövriert: Über das letzte Jahrzehnt ist dieser Tag – ganz egal, welche Bedeutung die ostdeutschen Montagsdemos vor drei Jahrzehnten hatten – von ganz anderen Gruppierungen besetzt worden. Ob nun Pegida in Dresden und ihre Ableger in anderen Städten oder die Demos der Freien Sachsen gegen die Corona-Politik in Ostdeutschland in den letzten zwei Jahren. Gelingt es der Linken, diesen Tag wieder zurückzuerobern? Und gerade dieser Linken, deren Wähler und Mitglieder zum Teil vor drei Jahrzehnten auf der anderen Seite der Barrikaden standen? Es ist ein sehr, sehr schmaler Grat.

Hören Sie hier den Cicero-Podcast mit Moritz Gathmann und Nico Lange: „Der Krieg läuft für die Russen nicht nach Plan“.

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